: „Tag der Hoffnung“
Julian Assanges Unterstützer*innen atmen auf – doch der Kampf um seine Freilassung und für die Pressefreiheit ist noch nicht gewonnen
Von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Auf den Straßen vor Londons Old Bailey, dem zentralen Kriminalgericht Englands, verfielen Unterstützer*innen Julian Assanges in spontanen Jubel und Tanz, manche mussten ein paar Mal nachfragen und sich des Urteilsspruchs vergewissern, bevor sie es glauben konnten. Doch spätestens als John Reese von der Kampagne „Free Julian Assange“ sich vor die Presse stellte, war es bestätigt: Die britische Richterin Vanessa Baraitser weist den US-Antrag zur Ausweisung Julian Assanges an die Vereinigten Staaten ab.
Sie tat dies allerdings nicht, weil der Antrag unbegründet sei, sondern einzig allein aufgrund der mentalen Verfassung Julian Assanges. Die Sonderbedingungen in US-Strafhaft für Spionagefälle könnten für Assange, der bereits einen Suizid erwogen habe und deswegen unter ständiger Bewachung sei, lebensgefährlich sein. Sie stimmte medizinischen Untersuchungen zu, dass die Gefahr eines Suizids von Assange, der mit ASD/Asperger-Syndrom diagnostiziert ist, hochwahrscheinlich sei. Dabei wurde auch der Fall des Sexualstraftäters Jeffrey Epsteins erwähnt, der sich trotz angeblich engmaschiger Überwachung im August 2019 in einem New Yorker Gefängnis erhängt hatte.
Mit diesem Urteil hatten wenige gerechnet. Als von den wenigen zugelassenen Journalist*innen die ersten Tweets an die Öffentlichkeit gelangten, sah es zunächst so aus, als würde die Richterin dem Auslieferungsantrag zustimmen. Die Verteidigung habe lediglich „eine andere Version der Ereignisse“ als die Anklageinstanz geboten, urteilte sie beispielsweise zum Vorwurf, dass Assange Chelsea Manning zum Diebstahl von Daten ermuntert hätte.
Die Frage, ob Assange versucht habe, potenzielle Opfer der Veröffentlichungen durch eine möglichst weite Verbreitung der Leaks zu warnen, damit sie sich in Schutz bringen können, bezeichnete sie als eine Frage eines Prozesses und nicht einer Auslieferungsanhörung. Das Ausspionieren Assanges in der ecuadorischen Botschaft in London sei wiederum Teil eines juristischen Verfahrens in Spanien, so die Richterin.
Sie stimmte außerdem dem Argument der Anklage zu, dass Assanges Arbeit teilweise politisch motiviert gewesen sei. Interessant war auch ihre Bemerkung, dass es keine Beweise gebe, dass die US-Regierung Assange in der extremsten Form bestrafen wolle. Assange könne in den USA mit einem fairen Prozess rechnen. Auf der anderen Seite bestätigte sie immerhin, dass es nicht richtig sei, dass Assange und Wikileaks Menschenleben gefährdet hätten.
John Reese gab vor den vor dem Gebäude Versammelten an, dass die Richterin zwar 95 Prozent der Anklage zugestimmt habe. Das Urteil sei aber dennoch ein Anlass zum Feiern – trotz der Tatsache, dass von den USA gegen das Urteil wohl Revision eingelegt werde. Dazu hätten sie nun 14 Tage Zeit.
Rebecca Vincent von der Organisation Reporters without Borders, der NGO, die alle Teile des Verfahrens begleitet hatte, sagte, sie stimme den Aussagen des Urteils da nicht zu, wo es konstatiert, dass Assange politisch motiviert gewesen sei und es nicht um Meinungsfreiheit gehe. Ferner unterstrich sie, dass die Hürden, welche ihnen in den Weg gestellt wurden, um den Fall zu verfolgen, groß gewesen seien. Die Organisation werde sich in Großbritannien für einen offeneren Zugang zur Justiz einsetzen.
Auch Fidel Narváez, der Konsul Ecuadors zu der Zeit, als sich Assange noch in der Londoner Botschaft des südamerikanischen Landes aufhielt, nannte das Urteil einen Sieg aller, die Assange unterstützten und nie aufgegeben hätten. Er gab an, er sei einerseits stolz, dass sein Land Assange Schutz gewährt habe. Aber es sei andererseits eine Schande, dass die nachfolgende Regierung seine Auslieferung an die britischen Behörden zugelassen hatte. Am Nachmittag kam ein anderes lateinamerikanisches Land Assange zu Hilfe: Mexikos Präsident Manuel López Obrador bot ihm politisches Asyl an.
Auf Kristinn Hrafnsson, den derzeitigen Wikileaks-Chefredakteur, und Stella Moris, die Verlobte Julian Assanges, musste die Menge lange warten. Im Gericht wurde nach dem Urteil noch langwierig über Bedingungen für eine Kaution verhandelt.
Stella Moris, Assanges Lebensgefährtin
Als Moris schließlich aus dem Gericht kam, sagte sie, dass, anders als gehofft, Assange heute nicht freigelassen werde. „Heute ist nicht der Tag, aber er kommt bald“, versprach sie und sagte weiter: „Wir feiern diesen Tag als Tag der Hoffnung und der ersten Schritte zur Gerechtigkeit.“ Es sei jedoch kein guter Tag für die Pressefreiheit, da die Anklagevorwürfe nicht fallen gelassen worden seien. „Wir werden nie akzeptieren, dass Journalismus ein Verbrechen ist“, erklärte sie.
Allen Unterstützer*innen dankend, forderte sie, dass diese „nun lauter rufen müssten, bis Assange frei“ sei, denn es gehe nicht nur um seine Rechte, sondern um die Rechte aller, die in einem Wimpernschlag verloren gehen könnten. Sie forderte Donald Trump auf, die Anklage fallen zu lassen und Julian zu befreien, sodass „unser kleiner Junge seinen Vater haben kann“.
Hrafnsson betonte danach, man müsse vorsichtig sein, denn das Strafverfahren sei so lange nicht vorbei, bis Julian frei sei. Auch er bezeichnete das Urteil als einen Hoffnungsschimmer und wiederholte, das Urteil sei kein Sieg für den Journalismus. Die USA sollten die Anklage fallen lassen.
Vor dem Old Bailey hatten sich trotz des Versammlungsverbots viele Unterstützer*innen versammelt. Sie wurden jedoch von Polizisten abgedrängt. Nach dem Urteil meldete sich auch Edward Snowden zu Wort und schrieb: „Holy Shit!“ Und danach. „Lass dies das Ende sein!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen