Medienkonzentration in Deutschland: Die Macht der Konzerne
Medienunternehmen sollen nie so viel Marktanteil haben, dass sie die Meinung bestimmen. Aber die Gesetze, die das regeln, sind veraltet.
Die Bild hat vorgelegt, nun zieht RTL nach. Der Privatsender will ebenfalls ein Live-Video-Angebot im Netz starten, um jederzeit auf Nachrichtenlagen zu reagieren. Ob der Kölner Konzern das aber überhaupt darf, darüber musste erst die KEK entschieden, die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich – eine Gruppe von Sachverständigen. Und die urteilte im Dezember: RTL darf. Denn seine Meinungsmacht sei allen Aktivitäten zum Trotz keine Gefahr.
Die KEK prüft seit Ende der 90er Jahre die Medienmacht der Konzerne – und zwar unabhängig von Standortinteressen, die zum Beispiel die Landesmedienanstalten umtreiben. KEK-Berichte sind frei zugänglich, begleitet von Grafiken über die Verflechtungen der Szene. Die KEK schafft damit Transparenz in einem für Außenstehende eher undurchsichtigen Markt.
So ist zum Beispiel auf einen Blick ersichtlich, was eine aktuelle KEK-Grafik aufschlüsselt: Bertelsmann ist über acht Stufen an der RTL Television GmbH beteiligt, zu der auch das deutsche Vollprogramm RTL gehört und – über einen weiteren Abzweig – n-tv. Wer noch hinter RTL-Sendern steckt, zeigen andere Pfeile, etwa zu RTL2, bei dem noch immer die Verlagshäuser Bauer und (ein kleines bisschen) Burda mitmischen, mittelbar auch Walt Disney, das wiederum noch stärker auch hinter SuperRTL steht.
Die KEK rechnet zum Beispiel so: Von allen Fernsehzuschauenden haben zuletzt gut 22 Prozent die RTL-Sender eingeschaltet. Weil der Hauptsender auch noch Regionalprogramme und Sendungen von Dritten wie Spiegel TV und Stern TV zeigt, ziehen die Prüfer knapp 5 Prozent ab. Das mache „bei der Bewertung nur noch ein[en] Zuschaueranteil von 17,3 Prozent“. Unruhig wird die Kommission erst in Richtung 30 Prozent Zuschaueranteil, das ist die Alarmgrenze. Weil RTL davon nach der aktuellen Berechnung weit entfernt ist, darf es seinen Stream-Kanal starten.
„Fehler im System“
Aber ist diese Berechnungsmethode noch zeitgemäß, um festzustellen, welche Medienkonzerne wie stark auf die Gesellschaft einwirken können? „Meinungsmacht wird am klassischen, linearen Fernsehen gemessen“, erklärt Georgios Gounalakis. Er sitzt der KEK seit bald vier Jahren vor. Was im Netz passiere, dürften er und seine Kolleg*innen hingegen in aller Regel nicht prüfen. „Das ist ein großer Fehler im System.“
Nur wenn der Zuschaueranteil 25 Prozent überschreitet, dürfen die Prüfer auch andere Märkte dazurechnen, um herauszufinden, ob die Marktmacht aus Fernsehprogrammen und etwa Zeitungen oder auch Produktionsgesellschaften das gegenwärtige Limit überschreitet. So hatte die KEK zum Beispiel 2006 untersagt, dass Axel Springer – damals noch ein klassischer Zeitungs- und Zeitschriftenverlag – mit der Sendergruppe ProSiebenSat1 zusammengehen konnte. Ein Gericht kippte das zwar – zur Fusion kam es dennoch nie. Das Urteil zeigte aber schon damals die Reformnot beim Medienkonzentrationsrecht.
Die KEK schaut sich weiter an, was Springer macht – auch, weil dieser Medienkonzern inzwischen mit „Welt“ selbst zum Fernsehveranstalter geworden ist. „Welt“, das man bis 2018 noch unter N24 kannte, geht ironischerweise zurück auf das Fusions-Hickhack mit ProSiebenSat1 in den 2000ern. Doch sogar die Livestreaming-Offensive von Bild ist bei den KEK-Prüfungen außen vor: Bild sendet nicht im klassischen TV.
Wer aber wissen will, welche Macht Springers Großinvestor KKR im deutschen Medienmarkt hat, erfährt unter anderem, dass KKR mittelbar auch an RTL2 beteiligt ist und an dem aufstrebenden TV- und Filmlieferanten Leonine. Vieles, was KKR stützt, ist aber nun mal kein direkter Fernsehbetrieb und damit für die KEK derzeit irrelevant.
Medienvielfalt schützen
Inzwischen arbeiten die Länder an einem neuen Medienkonzentrationsrecht. „Wir halten es für dringend renovierungsbedürftig“, betonte im Herbst Heike Raab. Die SPD-Politikerin koordiniert die Medienpolitik der Länder und will weg von der „bisher sehr fernsehzentrierten Sicht“.
Raab hat eine Arbeitsgruppe installiert zu der Frage, wie Medienvielfalt geschützt werden kann. Aber um Stiftungen oder Abgaben von Facebook und Co geht es dabei nicht. Vielmehr sollen beim Blick auf Medienkonzerne und -geldgeber alle Aktivitäten beleuchtet werden. Erst dann wären etwa auch Streamingangebote ein Thema, von deutschen Sendergruppen wie RTL oder ProSiebenSat1, aber auch aus den USA. „Auf diesem Auge sind wir derzeit blindgemacht“, sagt KEK-Vorsitzender Gounalakis. Er würde gerne auch auf Netflix und Amazon schauen, darf es aber nicht, obwohl auch sie zunehmend deutsche Produktionen einstellen, auch Dokumentationen und Dokuserien.
Eigentlich sollte das große Update beim Medienkonzentrationsrecht längst da sein: Die Länder wollten es von Anfang an in ihrem Medienstaatsvertrag verankern, der Ende vergangenen Jahres den überholten Rundfunkstaatsvertrag ersetzt hat. Allerdings hatten Bayern und Nordrhein-Westfalen gebremst. Das ist kein Zufall: In Köln sitzt RTL, in München ProSiebenSat1. Die beiden Länder wollten offenbar nicht das Risiko eingehen, dass neue Spielregeln die „eigenen“ Konzerne einengen könnten.
Nun verhandeln die Länder also weiter. Das Portal medienpolitik.net ist zum Forum für diese Debatte geworden. Wie schwerfällig sie ist, zeigt ein dort veröffentlichtes Gespräch mit dem CDU-Politiker Dirk Schrödter. Der Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei mahnte: Eine Einigung könne nur gelingen, „wenn die Länder trotz des Wunsches, auch die eigenen Interessen durchsetzen zu wollen, das oberste Ziel eines funktionierenden Medienkonzentrationsrechts nicht aus den Augen verlieren“. Ein klares Signal an Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Die Länder planen noch viele Gespräche mit Expert*innen. Unklar ist etwa, auf welche Daten sich eine viel weitreichendere Bewertung der Medienkonzerne und -geldgeber stützen soll, wenn es um publizistische Wirkmacht geht. Bestenfalls wird über die künftigen Währungen und Grenzen bei der Medienkonzentration aber nicht hinter verschlossenen Türen entschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln