Kommentar NS-Geschichte im Kanzleramt: Schaltstelle des Schweigens

Etliche Ministerien und Behörden haben inzwischen ihre NS-Kontinuitäten aufgearbeitet. Dass sich das Kanzleramt weigert, ist grotesk.

Wolken über dem Kanzleramt werden von der Abendsonne angestrahlt

Himmel über dem Kanzleramt im August Foto: dpa

Was treibt eigentlich das Bundeskanzleramt, dass es immer noch nicht bereit ist, seine eigene Geschichte angemessen aufarbeiten zu lassen?

Vor der Jahrtausendwende fiel die Antwort nicht schwer. Damals lebten schlichtweg noch allzu viele NS-belastete Interessenten des Vergessens. Deren Leumund zu schützen, hatten sich die Bundesregierungen von Adenauer bis Kohl verpflichtet gesehen. Das „kommunikative Beschweigen“ der Gründerjahre wirkte auch in den folgenden Jahrzehnten nach und prägte die politische Kultur in der Bundesrepublik tief.

Es war leicht, den Nationalsozialismus scharf zu verurteilen, solange nur der Kreis der Verantwortlichen eng genug gezogen wurde. So ließen sich unangenehme Fragen nach problematischen Personenkonstellationen, Kontinuitätslinien und aus der NS-Zeit fortwirkenden Mentalitäten ausblenden – oder, wie im Fall von Adenauers Kanzleramtschefs Globke, als „DDR-Propaganda“ abtun.

Aber das war früher. Mit dem Ableben der Erlebnisgeneration haben sich die alten Loyalitätszusammenhänge weitgehend aufgelöst. Es hat zwar allzu lange gedauert, bis sich die bundesdeutschen Institutionen mit ihren braunen Flecken auseinandersetzten. Doch inzwischen hat sich viel getan. Siebzehn Ministerien und oberste Bundesbehörden haben in den vergangenen Jahren Historikerkommissionen eingesetzt.

Nur das Bundeskanzleramt weigert sich hartnäckig – obwohl es die für die Personalpolitik der Bundesregierung zentrale Schaltstelle war und ist. Es wäre endlich an der Zeit, diese gravierende Forschungslücke zu schließen. Wenn Kulturstaatsministerin Monika Grütters – gegen das einhellige Votum der Sachverständigen in der Bundestagsanhörung vom Juni – trotzdem nur ein „ressortübergreifendes Forschungsprogramm“ auflegen will, ist das geradezu grotesk. Der Verdacht liegt nahe, dass hier weiter verschleiert werden soll.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.