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Untersuchung im Fall Anis AmriGut geschütztes Staatsgeheimnis

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält sich über V-Leute weiter bedeckt. Vor allem für die Angehörigen der Opfer ist das bitter.

Zeugenvernehmung im Amri-Untersuchungsausschuss im Januar 2019 im Deutschen Bundestag Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

A uch nach drei Jahren Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz sind zahlreiche Fragen offen. Auch zur Rolle des Bundesamts für Verfassungsschutz. Das ist umso misslicher, weil die Behörde nach dem Anschlag alle Verantwortung von sich wies. Es habe keine V-Leute im Umfeld des Attentäters Anis Amri gehabt, hieß es. Der damalige Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, sprach sogar von einem „reinen Polizeifall“.

Das entsprach, vorsichtig gesagt, nicht der Wahrheit. Das Bundesverfassungsgericht hätte nun dazu beitragen können, die Rolle des Bundesamts etwas besser auszuleuchten. Doch leider hat es eine Klage abgelehnt, mit der die Aussage eines V-Mann-Führers des Bundesamts im Untersuchungsausschuss erzwungen werden sollte.

Warum das Bundesamt trotz eines V-Manns in der Fussilet-Moschee angeblich über keine Informationen über Amris Radikalisierung und seine Anschlagspläne verfügte – es wird weiter unklar bleiben. Das ist für die Öffentlichkeit und erst recht für die Angehörigen der Opfer nicht nachvollziehbar. Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, wie ein gefährlicher Islamist vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwinden und am Ende auf dem Breitscheidplatz elf Menschen und zuvor den Lkw-Fahrer töten konnte.

Hinzu kommt Grundsätzliches: Mit seiner Entscheidung lässt das Gericht zu, dass sich Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium wieder einmal gegen die Aufklärung und für den Schutz ihrer Quellen entscheiden. Die parlamentarische Kontrolle von V-Leute-Einsätzen, die ohnehin problematisch sind, wird so unmöglich. Einen kontrollfreien Raum aber darf es nicht geben. Das sehen nicht nur linke Kri­ti­ke­r*in­nen so:

Verfassungsrichter Peter Müller, Ex-CDU-Ministerpräsident des Saarlandes, hat eine abweichende Meinung zu Protokoll gegeben. Danach überbewertet die Senatsmehrheit in ihrer Entscheidung „exekutive Geheimhaltungsinteressen“ des Staates. Das aber war im gesamten Senat leider nicht mehrheitsfähig.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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8 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Gut geschütztes Staatsgeheimnis"

    Ja klar, das totale Versagen darf nicht an die Öffentlichkeit - so das Ziel.



    Eigentlich Methoden wie aus Belarus, Russland oder China.

  • Vier mal ein sehr ähnlicher Ablauf:



    - Oktoberfest-Anschlag 1980



    - NSU Mordserie



    - Kundus Massaker in Afghanistan



    - Breitscheid-Platz 2016:



    die Interessen der Opfer werden immer abgewiesen. Die Gerichte entscheiden stramm nach Staatsräson.



    Der V-Mannführer könnte sich verkalkuliert haben bei der Beobachtung von Terroristen, die ein Atomkraftwerk sprengen wollen - Illich Ramirez Sanchez genannt Carlos hatte genau das vor auf den Superphoenix in den 1980ern - und was die Behörden machen darf nie bekannt werden.



    Ja, ideales Futter für die Spekulationen über den "Tiefen Staat" - der dann von Kayvan Soufi Siavash (Ken Japsen) antisemitisch aufgeladen werden. Der Rechtsstaat zeigt, dass er nicht auf der Seite der Bürger steht, sondern sich gegen sie abschottet.

  • Kein Wunder dass die "Querdenker" & Co. immer mehr Zulauf bekommen.



    Die Verlogenheit in der Politik wird immer tolldreister, offensichtlicher und salonfähiger. Das Wahlvolk dafür aber umso vergesslicher.....

  • Auch so sieht Tiefer Staat aus

  • In diesem unserem Lande haben die Schlapphüte Narrenfreiheit.

  • Bitter - anschließe mich.

    unterm——



    Interessant - daß ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied der Exekutive mit guten Gründen ein dissenting vote abgibt. Über die Maaßen erstaunlich.



    Der 2. - ein sojet staatstragender Senat!;(



    Das läßt fürderhin nichts Gutes hoffen.



    &



    Ein cum-Ex-Präsi* als Schlagobers! - 🤑 -

    Na Mahlzeit

    unterm—-2 *



    “ “Bestellen Sie eine konzernunabhängige Person zum Präsidenten des BVerfG”



    www.t-online.de/na...eldfragen-an-.html



    “Er (Christian Rath) sieht das Hauptproblem in der Personalie Harbarth an einer anderen Stelle: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei wechselt ans höchste Gericht und dort an die Spitze. “Mit seiner Wahl hat man völlig unnötig eine offene Flanke geboten.” Auch wenn dazu in Deutschland eine breite Zweidrittelmehrheit nötig ist: Das macht es schwieriger, im EU-Land Polen die fehlende Unabhängigkeit der Justiz zu kritisieren, wo ein politisch kontrollierter Landesjustizrat Richter auswählt und die EU sich um Rechtsstaatlichkeit sorgt.…“ ebenda



    & vgl aber hier - staatstragend -



    taz.de/Neuer-Praes...ian+Rath+Harbarth/



    “ euer Präsident des Verfassungsgerichts



    : Der Voßkuhle-Nachfolger



    Der Anwalt und CDU-Politiker Stephan Harbarth tritt sein neues Amt in Karlsruhe an. Umstritten ist er wegen seiner Nähe zu VW.“ schwer abwiegelnd



    (Anders das Forum - 👹 )

  • Aufklärung hört da auf, wo Staatsräson anfängt!



    So wird der Zeuge Klaus-Dieter Fritsche (aktuell in den Wirecard-Skandal verstrickt), während der Mordphase des NSU Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), aus einer Zeugenbefragung vom 18. Oktober 2012 vor dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zitiert: „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.“



    Nicht nur im hessischen NSU-PUA (Mordfall Halit Yozgat) lässt sich diese Aussage anschaulich belegen: gesperrte und geschwärzte VS-Akten (LfV Hessen), verweigerte Aussagegenehmigungen von nordhessischen V-Leuten, durch den "Landesvater" Volker Bouffier höchstpersönlich, sprechen für sich.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Mit seiner Entscheidung lässt das Gericht zu, dass sich Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium wieder einmal gegen die Aufklärung und für den Schutz ihrer Quellen entscheiden. Die parlamentarische Kontrolle von V-Leute-Einsätzen, die ohnehin problematisch sind, wird so unmöglich. "

    In speziell diesem Fall muss die ganze Wahrheit auf den Tisch. Schließlich sind damals unschuldige Menschen ermordet worden. Die Mittäter, z.B. in der besagten Moschee dürften immer noch frei rumlaufen.

    Und dieser Staat findet es wichtiger seine Quellen zu schützen? Wer soll denn da noch Vertrauen haben? Pfui!