Corona und die Impfstoffstrategie: Der Markt hätte es gerichtet
Die Regierung unterstützt die Pharmakonzerne in der Impfstoffentwicklung. Im Gegenzug hätte sie die Firmen verpflichten müssen, Lizenzen zu vergeben.
G esundheitsminister Jens Spahn und mit ihm die Europäische Union haben bei ihrer Impfstoffstrategie gegen Corona einen Fehler gemacht, der sich nun rächt: Sie hätten als Treuhänder öffentlichen Kapitals mehr, wie man sagt, return on investment fordern sollen. Und zwar in Form eines Zugriffs auf die Technologien, deren Entwicklung mit Milliarden Euro gefördert wird. Diese müssten in der Logik öffentlicher Güter weltweit frei zugänglich sein, in der Logik des Schutzes geistigen Eigentums könnten die Patente bei den Entwicklern bleiben, die durch Lizenzzahlungen monetär entlohnt würden.
Es wird 2021 zwar genug Impfstoff geben, um die Pandemie zu stoppen, aber die Produktion läuft zu langsam an. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob bereits im März die vulnerabelsten Gruppen in Deutschland durchgeimpft sind oder erst im Juni. Jede Woche Verzögerung kostet Menschenleben, jede Woche Lockdown treibt mehr Menschen in den Ruin oder die Verzweiflung. Doch eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft und eine von einer Deutschen geführte EU-Kommission haben sich auf den Erfolgsmeldungen über die schnelle Impfstoffentwicklung ausgeruht.
Ihre Strategie war simpel: Die öffentliche Hand unterstützt Pharmafirmen mit Milliarden, Behörden beschleunigen die Zulassung der Impfstoffe, indem sie jedes Fitzelchen Daten über Wirksamkeit und Sicherheit auswerten, sobald es da ist – und nicht erst in aller Ruhe, wenn die klinischen Studien fertig sind. Parallel bestellte die EU gebündelt Impfdosen, deren Wirksamkeit noch nicht erwiesen war. Die Hersteller wussten: Sie werden die Dosen los, egal ob sie wirken oder nicht. Dafür begannen sie frühzeitig mit der Produktion. Parallel kümmerte sich die Politik um den Aufbau der Impflogistik und vermied, zumindest innerhalb der EU, ein Wettbieten der Nationalstaaten. Bis dahin ging der Plan auf.
Aber jetzt, Anfang 2021, ist die Lage desolat, täglich erliegen Tausende dem Virus, und wir alle sollen und müssen uns isolieren. Es ist logisch, dass in der Situation viele fragen, ob das mit der Impfstoffproduktion nicht schneller hätte gehen können. Es tat sich sogar eine skurrile, marktsozialistische Koalition aus Linker und FDP auf, die gleichermaßen forderten, der Impfstoff von Biontech müsse schneller produziert werden in Lizenz, zur Not Zwangslizenz von mehr Herstellern.
Die Idee ist richtig. Aber die Debatte darüber hätte vor einem halben Jahr geführt werden müssen. Wenn Jens Spahn jetzt sagt, man könne einen komplexen mRNA-Impfstoff nicht einfach mal so irgendwo in Lizenz herstellen, liegt er richtig – unterschlägt aber natürlich, dass es sein Job gewesen wäre, sich frühzeitig um dieses Problem zu kümmern.
Politische Führung wäre gewesen, Hersteller wie Biontech, Pfizer, AstraZeneca oder Moderna früh mit weniger Zuckerbrot und mehr Peitsche dazu zu bringen, ihre Technologien anderen Herstellern gegen Lizenzen zur Verfügung zu stellen. Die Weltgesundheitsorganisation fordert genau das seit April, C-TAP heißt die Idee, die auch Entwicklungsländer ermächtigen könnte, Vakzine herzustellen, statt auf Almosen zu warten. Blaupausen derartiger Lizenzverträge existieren, sie kamen bereits im Kampf gegen HIV zum Einsatz. Die Pharmakonzerne würden nicht enteignet. Die Maßnahmen wären mit Welthandelsrecht vereinbar. Nur macht bis heute niemand mit: EU und Bundesregierung hatten außer warmen Worten für die Initiative bisher nichts übrig.
Dabei wäre C-TAP genau jene marktsozialistische Linke-FDP-Lösung gewesen: ein harter staatlicher Eingriff. Danach hätten Regierungen, Generikahersteller oder völlig neue Akteure wie NGOs oder Stiftungen überall auf dem Planeten eigene Lösungen für eine schnellere Impfstoffproduktion erarbeiten können. Es wäre eine Entfesselung der Marktkräfte gewesen, die in dem Fall heilsam hätte sein können.
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