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Studie zu SchwangerschaftsabbruchÜberraschend progressiv

Jens Spahns Ministerium finanziert eine Studie über ungewollte Schwangerschaften. Das Forschungsdesign weckt Hoffnung auf echte Erkenntnisse.

­Studie zum Thema ungewollte Schwangerschaften in Deutschland ist gestartet Foto: Borislav Zhuykov/imago

Berlin taz | Die bisher umfassendste ­Studie zum Thema Schwangerschaftsabbruch in Deutschland ist gestartet. Ein Team aus Wis­sen­schaft­le­rin­nen von sechs Hochschulen und Instituten untersucht bis Ende Oktober 2023, wie Frauen hierzulande ungewollte Schwangerschaften erleben und verarbeiten.

Die Studie „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung (Elsa)“ will zudem erforschen, wie sich die medizinische und psychosoziale Versorgung von ungewollt Schwangeren bedarfsgerecht weiterentwickeln lässt. Im Projektbeirat sind neben medizinischen Ex­per­t:in­nen auch Fachgesellschaften und Beratungsverbände vertreten. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert das Projekt mit knapp 4,3 Millionen Euro.

Das einmalige Forschungsvorhaben bedeutet eine Wende um 180 Grad: Es ist das Ergebnis dessen, was Anfang 2019 als „Spahn-Studie“ harsche Kritik geerntet hatte. Im Zuge der Reform des Paragrafen 219a, der es Ärz­t:in­nen verbietet, „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche zu machen, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Studie zu „seelischen Folgen“ von Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg gebracht.

Die Studie wurde weithin als Zugeständnis an die sogenannte Lebensschutzbewegung verstanden, die seit den 1980er Jahren an der Legende des „Post Abortion Syndrom“ strickt. Es besagt, dass Frauen durch Abtreibungen krank werden und etwa schwere Depressionen bekommen. Wissenschaftlich ist diese These längst widerlegt.

Keine Konzentration auf psychische Folgen

Nun ist die Genese der Studie zwar noch daran zu erkennen, dass sie innerhalb des Gesundheitsministeriums in der Abteilung für psychische Pro­bleme verortet ist. Dann wurde jedoch ein externer Projektträger beauftragt, der von Beginn an Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Me­di­zi­ne­r:in­nen ins Boot holte, um den Rahmen abzustecken. Schnell sei klar gewesen, dass eine Konzentration auf psychische Folgen „unsinnig“ gewesen wäre, sagt Studienkoordinatorin Daphne Hahn, die an der Hochschule Fulda Gesundheitswissenschaften lehrt.

Das Forschungsdesign hat sich nun ins wissenschaftlich-seriöse Gegenteil verkehrt und wird aller Voraussicht nach ein Meilenstein im Prozess der Beurteilung und Verbesserung der Versorgungslage ungewollt Schwangerer.

Beteiligt sind neben der Hochschule Fulda etwa das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen Freiburg, die Freie Universität Berlin und die Hochschule Merseburg. Das Team leiten sechs Forscherinnen; damit ist die Führungsebene ausschließlich weiblich besetzt. Insgesamt sind 25 Mitarbeitende beteiligt.

„Bisher gab es weder im deutschen noch im internationalen Kontext eine Studie, die die Komplexität des Geschehens aus der Perspektive sowohl der Frauen als auch der Ärz­t:in­nen umfassend beschreibt“, sagt Hahn, die bis 2017 auch Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung und Sexualberatung Pro Familia war.

Untersuchung problematischer Angebote

Um dieser Komplexität gerecht zu werden, verzahnen Hahn und ihr Team nun drei große Arbeitsbereiche. Die Frauen werden selbst befragt, die psychosoziale Versorgung wird in den Blick genommen und die medizinische Versorgung bundesweit erforscht. Nicht ganz einfach ist dabei die Datenerhebung. Denn auch, weil Daten etwa über Anzahl, Verteilung und Einstellung von Ärz­t:in­nen fehlen, die Abbrüche vornehmen, sind Aussagen über die Versorgungssituation und -lücken in Deutschland bisher oft schwierig.

Für die Befragung wollen die Au­to­r:in­nen nun über die Einwohnermeldeämter 33.000 Frauen anschreiben. Damit sollen rund 700 Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft hatten – ob abgebrochen oder nicht – herausgefiltert werden, die repräsentativ zum Thema Auskunft geben können.

Zusätzlich wollen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen mithilfe von Kliniken und Praxen Frauen finden, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben. Deren Erfahrungen gehen nicht repräsentativ ebenfalls in die Studie ein. Nach einem Jahr werden alle Frauen noch einmal befragt. Wichtig sei es, geflüchtete Frauen oder Frauen mit Gewalt­erfahrung mit in die Studie aufzunehmen, betont Hahn.

Die Fragebögen dafür werden derzeit entwickelt. „Wir prüfen zum Beispiel noch, wie wir messen, inwiefern Frauen bei ihrem Vorgehen dadurch beeinflusst sind, dass Schwangerschaftsabbrüche als Straftat im Strafrecht verankert sind und moralisch abgewertet werden“, sagt Hahn. „Würden ganz andere Ansprüche entstehen, wenn dem nicht so wäre?“ Bis die Fragen ausgearbeitet seien, brauche es allerdings noch etwas Zeit.

Um zu erkunden, wie es um die psychosoziale Versorgung bestellt ist, nehmen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen die hiesige Beratungs- und Unterstützungslandschaft in den Blick. In einer Medienanalyse geht es dabei auch um problematische Angebote wie etwa die der „Pro Femina“-Beratungsstellen.

Schwierige Datenerhebung

Diese geben sich ähnliche Namen wie die staatlich anerkannten Beratungsstellen, Pro Familia etwa. Sie gehören aber zur „Lebensschutzbewegung“ und beraten weder ergebnisoffen, noch stellen sie die für einen Abbruch nötigen Beratungsscheine aus.

Um sich ein Bild von der bundesweiten medizinischen Versorgung zu machen, will das Team um Hahn Gespräche mit allen dafür Zuständigen in den Ministerien der Länder führen. „Wir wollen wissen: Nach welchen Ideen arbeiten sie, wie stellen sie die Angebote sicher?“, sagt Hahn. Zudem soll es möglichst eine „Gesamtbefragung aller Ärz­t:in­nen geben, die Abbrüche machen – so gut es geht“.

Denn besonders hier ist die Datenerhebung schwierig. Zwar weiß das Statistische Bundesamt, wo die Ärt­z:in­nen sitzen, gibt die Adressen aus Datenschutzgründen aber üblicherweise nicht heraus. Was für die Studie möglich sein wird, „werden wir verhandeln“, sagt Hahn.

Eine Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, auf der sich Ärz­t:in­nen eintragen lassen können, die Abbrüche vornehmen, weist hingegen vor allem wegen der Angst vor Stigmatisierung bei den Ärz­t:in­nen enorme Lücken auf. Rund 1.000 Adressen habe man dennoch schon, sagt Hahn. Befragt werden sollen die Ärz­t:in­nen über ihre Qualifikationen, ihre Methoden, ihre Erfahrung mit Stigmatisierung, ihre Einstellung zu Abbrüchen und ungewollten Schwangerschaften.

Erste Ergebnisse sollen schon während der Laufzeit der Studie veröffentlicht werden.

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