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Fehlende Hebammen in der GroßstadtEher findet man ein Einhorn

Manche Hebammen betreuen in Berlin keine ganzen Stadtteile mehr, sondern ziehen Reviergrenzen. Die prekären Arbeitsbedingungen sind unverändert.

Alles muss man selbst machen, hoffentlich nicht auch noch Hebamme Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

J ens Spahn macht mich wütend. Nein, nicht weil er zu wenig Impfstoff rangekarrt hat oder weil er ein Laschet-Fanboi ist. Sondern, weil er es seit 2018 nicht gebacken kriegt, dem Hebammenmangel spürbar entgegenzuwirken. Klar, es gab da dieses neue Hebammengesetz, aber da geht es etwa um die Akademisierung des Hebammenberufes und ja, schön und gut, aber was bringt das den Schwangeren, die etwa hier in Berlin in diesem Jahr nach einer Hebamme suchen? Am akuten Mangel auf den Geburtsstationen ändert sich nichts, nichts an den prekären Arbeitsbedingungen und den extrem hohen Versicherungssummen.

Eine Hebamme für die Betreuung vor und nach der Geburt findet man in Ballungszentren nur mit viel Glück und wenn man, noch bevor der Schwangerschaftstest trocken ist, anfängt, alle durchzutelefonieren. Warten bis zur zwölften Woche, warten, bis man sich an den Gedanken gewöhnt hat, warten, bis man es der Familie mitgeteilt hat: ­ alles keine guten Ideen, wenn man mit der Brustentzündung im Wochenbett nicht alleine dasitzen will.

Von einer Beleghebamme, die einen durch die Geburt begleitet, ganz zu schweigen. Da trifft man in Berlin eher ein sprechendes Einhorn, als eine Hebamme zu finden, die Kapazitäten hat, im Einzugsgebiet arbeitet und auch noch am geplanten Geburtsort durch die Geburt begleitet. Und selbst wenn, müsste man sich dann noch die Pauschale für die Rufbereitschaft leisten können, die in Berlin oft um die 700 oder 800 Euro liegt, vereinzelt auch höher. Die meisten Krankenkassen tragen davon etwa 250 Euro.

Ja, in dieser Stadt geht es so weit, dass es Hebammen gibt, die keine ganzen Stadtteile betreuen, sondern anhand der Straßen die Grenzen ihrer Reviere ziehen und so entscheiden, wer sich überhaupt an sie wenden darf. Wie in so einem Gangfilm, nur ohne Waffen, dafür mit Pinard’schem Hörrohr. Die Hebammen trifft daran keine Schuld. Aber gerade in den Außenbezirken ist die Auswahl oft klein, und menschlich sollte es dann auch noch passen, denn was gibt es Intimeres als eine Geburt.

Eine Hebamme, die vier Frauen betreut

Ich hatte mal ein Gespräch mit einer Hebammme, die beiläufig ihre Sympathien für die AfD bekundete und ja, ich saß da und schluckte, und ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich nicht einen Moment abgewogen habe, ob ich das aushalten kann. Aber nein, dann lieber alleine mit der Brustentzündung.

Nun wird die sowieso schon sehr prekäre Lage durch die Pandemie nicht besser. Aktuell darf meistens noch eine Begleitperson mit zur Geburt ins Krankenhaus. Part­ne­r:in­nen sind eine Option, um eine Mindestbetreuung während der Geburt sicherzustellen. Doch einige Eltern werden, wie wir, aktuell vor dem Problem stehen, dass es pandemiebedingt an einer Betreuung für das Geschwisterkind mangelt. Dann also vielleicht doch alleine im Kreißsaal mit einer Hebamme, die nicht eine Frau betreut, wie es sein sollte, sondern zwei, drei oder vier.

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Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
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3 Kommentare

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  • Wie immer ein dickes hmmm...



    sorry es darf/muß gesagt werden.



    Hebammen tragen in der Geburtshilfe große Verantwortung jawoll.



    Freiberufliche Hebammen arbeiten viel, oft ohne geregelten Arbeitszeiten Tag und Nacht und Sonn- u. Feiertage...



    Aber die Guten, die Fleissigen und die Geschäftstüchtigen verdienen auch sehr gut.... ganz leise und im geheimen 100000/Jahr sind drin...bei den Guten, Fleissigen u. Geschäftstüchtigen, es sind nicht wenige... ein Studium das sich lohnt..es muss nicht unbedingt immer ein Medizinstudium sein. Siehe Numerus Klausus... Summa sumarum es lohnt sich !

  • Die Situation kann ich für Köln genauso bestätigen. Eine Hebamme zu suchen ist wie die Nadel im Heuhaufen zu finden....eine Beleghebamme eine Utopie...vor allem wenn man nicht im angesagten Viertel wohnt.

  • Puh. Ich werde meine Frau fragen, ob sie bei der Brustentzündung auf die Hebamme verzichtet hätte, wenn diese politisch fragwürdig wäre. Ich glaube, eher nicht. Die Schmerzen waren wohl fieser als Meuthen.



    Sollte es bei diesem Artikel um einen Bericht über die eigene Erfahrung handeln, gestatte ich mir



    a. alles Gute zu wünschen; und



    b. den Hinweis, daß man insistieren kann, daß österreichisches Namensrecht angewendet wird, was mittelfristig eine Beurkundungsgebühr spart, unter anderem.