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NS-Kontinuitäten im BundeskanzleramtCorona verzögert Aufarbeitung

Drei Forschungsprojekte, die die NS-Belastung des Kanzleramts aufarbeiten, sollten eigentlich bereits abgeschlossen sein. Nun dauert es länger.

Kanzler Adenauer und sein Vertrauter Hans Globke, Staatssekretär im Kanzleramt, 1963 in Bonn Foto: dpa/picture alliance

Berlin taz | Die Aufarbeitung nationalsozialistischer Kontinuitäten im Bundeskanzleramt verzögert sich. Anders als geplant haben mehrere Forschungsprojekte, mit denen im Auftrag der Bundesregierung die Nachkriegsgeschichte dieser wichtigen politischen Schaltzentrale untersucht wird, aufgrund der Coronakrise bislang noch nicht ihre Arbeit zu Ende bringen können. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die der taz vorliegt.

Eigentlich hätten die Forschungen des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), des Potsdamer Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) und der Universität Siegen bis November zum Abschluss kommen sollen. Doch die Auswirkungen der Coronapandemie hätten den vorgesehenen Ablauf „erheblich beeinträchtigt“, heißt es in der Regierungsantwort.

Nach aktuellem Planungsstand sei nun „angestrebt“, die Forschungsprojekte im kommenden Jahr zwischen Ende März und Ende September abzuschließen. Die zentralen Ergebnisse würden dann voraussichtlich im Oktober 2021 im Rahmen des Deutschen Historikertags in München vorgestellt.

Erst nach einem längeren politischen Hin und Her hatte sich die Bundesregierung dazu durchringen können, die NS-Belastung des Bundeskanzleramts sowie zentraler deutscher Behörden wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Im August 2017 entschied sie sich schließlich, insgesamt zehn Forschungsprojekte mit rund 4 Millionen Euro zu fördern, wovon sich drei explizit mit dem Kanzleramt beschäftigen: Das ZZF untersucht dessen politischen Umgang mit der NS-Zeit, das IfZ die Personalpolitik und NS-Bezüge, die Uni Siegen seine Kommunikationspraktiken und Netzwerke.

Adenauers Staatssekretär war vorbelastet

Zur Finanzierung der pandemiebedingten Projektlaufzeitverlängerungen stellt die Regierung nun zusätzliche Bundesmittel von insgesamt bis zu 600.000 Euro zur Verfügung. „Das Verfahren zur Bewilligung der jeweils von den Forschungsprojekten beantragten zusätzlichen Fördermittel dauert noch an“, heißt es in der Regierungsantwort auf die Linken-Anfrage.

Das Bundeskanzleramt wurde zwischen 1953 und 1963 von Hans Josef Maria Globke geleitet. Konrad Adenauers mächtiger Staatssekretär, einst Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und bis 1945 in Hitlers Reichsinnenministerium tätig, steht wie kein anderer für die Kontinuität nationalsozialistischer Funktionseliten, die in Westdeutschland ihre Karrieren fortsetzen konnten.

„Wenn man verstehen will, wie es dazu kam, dass in der frühen Bundesrepublik ‚der große Frieden mit den Tätern‘ zu einem Fundament der Staatsgründung wurde, dann kommt man um eine Aufarbeitung der Rolle des Kanzleramts nicht herum“, sagt der Linksparteiabgeordnete Jan Korte. „Deshalb bin ich gespannt, welche Ergebnisse die Forschungsprojekte im kommenden Jahr vorlegen.“

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8 Kommentare

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  • Wie es LOWANDORDER einmal an anderer Stelle schrieb, "organisierte Globke die Rückkehr der alten Eliten in Staat, Wirtschaft, Militär und Justiz.“

    Diese postfaschistische Phase hat Westdeutschland ungemein geprägt und wurd erst durch die heute schon wieder verhassten 68er bekämpft.

  • Also das Thema Globke ist doch so alt wie das Fichtelgebirge. Das hatten wir in den Siebzigern im Geschichtsunterricht. Und in der DDR wurde zugleich über die SED gespottet „Der große Freund der kleinen Nazis.“

    • 9G
      92293 (Profil gelöscht)
      @Trango:

      Vorsicht! Fichtelgebirge ist Karbon, Auseinandersetzungen waren da nur tierisch. Ein verzerrter Zeitvergleich kann sehr schnell als rechtes Gedankengut bezeichnet werden. Die NS Zeit war nach 15 Jahren vorbei. Geologisch sind 15 Jahre selten präzise nachzuweisen. Diktaturen eindämmen oder gar beenden gelingt leider nicht sehr oft.Deutschland hatte diese Herausforderung zweimal in einem Jahrhundert und die behördlichen Instanzen bleiben doch eher taub gegen solche Strömungen.

  • 0G
    01022 (Profil gelöscht)

    Der Kronjurist der SPD Arndt im Bundestag 1950: "Ich gehöre auch nicht zu denen, die über etwas sprechen, was sie nicht gesehen haben. Ich habe den Kommentar [zum Reichsbürgergesetz von Stuckart/Globke] selbst in der Hand gehabt. Ich habe mich mit ihm befasst, und es ist nicht richtig, dass er auch nur überwiegend oder überhaupt von der Tendenz getragen sei, zu helfen.Es ist sogar eine teilweise extensive Auslegung dieser Schandvorschriften darin gegeben, zum Beispiel die, dass die sogenannte Rassenschande unter Umständen sogar dann strafbar sei, wenn sie im Auslande verübt wurde. Meine Damen und Herren, wer als Jurist eine solche Tat oder Untat, wie es die Nürnberger Gesetze sind, scheinbar wissenschaftlich kommentiert, setzt sich dem Vorwurf aus, dass das, was er dort getrieben hat, kaum mit einer anderen Bezeichnung versehen werden kann als der einer juristischen Prostitution."

    • @01022 (Profil gelöscht):

      WDR-Zeitzeichen 27. Oktober 1953 - Hans Globke wird Staatssekretär im Kanzleramt -



      www1.wdr.de/sticht...anzleramt-100.html



      Für die Gegner Konrad Adenauers und der CDU ist die Nachricht ein Skandal: Am 27. Oktober 1953 wird Hans Globke Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Der promovierte Jurist war schon im "Dritten Reich" ein hoher Beamter.

      Für den damaligen SPD-Abgeordneten Egon Bahr ist rückblickend klar: "Es war die unausgesprochene Amnestie für hohe NS-Funktionäre." Denn 1935 kommentierte Globke im Berliner Innenministerium die "Nürnberger Rassengesetze". Deren Ziel war die "Reinerhaltung deutschen Blutes". Jede sexuelle Handlung mit Juden wurde unter Strafe gestellt.



      Juristischer Schreibtischtäter

      Globkes Kommentar konkretisiert den Gesetzestext, anstatt ihn zu kritisieren. "Der Dreiachteljude, der einen volljüdischen und einen halbjüdischen Großelternteil besitzt, gilt als Mischling mit einem volljüdischen Elternteil", lautet zum Beispiel eine Definition Globkes.

      "Insofern muss man Globke als Schreibtischtäter bezeichnen", sagt Peter Weber, ehemaliger Richter am Berliner Kammergericht. (Weggefährte)

      Entlastung durch Persilscheine



      Adenauer sieht das anders: "Ich meine, wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei mal Schluss machen!" Seine Devise: "Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat." Für ihn kann der neue Staat ohne Alt-Nazis in der Beamtenschaft nicht funktionieren.

      Globke profitiert davon, dass sein NSDAP-Aufnahmeantrag 1941 abgelehnt wurde. Er war den Nazis zu katholisch.(Zentrum). 1947 stuft eine Spruchkammer Globke als "unbelastet" ein. Er hat sich dafür Entlastungsschreiben, sogenannte Persilscheine, organisiert.…

      1961 will die israelische Justiz Globke als Zeugen im Eichmann-Prozess vernehmen. Aber Adenauer verhindert das mit hohen Wiedergutmachungszahlungen an Israel.… usw usf

      So geht das

  • Echt jetzt? Fast 80 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft verzögert Corona die Aufarbeitung der NS-Verstrickungen des Kanzleramtes? Verdammt! Und ich dachte, die Übersterblichkeit der letzten Jahrzehnte wäre jeweils eine grippebedingte gewesen...!

  • Mit der wichtigen Ergänzung:

    “… Das Bundeskanzleramt wurde zwischen 1953 und 1963 von Hans Josef Maria Globke geleitet. Konrad Adenauers mächtiger Staatssekretär, einst MITVERFASSER und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze & & & - und bis 1945 in Hitlers Reichsinnenministerium tätig, steht wie kein anderer für die Kontinuität nationalsozialistischer Funktionseliten, die in Westdeutschland ihre Karrieren fortsetzen konnten.…“

    kurz - …anschließe mich.

    unterm——— servíce—



    de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke



    Frauman schaue sich dieses “ach wie arglos“ -



    BackpfeifenSackjeseecht an.



    “ Bei seiner Entnazifizierung gab Globke an, er sei im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewesen, und wurde von der Spruchkammer daher am 8. September 1947 in die Kategorie V (unbelastet) eingeordnet.[18] Globke war beim Wilhelmstraßen-Prozess sowohl Zeuge der Verteidigung als auch Zeuge der Anklage.[19] Im Prozess gegen Stuckart sagte er als Zeuge der Anklage aus: „Ich wußte, daß die Juden massenweise umgebracht wurden.“[20]

    Von 1948 bis 1949 war Globke Vizepräsident des Landesrechnungshofs in NRW.“



    & dann



    Ging’s unter Ol Conny - weiter im Text •

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - wirft ein -

      “ "Man soll schmutziges Wasser nicht fortschütten, solang man noch kein saubres hat..." soll angeblich (sinngemäß) K.A. in der Angelegenheit Globke gesagt haben. Schon ein doller Trick. Reinwaschung mit schmutzigem Wasser... "Dat Wasser vun Kölle is .." www.youtube.com/watch?v=En-g9gLh1QM

      kurz - “Junger Mann - da wissense mehr wie ich!“ - 🤫 -