piwik no script img

Anrechnung im EU-HaushaltFusionskosten schönen Klimabilanz

Zum EU-Klimaziel wird der Fusionsreaktor Iter nichts beitragen. Trotzdem will ihn die EU-Kommission unter Klimaschutzausgaben verbuchen.

Strom wird hier nie erzeugt werden: die Iter-Baustelle im südfranzösischen Cadarache Foto: Jean-Paul Pelissier/reuters

Berlin taz | Die Selbstverpflichtung der EU ist eindeutig: Sie will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Und damit das auch gelingt, sollen künftig mindestens 30 Prozent aller Ausgaben der EU dem Erreichen dieses Klimaziels dienen. So hat es der Europäische Rat im vergangenen Sommer beschlossen.

Doch bei der Frage, was zur Klimaneutralität bis 2050 beiträgt, nimmt die EU-Kommission es mit den Fakten nicht so genau. Denn auf die geforderte Quote will sie nach taz-Informationen auch sämtliche Ausgaben anrechnen, mit denen sich die EU an den Kosten des Fusionsreaktors Iter beteiligt. Für den Zeitraum von 2021 bis 2027 sind das rund 5,6 Milliarden Euro.

Ob dieses Geld gut investiert ist, darüber gehen die Meinungen auseinander – viele Umweltorganisationen und Grüne halten die hohen Ausgaben angesichts vieler ungelöster Probleme und unklarer Perspektiven für Geldverschwendung. Andere politische Akteure setzen große Hoffnung darauf, dass die Fusion eines Tages die gesamten Energieprobleme der Menschheit lösen werde.

Doch eins ist völlig unstrittig: Selbst glühende Befürworter des Projekts behaupten nicht, dass Iter einen Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität im Jahr 2050 leisten könnte.

Iter wird gar keinen Strom erzeugen

Das internationale Gemeinschaftsprojekt im südfranzösischen Cadarache befindet sich mitten im Bau. Wenn alles nach Plan läuft – was angesichts der bisherigen Verzögerungen eine ziemlich optimistische Annahme wäre – soll der Reaktor in fünf Jahren erstmals Plasma erzeugen, jenen vierten Zustand neben fest, flüssig und gasförmig, in dem sich bei gewaltigen Temperaturen von 150 Millionen Grad die Atomstruktur auflöst.

Weitere zehn Jahre später, also Mitte der 30er Jahre, sollen dann erste Fusionsexperimente stattfinden, also die Verschmelzung der schweren Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Helium, bei der viel Energie freigesetzt wird.

Doch selbst wenn das gelingen sollte, wird Iter keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugen – der Fusionsreaktor, dessen Gesamtkosten bisher auf 30 Milliarden Euro geschätzt werden, ist ein reines Forschungskraftwerk ohne Generator. Möglichkeiten zur Stromerzeugung könnten erst in Folgeprojekten erprobt werden – sofern bis dahin zahlreiche zentrale technische Probleme gelöst werden. (Eine ausführliche Recherche zu den offenen Fragen findet sich hier.)

Kommerzielle Stromproduktion per Fusion wäre auch im besten Fall erst weit in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts denkbar – und ob sie dann mit den immer preiswerteren erneuerbaren Energien konkurrieren könnte, ist fraglich. „Die wirtschaftliche Tragfähigkeit muss erst noch demonstriert werden“, sagt auch Michael Claessens, ein langjähriger Iter-Experte in der EU-Kommission.

Trotzdem sollen die Iter-Kosten nun als Ausgaben für das EU-Klimaschutzziel gewertet werden. Das stieß auch in einigen Mitgliedstaaten auf Widerspruch, wie aus einem Protokoll des Rats vom Dezember hervorgeht. Die Anrechnung der Kosten auf die Klimaquote wurde darin explizit gestrichen.

Kommission ignoriert Haltung des Rats

Die EU-Kommission will sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Weil Fusion langfristig durchaus dem Klimaschutz dienen könne, sei weiterhin geplant, die Iter-Ausgaben auf die Klimaquote anzurechnen, teilte eine Kommissionssprecherin der taz mit.

Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl lehnt das ab. „Sich diese sinnlos vergeudeten Milliarden als Klimaschutz auf die Fahnen zu schreiben ist schamlos“, sagte sie der taz. „Statt mit Rechentricks Klimaschutz vorzutäuschen, muss die EU-Kommission ihre Gelder für das Erreichen des Pariser Klimaziels einsetzen.“

Auch Antje Mensen vom Deutschen Naturschutzring hat kein Verständnis für den Plan der EU-Kommission. „Es gibt offenbar immer noch Entscheidungsträger*innen, denen es nur darum geht, die Klimaquote auf dem Papier zu erfüllen“, sagte sie. „Das verkennt die großen Herausforderungen beim klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und in der sozialen Abfederung der Transformation.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Lieber sollte man Geld in entweder erprobte oder sehr erfolgversprechende günstige Techniken wie das Pelamus-Wellenkraftwerk stecken.

    de.wikipedia.org/w..._(Wellenkraftwerk)

    www.youtube.com/watch?v=slawyq4PXxE

    Es ist eine totale Schande, dass ausgerechnet diese Firma, die zuletzt E.ON gehört hat, pleite gegangen ist. Als jemand, der jahrelang im Bereich Erneuerbare Energien gearbeitet hat, und das Fortschreiten des Klimawandels nur noch mit purer Verzweifelung verfolgen kann, kommen mir da Tränen der Wut.

    Inzwischen hat China dieses brilliante Konzept scheinbar abgekupfert:

    www.theguardian.co...ellectual-property

    www.ien.com/produc...nology-development

    en.wikipedia.org/w...onverter#Hailong_1

    • @jox:

      Sorry, der Kraftwerkstyp heisst korrekt "Pelamis" (von lateinisch 'Seeschlange').

  • Das große Problem bei der Fusionstechnik, welches ITER nicht mal bearbeitet, ist das Erbrüten des nötigen Brennstoffs durch das Kraftwerk selber.

    Es wird immer suggeriert, man könne den Brennstoff quasi billig aus Meerwasser gewinnen. Das stimmt so nicht.

    Die bisher erforschte Kernfusion benötigt sowohl Deuterium als auch Tritium - Deuterium alleine würde unrealisierbar hohe Temperaturen erfordern. Deuterium kommt in der Natur vor. Tritium aber nicht, weil es instabil ist und mit einer Halbwertszeit von 12 Jahren zerfällt. Es kann heute nur in geringsten Mengen in sogenannten Schwerwasserraktoren (CANDU) hergestellt werden, von denen es nur ganz wenige gibt. Es ist auch eine der teuersten Substanzen der Welt. Und es ist alles andere als sauber in der Produktion.

    Für eine funktionierende Kernfusion muss das Kraftewerk daher Tritium erbrüten, so wie der Schnelle Brüter in Kalkar spaltbares Uran erbrütet hätte. Doch waren die Schwierigkeiten und Gefahren beim Schnellen Brüter schon erheblich, so sind die ungelösten Probleme beim Tritiumbrüten gigantisch: Es sind bisher nicht einmal Werkstoffe bekannt, die den Bedingungen (Hitze, Kräfte, Neutronenfluß) stand hielten. Die Kühlung müsste mit flüssigem Natrium erfolgen, ein äußerst reaktiver Stoff. Das hat schon in Japan beim Monju Feuer verursacht. Und wir wissen auch nicht, ob so ein Brutvorgang überhaupt ökonomisch möglich ist, denn jede Fusions-Kernreaktion erzeugt nur ein Neutron, es dürfen unterm Strich keine Neutronen verloren gehen.

    Trotzdem wird ITER nicht als Physikexperiment sondern als Erprobung von Energietechnik vermarktet, und das ist hochgradig irreführend.

    Auch die Bilder von Wissenschaftlern im weißem Kittel im ITER Torus sind nur möglich, weil bisher gar keine Fusionsreaktionen mit Tritium da statt finden. Anderenfalls müsste man das Gefäß vor dem Öffnen sehr aufwendig kontaminieren - und könnte da auch nicht im weißem Kittel rein.

  • Ein gutes Beispiel dafür, wie Besserwisser ohne Hemmungen eigentlich gut gemeinte Vorhaben pervertieren.



    Diesen engstirnigen Klugschei..ern sollte der Einfluss beschnitten werden.

  • Mir will einfach nicht in den Kopf, warum so viel Geld in einen Fusionsreaktor gesteckt wird, der zumindest auf absehbare Zeit nicht funktionieren wird und eine unserer Lebensgrundlagen verbraucht: Wasser(stoff). Dabei läge es nahe, einen bereits funktionierenden Fusionsreaktor zu nutzen: die gute alte Sonne. Wieviele Solarzellen hätten für ca. 30 Mrd. Euro installiert werden können.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Was man nicht versteht, kann man nicht ablehnen.

  • Die Gesamtkosten von 30Mrd klingt viel, man sollte aber nicht vergessen, das diese Kosten verteilt werden auf die EU, USA, Kanada, Japan und Russland.



    Und eben auch Planung, Bau und Betrieb der Anlage enthalten. Ein Schnäppchen beinnahe.

    In Iter werden Grundlagen erforscht für eine Zukunft. Wenn man schreibt, es gäbe "ungelöste Probleme", dann ist doch die Forschung daran, genau der richtige Weg.



    In Zukunft hat die Menschheit im Besten fall neben Windkraft, Solar, Talsperren.. eben auch die Möglichkeit per Fusion immense Mengen von Energie herzustellen.



    Ein weiteres ungelöstes Problem (derzeit) ist es, die gesamte EU CO2- frei Energie herstellen zu lassen. Auch ein Problem, das erst in der Zukunft gelöst sein wird.

    • @Thorsten Claus:

      die "Gesamtkosten von 30Mrd "sind im vergleich zu der militaristischen verschwendung die der westen sich leistet und anderen staaten denen er dadurch knappe öffentliche mittel für ihre wirtschaftliche und soziale entwicklung und für deren ökologiekonforme klimakonservative realisierung entzieht aufzwingt geringfügig und immerhin handelt es sich um ein ziviles projekt der globalen zusammenarbeit dass wenn auch vermutlich eher nur sehr langfristig potentiell einen hohen nutzen für die zivilisation der menschen hat.



      iter sollte weiter finanziert werden,aber viel wichtiger wäre es zunächst einen anderen iter zu bauen und zwar den iter pacis-den weg des friedens und der universalen sozialen gerechtigkeit.



      zufällig bin Ich heute auf ein wortspiel gestossen das im catalan möglich ist.



      pa bedeutet brot und pau bedeutet frieden



      und das eine ist bekanntlich die grundlage des anderen



      um ein zeichen dafür zu setzen dass sie zu umfassenden abrüstungs und rüstungsbegrenzungsverhandlungen bereit sind sollen ausnahmlos alle staaten ihre ausgaben für das militär um fünf prozent zugunsten der ernährungssicherheit der ärmsten der armen der einen welt reduzieren

      wenn abgerüstet wird und das wettrüsten endet werden nicht nur öffentliche gelder für andere bessere und notwendigere zwecke wie zum beispiel den klimaschutz frei sondern auch hochqualifizierte arbeitnehmer*innen für die neue mindestens gleichwertige arbeitsplätze geschaffen werden müssen.die internationale zusammenarbeit bei der erschliessung von rohstoffen im asteroidengürtel und bei der grosstechnischen extraterrestrischen nutzung der energie der sonne wäre eine möglichkeit von ebendiesen arbeitsplätzen viele zu schaffen.



      wer kampfdrohnen bauen kann der kann auch weltraumschwerindustrieroboter bauen+und wer die stärksten elektro-kanonen aller zeiten bauen kann sollte auch weltraumkanonen bauen können

  • Eines der keineswegs neuen Hauptprobleme bei den Vorschlägen, Zielsetzungen und Diskussionen zu technologischen Problemlösungen beim Thema Klima und Umwelt ist, dass die Faktoren Zeit (von Planung bis Inbetriebnahme), Stand der Technik und Forschung (IST-Zustand der Gegenwart), die dafür erforderlichen Ressourcen/Aufwand (Bedarf an Material, Werkstoffen, Flächen, Energie, Kosten,...) und die zusätzlichen ökologischen Rucksäcke (CO2 etc.) nicht berücksichtigen.



    Dies gilt nicht nur den Iter. Die Kernfusion ist seit etwa 50 Jahren Kapital und Energie fressende Grundlagenforschung. Ähnlich verhält es sich bei CCS und synthetisierten Treibstoffen (H2, Algen/Bio), den erforderlichen Mengen/Tonnen die gefiltert, verbracht oder als Alternativen produziert werden müssten: weit v o r 2050!



    Nichts gegen Grundlagenforschung! Sie politisch als Lösungen des Klimaproblems anzubieten ist jedoch unverantwortlich.



    Die Vorstellung ist irrational, dass EU-Klimaneutralität und steigender Wohlstand - ohne schmutzige/CO2 Produktionen in außereuropäische Staaten zu verlagern - mit technologischen Lösungen erreichbar ist.



    Der Glaube daran hat nur einen Zweck: Die Wirklichkeit verdrängen zu können und den Status quo des Weiter-so aufrecht zu erhalten.



    Small is beautiful ist inkompatibel mit unserem Wirtschaftssystem, weshalb so ein hoher technologischer Aufwand betrieben wird, um die Illusionen nachhaltig zu machen und die Logik außen vor zu lassen.

    • @Drabiniok Dieter:

      die maxime small is beautiful kann wie die sonne zeigt bei der kernfusion nicht funktionieren

      warum versucht man eigentlich das plasma in einem magnetischen käfig einzusperren statt es zuerst in einem solchen zu beschleunigen und dann mit einem ionenstrahl zusammenknallen zu lassen?

  • wenn die unobtainium konzentration im cadarachit-gestein unter der riesenbaustelle hoeher waere als sie es ist koennte iter funktionieren

    bisher gibt es nur eine tatsaechlich funktionierende zivile grosstechnologie der kernfusion :das wasserstoffbombenkraftwerk

    man koennte es für weniger geld als iter verschlungen hat auf der geostationaeren umlaufbahn bauen

    nur die beschaffung des baumaterials waere teuer

    sie koennte verbilligt werden wenn man grosse weltraumkanonen auf hohen bergen am aequator baut

    oder die atomenergie benutzt um die rohstoffe des asteroidenguertels zu erschliessen

    • @satgurupseudologos:

      "man koennte es für weniger geld als iter verschlungen hat auf der geostationaeren umlaufbahn bauen"

      Das wurde bereits 1962 getestet. Da zeigte sich dann die Sinnlosigkeit von Energieerzeugung, die gleichzeitig den Energieverbrauch durch Zerstörung der Elektronik in den Endgeräten reduziert.

      de.wikipedia.org/wiki/Starfish_Prime

      de.wikipedia.org/w...cher_Impuls_(NEMP)

  • „Das verkennt die großen Herausforderungen beim klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und in der sozialen Abfederung der Transformation.“



    Ich fürchte, da wird nichts verkannt - nur Geld in Taschen geleitet, die bestimmten Politikern lieb sind.