piwik no script img

Ehemalige FDJ-Schule verfällt immer mehrAm See mit Geschichtsblick

Ein geschichtsträchtiger Ort: Am Bogensee gibt es unterschiedliche Interessen, was mit Hinterlassenschaften aus Nazi- und DDR-Zeiten passieren soll.

Die Zeit hat auf dem Gelände der ehemaligen FDJ-Jugendhochschule ihre Spuren hinterlassen Foto: Christian Thiel

Wandlitz taz | Um das Areal am Bogensee, rund 15 Kilometer nördlich vom Berliner Stadtrand gelegen, bahnt sich ein Konflikt zwischen Berlin und Brandenburg an. Es geht um Fragen des Denkmalschutzes und darum, was überhaupt auf dem Gelände passieren soll.

Was macht eigentlich?

taz-Serie: Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber ein Text erschienen ist. Deshalb fragen und haken wir bei ProtagonistInnen noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2020/21 erzählen wir einige Geschichten weiter. Alle Texte sind online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)

Das 168.000 Quadratmeter große Grundstück in der Brandenburger Gemeinde Wandlitz hat Berlin vor gut 100 Jahren günstig von einem verarmten Adeligen erworben. Hier finden sich der einstige Landsitz von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels (zu DDR-Zeiten Konsum und Kita) und die ehemalige Jugendhochschule der DDR-Jugendorganisation FDJ, ein gigantischer Stalin-Bau mitten im Wald. Beide Gebäudekomplexe stehen unter Denkmalschutz, sind seit der Jahrtausendwende leer und verfallen zusehends. Bäume wachsen in den Dachrinnen und wurzeln im Fundament der Gebäude. Moos wuchert an Teilen der Architektur.

Verwalterin des Grundstücks ist die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM). Das bringt es mit sich, dass nicht die Kultur-, Hochschul- oder Ökopolitiker im Berliner Abgeordnetenhaus für den Bogensee zuständig sind, die dort vielleicht kreative Ideen entwickeln könnten, sondern Haushälter.

Wie beispielsweise der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann. Ihm sind die Viertelmillion Euro Betriebskosten ein Dorn im Auge, die Berlin jährlich für die denkmalgeschützten Ruinen ausgibt. „Wir müssen mit dem Land Brandenburg sprechen, auch mit dem Denkmalschutz, ob wir die Gebäude nicht abreißen und das Grundstück renaturieren können“, sagte er der taz im Sommer. Ein Investor sei nicht in Sicht und einen Bedarf an einer Nutzung der Gebäude sah der Kämmerer auch nicht. Sein Kollege Steffen Zillich von der Linken sagt immerhin: „Eine Nutzung muss mit der Historie vor Ort umgehen.“ Aber er räumt ein: „Ich habe Verständnis, dass die BIM nicht die Investitionskosten für eine Nutzung übernimmt, die es dann doch nicht gibt.“

Nur Wohnungsbau würde sich rechnen

Die BIM hat eine Machbarkeitsstudie für den Komplex in Auftrag gegeben, die noch geheim ist. Doch es ist durchgesickert, dass sie großflächigen Wohnungsbau plant, unterschiedlichen Quellen zufolge für 4.000 oder 4.800 Menschen. Nur Wohnungsbau würde sich rechnen, heißt es. Dazu sollen eine Schule, eine Kita, eine Seniorenresidenz und ein Hotel entstehen. Die Goebbels-Villa soll ein Haus der Geschichte werden. Und Sprecherin Johanna Steinke sagte der taz im Sommer ganz offen, dass vorgesehene Nutzungen nicht funktionieren werden, wenn der Denkmalschutz so bleibt. Hier müsse sich ihrer Meinung nach das Land Brandenburg bewegen, das die Gebäude unter Denkmalschutz stellt.

Verantwortlich dafür ist das Brandenburger Kulturministerium. Sprecherin Anne-Rose Nachtigall sagt der taz, dass das Ministerium keinerlei gesetzlichen Ermessensspielraum habe, den Denkmalschutz aufzuheben oder aufzuweichen. „Bei beiden Gebäuden handelt es sich um bauliche Zeugnisse, die besonders geeignet sind, die politischen Verhältnisse ihrer Zeit zu dokumentieren und deren diktatorisch geprägte Grundstruktur aufzuzeigen.“

In Anordnung, Bauweise und Fassadengestaltung der Gebäude beider Zeitabschnitte widerspiegelten sich, so Nachtigall, „die offiziell propagierten stilistischen Leitbilder der jeweiligen Entstehungszeit sehr anschaulich“. Die Gebäude der FDJ-Schule gehörten zudem „unter bau- und gartenkünstlerischen Gesichtspunkten zu den interessantesten Beispielen der frühen DDR-Architektur“, das Ensemble entfalte eine „sehr eigenständige räumliche Wirkung“. Deutlicher kann die Absage an Berliner Pläne zu Abriss oder großflächigem Wohnungsbau nicht ausfallen. Bereits im Herbst sei zudem ein Ortstermin der Denkmalbehörde mit der BIM vereinbart gewesen. Coronabedingt wurde er auf 2021 verschoben.

Die einstige Kaderschmiede der DDR-Jugendorganisation FDJ verfällt ungenutzt zusehends Foto: Christian Thiel

Die Gemeinde Wandlitz, die für das Planungsrecht zuständig ist, möchte sich zu der von der Berliner BIM in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie nicht äußern, weil ihr, so Gemeindesprecherin Elisabeth Schulte-Kuhnt, das Papier noch nicht zur Verfügung gestellt wurde.

Wohnungen mitten im Wald

Isabelle Czok-Alm, die für die Linke in der Gemeindevertretung sitzt, ist weniger zurückhaltend. Sie lobt die BIM zwar dafür, dass sie von dem noch vor zehn Jahren präferierten Vorhaben abgerückt ist, den Bogensee zu verkaufen. Damit hätte die Goebbels-Villa möglicherweise über Umwege in die Hände von Rechtsextremisten gelangen können. Doch sie kritisiert auch das Berliner Vorhaben, mitten im Wald großflächig Wohnungen zu bauen. „Was wir in Wandlitz vor allem brauchen, sind Wohnungen im Niedrigpreissegment, und die können in den denkmalgeschützten Gebäuden wohl kaum entstehen,“ sagt sie der taz.

Auf dem denkmalgeschützten Gelände der ehemaligen FDJ-Jugendhochschule Foto: Christian Thiel

Außerdem wären für so viele Wohnungen noch Zufahrtsstraßen mitten durch den Wald nötig. „Von so massiven Eingriffen in die Natur halte ich nichts“, sagt Czok-Alm. Sie würde sich stattdessen eine Nutzung wünschen, die der Geschichte des Ortes gerecht wird. So exzessive Bauvorhaben, wie Berlin sie plane, würden nach Ansicht der Kommunalpolitikerin „bei den meisten Menschen in der Gemeinde und einem großen Teil der GemeindevertreterInnen nicht auf Gegenliebe“ stoßen.

Während Berlin zum Bogensee nur Vorschläge unter Kostengesichtspunkten entwickelt, gibt es in Brandenburg andere Ideen. So bereitet das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam eine Onlineausstellung vor, die die Geschichte vom Bogensee dokumentieren soll. Vor Ort sollen Infostelen entstehen. Kaum vorstellbar, dass Berlin danach noch Gebäude abreißen kann oder sie auf eine Weise nutzt, die ihre Geschichte nicht mit einbezieht.

Touristisch nutzen

Wandlitzer Bürger haben zudem mit LKC Bogensee eine Genossenschaft gegründet, die eine andere Verwertung der historischen Gebäude mitten im Wald anstrebt als die Berliner BIM. Es geht um einen Mix aus Kultur, Bildung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und vor allem um den Erhalt der Natur und der denkmalgeschützten Gebäude, verrät Sprecher Dirk Schneider der taz. Die Bildungsangebote sollen sich der Geschichte des Ortes gemäß um totalitäre Systeme drehen, aber auch um Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung.

Das Konzept wird Schneider zufolge seit einem Jahr entwickelt. „Die BIM hat unseren Wunsch, mit ihr zu sprechen, lange Zeit ignoriert. Erst als es uns gelang, unsere Vorstellungen in einer Brandenburger Zeitung vorzustellen, wurden wir zu einem Gespräch eingeladen.“

Anfang 2020 lehnte die BIM ein anderes Anwohnerprojekt ab, weil die Initiatoren sie nicht von dessen wirtschaftlicher Tragfähigkeit überzeugen konnten. Die Akademie Bogensee GmbH wollte in den Gebäuden Hochschulinstitute ansiedeln und sie touristisch nutzen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Was soll denn die Hütte kosten? Wenn es bezahlbar ist, setzen wir da die taz-Redaktion rein. Viel besser als Touristen ;-)