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Europa-Politikerin über inklusive Arbeit„Werkstätten fehlt der Mindestlohn“

Wir müssen das System der Werkstätten für Menschen mit Behinderung hinterfragen und uns davon verabschieden, sagt die Politikerin Katrin Langensiepen.

Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in Berlin-Teltow Foto: Karsten Thielker
Jasmin Kalarickal
Interview von Jasmin Kalarickal

taz: Frau Langensiepen, Sie sind Europaabgeordnete, wie schneidet Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten in puncto Inklusion ab?

Katrin Langensiepen: Wenn wir darauf schauen, wie Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzt, kann ich nur sagen: Es hakt an allen Ecken und Enden. Für einen so reichen Industriestaat sind wir weit von den Zielen entfernt und werden dafür im Staatenbericht auch regelmäßig kritisiert. Aber ein Vergleich ist schwierig: Geht es um Schule, den Arbeitsbereich oder geht es um Mobilität?

Wofür wird Deutschland besonders kritisiert?

Dass wir an den Werkstätten für Menschen mit Behinderung festhalten oder dass wir ein sehr ausgrenzendes Schulsystem haben zum Beispiel. Das mehrgliedrige Schulsystem mit Gymnasium, Realschulen und Förderschulen zeigt ja, wie gerne wir Menschen kategorisieren und in Schubladen stecken. Wir halten an liebgewonnenen, alten Förderstrukturen fest.

Im Interview: Katrin Langensiepen

41, ist seit 2019 Abgeordnete im Europaparlament und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Die Grünen/EFA. Als einzige weibliche Europaabgeordnete mit sichtbarer Behinderung engagiert sie sich auch für die Rechte von Menschen mit Behinderung und versucht, eine europäische Strategie gegen Diskriminierung voranzubringen.

Laut Konvention müsste der erste Arbeitsmarkt für alle offen und inklusiv sein. In der Realität sind aber viele Menschen mit Behinderung in Werkstätten beschäftigt. Würden Sie die gerne abschaffen?

Ich würde sie gerne endlich auslaufen lassen. Die Werkstätten hatten in der Vergangenheit ihre Berechtigung, sie wurden von Eltern ins Leben gerufen, die sich gefragt haben: Wie ist mein Kind finanziell abgesichert, wenn ich nicht mehr bin. Das ist nachvollziehbar. Wir müssen uns aber heute fragen: Was steht hinter dem System der Werkstätten? Es geht nicht darum, Menschen in Werkstätten im Stich zu lassen, sondern Alternativen zu schaffen, die Menschen mit Behinderung ihre Rechte einräumen.

Was stört Sie an den Werkstätten?

Dass die Menschen abseits des regulären Arbeitsmarkts arbeiten und keinen Arbeitnehmerstatus haben. Sie bekommen keinen Mindestlohn, sie können keinen echten Betriebsrat gründen. Wenn Sie in den Baumarkt gehen und Schrauben in Tüten sehen, wissen Sie, wer die Schrauben in die Tüten gepackt hat? Die Menschen in den Werkstätten bekommen aber keinen Lohn dafür, sondern ein Taschengeld.

Welchen Status haben Menschen, die in den Werkstätten arbeiten?

Den des Rehabilitanden – also sie sollen wieder auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden, aber das passiert nicht. Denn hinter den Werkstätten steht ein Wirtschaftssystem, das Aufträge entgegennimmt von Firmen wie VW, Conti, Wabco oder Heinz Ketchup. Die Werkstätten sind Unternehmen, sie haben kein Interesse daran, dass die Leute auf den ersten Arbeitsmarkt kommen. Da wird in der Regel niemand motiviert, es überhaupt zu versuchen. Da heißt es oft: „Draußen ist es gefährlich, das schaffst du nicht. Da wirst du gemobbt.“ Aber ich frage mich: Warum sollte es in einer Werkstatt kein Mobbing geben?

Gäbe es mit der Abschaffung der Werkstätten faktisch nicht noch weniger Arbeitsmöglichkeiten?

Es heißt immer, es geht um Teilhabe. Aber es geht doch nicht nur um Teilhabe, sondern darum, seinen Lebensunterhalt selbstbestimmt zu finanzieren, wie jeder andere auch. Der Jetzt-Stand ist, dass die Menschen, die zwanzig Jahre in den Werkstätten arbeiten, in Kombination mit der Grundsicherung, eine Rentenberechtigung haben. Ein junger Mensch, der in einer Werkstatt anfängt, investiert also nicht in seine Zukunft, sondern schon in sein Ende. Wer profitiert von diesem System? Die Werkstätten sind vom Prinzip her nicht darauf aufgebaut, einen echten Mindestlohn zu zahlen, denn dann wären sie pleite. Außerdem geht es da nicht immer flauschig zu.

Wie meinen Sie das?

Die Werkstätten haben ein hohes Ansehen in der Gesellschaft. Aber es gibt Werkstätten gegen die Strafverfahren laufen, da geht es um Missbrauch und psychische Gewalt. In manchen Werkstätten ist der Produktionsdruck sehr hoch. Mir wird oft vorgeworfen, ich will die Werkstätten schließen und dann stehen die Leute auf der Straße. Das ist nicht mein Anliegen. Die Förderung von Werkstätten verstößt gegen die UN-Konvention, das habe ich mir nicht ausgedacht. Kritische Debatten um die Werkstätten muss es geben können, ohne bedroht zu werden. Menschen die dort arbeiten, müssen gehört werden.

Wie kann Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt besser funktionieren?

Es gibt beispielsweise Inklusionsfirmen wie zum Beispiel Inklusionscafés, da ist nicht alles perfekt, aber dort gibt es richtige Verträge und Gehälter, es gibt Arbeitsbedingungen wie für einen nicht-behinderten Menschen. Auf EU-Ebene müssen wir darüber reden, welche Arbeitsmarktförderungen wir ins Leben rufen können, die dann über die Landesebene besser abrufbar sind. Wir müssen die Privatwirtschaft mitnehmen, schließlich sollen sie die Leute ja einstellen. Noch sind viele Vorurteile und Unsicherheiten da. Die Frage nach einem sozialen Arbeitsmarkt müsste neu gestellt werden, wir könnten über Kombilöhne diskutieren, also teilsubventionierte Löhne.

Sie haben einen EU-Bericht erarbeitet, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Unter anderem fordern Sie Diversitätsquoten am Arbeitsplatz. In Deutschland gibt es die doch schon. Wenn bei zwanzig Arbeitsplätzen nicht mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzt sind, wird eine Abgabe fällig. Reicht das?

Ja, derzeit ist es so, dass Unternehmen, die die Quote nicht erfüllen, eine Abgabe zahlen müssen. Und es wird oft gefordert, wir bräuchten eine höhere Quote und höhere Abgaben. Aber die Abgaben laufen in großen Teilen leider wieder in Werkstätten – wir füttern also das negative System. Ich würde das gern umdrehen. Wer die Quote erfüllt, bekommt eine Belohnung und Unterstützung. Es muss leichter für Unternehmen werden, Menschen mit Behinderung einzustellen. Bei Nicht-Erfüllen der Quote müssen Firmen mehr Hilfe und Beratung bekommen, einen Diversitätsplan zu entwerfen und diesen auch durchzuführen, beispielsweise durch zentrale Datenbanken mit passenden Bewerber*innen. Oft liegt das Problem gar nicht beim mangelnden Willen sondern beim Unwissen von Arbeitgeber*innen.

In den Forderungen geht es aber auch um „universelles Design“. Was ist darunter zu verstehen?

Grundsätzlich steht dahinter: Jedes neue Gebäude, jedes neue Produkt und jede neue Dienstleistung sollten grundsätzlich so angelegt und entworfen sein, dass sie für ein Maximum an Menschen zugänglich sind. Wir müssen Inklusion in allen gesellschaftlichen Bereichen mitdenken. In der Städtebauverordnung, bei Fördermitteln für Frauenhäuser, aber auch im Produktdesign. Ein Beispiel aus dem Alltag: Bei meinem Onlinebanking werde ich nach fünf Minuten automatisch ausgeloggt. Menschen mit Behinderungen brauchen aber oft mehr Zeit, das sollte über eine Software einstellbar sein. Es geht hier um gleiche Rechte. Manche denken: Inklusion ist Teil einer „bunten Gesellschaft.“ Gegen diese Formulierung wehre ich mich: Es geht nicht um Buntes, es geht um Menschenrechte, um Teilhabe in der ersten Reihe. Wir sind keine Luftballons in der Hand. Aber die wenigstens wissen überhaupt, was die UN-Behindertenrechtskonvention ist.

Woran liegt das?

Wir haben in der Summe zu wenige Menschen mit Behinderung, die im öffentlichen Leben präsent sind oder die politische Entscheidungspositionen inne haben, um das Thema voranzutreiben. Das muss natürlich nicht eins zu eins so sein. Wolfgang Schäuble ist auch nicht die Speerspitze der Behindertenbewegung. Dafür kritisiere ich ihn auch nicht, ich habe großen Respekt davor, wie er sein Amt ausfüllt. Aber es reicht nicht, die wenigen, die es schaffen zu feiern, denn sie sind die Ausnahme, nicht die Norm. Der Bundestag und das Europaparlament spiegeln nicht die Bevölkerung in der EU wider.

Also geht es um inhaltliche, politische Arbeit einerseits, aber anderseits auch um mehr Vorbilder?

Sichtbarkeit ist wichtig. Menschen mit Behinderung sind keine homogene Masse. Wir brauchen Menschen mit Behinderung in den Kitas, in den Schulen, als Lehrerinnen und Lehrer. Im Bereich Sport mit den Paralympics gibt es bereits eine ganz andere Anerkennung, da passiert viel. Aber warum gibt es keine Werbung, in der Menschen mit Behinderung auftauchen, ohne dass die Behinderung eine Rolle spielt? Das wäre super. Ich zum Beispiel wollte eigentlich immer Tagesschausprecherin werden, aber es hieß: So jemanden wie dich lässt niemand vor die Kamera.

Das wurde Ihnen so explizit gesagt?

Ja. Es war überhaupt nicht denkbar, dass das geht. Wir dürfen nicht vergessen: Vor 75 Jahren haben wir Menschen mit Behinderungen einfach umgebracht, das ist nicht so lange her. Unsere Denke ist noch sehr im 19. Jahrhundert verhaftet. Das hat viel mit der gesellschaftlichen Vorstellung zu tun, dass Krankheit oder Behinderung nicht nach außen getragen werden soll. In den 1970er Jahren gab es neben der Bürgerrechtsbewegung in den USA und der Frauenbewegung auch die Krüppelbewegung, die sich bewusst so bezeichnet hat. Das bräuchten wir nochmal.

Welchen Einfluss hat die EU eigentlich auf einzelne Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention?

Die Möglichkeiten sind sehr begrenzt. Wir auf EU-Ebene geben die großen Richtlinien vor. Wir kämpfen zum Beispiel dafür, dass Deutschland die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie umsetzt. Die Bundesregierung blockt da aber, da gehen CDU und SPD Hand in Hand.

Sie sind die einzige Abgeordnete im Europaparlament mit sichtbarer Behinderung. Auf welche Hürden sind Sie gestoßen?

Bevor ich ins Parlament eingezogen bin, wurde ich bereits gefragt, was ich brauche. Aber das wusste ich nicht auf Anhieb. Ich bin dann in der Praxis auf zwei größere Hürden gestoßen. Das Abstimmungsgerät konnte ich nicht nutzen, das war sehr tief gelegt, das war für mich nicht händelbar. Da haben wir dann nach Alternativen gesucht. Und in Straßburg konnte ich die blauen Sessel nicht bewegen – ich konnte mich also nicht selbstständig setzen und aufstehen. Wir haben dann einen neuen Stuhl bestellt, das hat etwas länger gedauert, aber gut. Brandschutz versus Barrierefreiheit bei Toilettentüren ist auch immer wieder ein Thema. Die schweren Türen zum Beispiel, die sich automatisch öffnen, lassen sich nur schwer öffnen, wenn die Automatik ausfällt. Aber ich muss hier auch sagen: ich bin eine Luxusbehinderte. Ich habe Geld, ich habe einen Fahrdienst und ich habe ein Team. Ich bin nicht auf die Bahn in Belgien angewiesen, die ist nämlich gar nicht barrierefrei. Deshalb muss ich mir als Grüne ein Auto ordern, nur so komme ich von A nach B.

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10 Kommentare

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  • Das Hauptproblem für einen anerkannten und gleichberechtigten Mindestlohn in den Behinderten-Werkstätten nach allgemeingültigen Tarif-Lohn-Gesetzen, so wie es die Gewerkschaften schon geregelt haben, ist, dass es nur eine schlechte juristische Floskel in den Sozialgesetzbüchern gibt. Nach dieser Floskel ist die Behindertenwerkstatt nur ein "ähnlicher Arbeitsgeber" oder das Arbeitsverhältnis in der Werkstatt ist nur ein "ähnliches Arbeitsverhältnis" - der Behinderte gilt quasi nur als "ähnlicher Arbeitnehmer". Statt dem Wort "ähnlich" sollte es juristiisch geregelt heissen : "GLEICHBERECHTIGT" - denn Behinderte sind KEINE ähnlichen Menschen. Es ist auch kein Problem den Mindestlohn zu realisieren, denn die Werkstätten für Behinderte in ganz Deutschland erwirtschaften jährlich einen Umsatz mit 8 Milliarden Euro !!!!

  • Nicht alle Menschen mit Behinderungen waren von Anfang an in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) tätig.



    Bevor ich ab Anfang März 2001 in eine WfbM, nur aufgrund einer Depression und weniger wegen meines GdB 50 kam, war ich von 1994 - 1999 zuerst auf dem ersten Arbeitsmarkt in einer Baumaschinenhandlung im Bürobereich als kaufmännischer Angestellter tätig.



    Ab Anfang 1995 beauftragte mich die Unternehmerin durch Übergabe entsprechender Unterlagen mit dem Einleiten gerichtlicher Mahnverfahren. "Meine" Firma hatte damals vom Arbeitsamt 2 Jahre lang, Monat für Monat insgesamt 2.100 DM an Einarbeitungs- und Fördergelder erhalten.



    Am 06.10.2014 wechselte ich in eine andere Werkstatt, eine Caritaswerkstatt als WfbM. Dort konnte ich nach Rücksprache mit meinem Gruppenleiter im Rahmen eines Weblayouts ein Onlinebuch "Wikibook" mit Unterstützung meiner Online-Co-Autoren mit dem Titel "Musterentwürfe zum gerichtlichen Mahnverfahren" entwickeln und schreiben.



    Im Bereich Grafikdesign erstelle ich mit den Programmen "Word", "Excel", "InDesign", "Illustrator" und Blender 2D-/3D-Grafiken und kann diese Bilder mit "Photoshop" weiterbearbeiten.



    Scheinbar kommen pro Jahr mehr Menschen mit Behinderungen in eine WfbM hinein, als wieder heraus und damit zurück auf dem ersten Arbeitsmarkt.



    Wenn in den WfbM für Kunden des ersten Arbeitsmarktes nahezu alle Arbeitsaufträge in den vielfältigsten Arbeitsbereichen preiswerter als bei der Konkurrenz auf dem ersten Arbeitsmarkt bearbeitet werden können, welchen Grund könnten dann Arbeitgeber des ersten Arbeitsmarktes haben, noch Menschen mit Behinderungen aufzunehmen, zumal bei Beauftragung der WfbM diese Kunden des ersten Arbeitsmarktes die Hälfte des Rechnungsbetrages einschließlich der Matetialkosten von den jährlich zu zahlenden Ausgleichsabgaben nach Paragraph 223 SGB XI abziehen können.

  • Wieso gibt es hier kein Bild von Frau Langensiepen?



    Sollte sie bei der taz vielleicht auch nicht vor die Kamara?

    Mal abgesehen davon - für die meisten Beschäftigten in den Werkstätten wäre deren Abschaffung schlicht eine Katastrophe.



    Sie sind auch deswegen in den Werkstätten weil sie aufgrund geistiger und/oder körperlicher Beeinträchtigung keine Chance auf dem freien Arbeitsmarkt haben.

    Gut dass es diese Werkstätten gibt.

    • @Argonaut:

      Hi,

      man muss auch hier eine begriffliche Trennung vornehmen:

      In den WfbM arbeiten in der Regel Menschen, die bestimmte Aufgaben noch selbst übernehmen können, z. B. Toilettengänge oder Nahrungsaufnahme, und sie sind in der Lage, die ihnen gestellten Aufgaben adäquat zu meistern. Gerade diese Menschen sind es - leider spreche ich da auch als Erfahrung - die man wieder auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet. Dabei spielt Zeit nur eine nebensächliche Rolle, denn es gibt Gründe, warum jemand in einer Werkstatt arbeitet, z. B. Depressionen, Born out, etc.

      Die anderen Gruppen nennt man Förderstätten. Hier sind meist Schwerstbehinderte, Menschen mit höherem Betreuungsbedarf unter gebracht. Solche Gruppen auf Dauer zu schließen ist meines Erachtens nicht Sinnvoll.

      Was aber die WfbM betrifft.... Oftmals sind es Lobbiesten, die sich für eine solche Werkstätte einsätzen. In Ingolstadt beispielsweise ist es die FA. Audi, mit ihr steht und fällt alles. Und es sind Gruppenleiter, die sich nicht trauen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, sondern bei Problemen lieber andere Wege durchsetzen. Dazu gehört massives Mobbing von Behinderten, die das System hinterfragen und sich dafür einsetzen, dass es andere Wege gibt, an ein Ziel zu kommen.

      Und es sind die Geschäftsführer, die ihre Mitarbeiter decken, nur damit die Bilanzen am Ende stimmen. Dabei sind sie meist selbst nicht in der Lage, ihre Bilanzen - besonders Kennzahlen wie Krankenstand, Fluktuationsquote oder Vermittlungserfolge rauszulesen.

      Das ist traurig!!!!!

  • Volle Zustimmung zum Beitrag von Medardus.



    Ergänzen möchte ich:



    Eine wichtige Aufgabe der Werkstätten ist es, eigentlich, Menschen mit kognitiven Einschränkungen, besonderen emotionalen Bedürfnissen und komplexen Mehrfachbehinderungen die Teilhabe in einem anderen Lebensbereich neben der Wohnung zu ermöglichen. (Sie leben vorwiegend in Einrichtungen oder ambulant betreuten Wohnungen.) Das war ein enormer Fortschritt gegenüber dem vorher üblichen.



    Ich habe volles Verständnis für Menschen mit einer körperlichen oder psychischen Behinderung, die sich gegen die Vermittlung in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung wehren. Da gehören sie auch nicht hin.



    Die Werkstätten ganz ab zu schaffen oder in „normale“ Gewerbebetriebe zu wandeln, würde für einen großen Teil der jetzigen Klientel dieser Werkstätten einen Verlust eines für sie persönlich wichtigen Lebensbereichs bedeuten und ihre Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten stark einschränken.



    Leider sind diese Menschen selten interessiert daran oder in der Lage sich an gesellschaftlichen Diskussionen zu beteiligen oder öffentlich auf zu treten. Sie sind dauerhaft – auch am Arbeitsplatz, weshalb gute Werkstätten pädagogisches Personal haben - auf verlässliche stabile Beziehungen angewiesen, um gut leben zu können und widersprechen in vieler Hinsicht aktuellen gesellschaftlichen Vorstellungen und Bildern von Autonomie und Selbstverwirklichung.

  • Das sehe ich anders als die Frau Langensiepen.



    Geistig beeinträchtigte Menschen sollten unter Anleitung von geschultem Personal abgesondert arbeiten, das ist leider in der Realität unumgänglich.



    Aber dass sie keinen Mindestlohn erhalten und sonst keine Arbeitnehmerrechte haben, ist skandalös. Es geht doch eigentlich nicht darum, wieviel jemand schafft, sondern ob er sich anstrengt und nachher zufrieden sein kann, seinen Teil beigetragen zu haben. Das ist der Sinn der Arbeit für den einzelnen. Als ob wir uns das bei unserer technisierten Über-Produktivität nicht leisten könnten.



    Wie kann es sein, dass eine Politikerin der Linken so eigenartig an dieses Problem herangeht?

  • "...wir könnten über Kombilöhne diskutieren, also teilsubventionierte Löhne."



    Das könnte man in den Werkstätten doch auch so machen. Die Mitarbeiter dort erhalten einen echten (subventionierten) Lohn und dafür werden andere Dinge (Zahlungen aus der Pflegeversicherung, etc.) ersatzlos gestrichen. Psychologisch vermutlich der bessere Weg.

  • Vielleicht sollte man jemanden fragen, der Ahnung hat. Nach Förderschulen sollen nun die Werkstätten platt gemacht werden. Inklusion in Schulen mag durchsetzbar sein, weil Schule ja ein Angebot ist. Das stille Leiden der Kinder und Lehrer hört ja niemand. Aber ohne Werkstätten würden Tausende nicht mehr arbeiten sondern mit Rente oder Sozialtransfer rumsitzen, denn Wertschöpfung trotz Mindestlohn ist mit betreutem Arbeiten nicht möglich. Es sei denn, man verrechnet alle sonstigen sozialen Leistungen.

    Inklusionscafes als Alternative hinstellen ist geradezu zynisch.

  • Leider wird bei der Debatte oft übersehen das es eine große Bandbreite an Behinderungen gibt; bei der Werkstattdebatte stehen die "fitten" Behinderten die tatsächlich auf dem ersten Arbeitsmarkt Anschluss finden könnten sofern die passenden Hebel in Bewegung gesetzt werden im Mittelpunkt. Es gibt aber auch viele Menschen die aufgrund ihrer severen Einschränkungen auch mit intensiver Begleitung nicht "produktiv" arbeiten können und deshalb in der auf Leistung fixierten Industrie keine Chance hätten. Diese Gruppe würde bei einer Abschaffung der Werkstätten in Mitleidenschaft gezogen werden, denn "Anreize setzen, dann werden die Eingestellt" wird nicht funktionieren.

    Ich habe bei entsprechenden Interviews und Berichten zum Thema oft das Gefühl das diese Gruppe - auch von entsprechenden Aktivisten - häufig vergeßen wird.

    • @Medardus:

      Die WfbMs sind meiner Meinung nach schon etwas das man kritisch hinterfragen muss.



      Hilfe für behinderte Menschen ist sehr sinnvoll. Auch das es Schutzbereiche gibt. Aber die Auftrennung der Welten ist in sich keine gute Idee. Wir sorgen früh für wenig Kontakte zwischen Behinderten und nicht Behinderten und festigen ihn immer stärker. Dies führt auf der einen Seite zu wenig Verständnis aus schlichter Unwissenheit, zum anderen auch zu einem wir gegen die andern.



      In Werkstätten gibt es vielfältig eingeschränkte Personen, aber es gibt oft nur wenig vielfältige Aufgaben. Es gibt Ausnahmen, aber Schrauben einpacken, Tee verpacken, etc. sind die Regel. Das heißt man trifft sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Was wiederum dazu führt, das man eher weniger den Schritt auf den ersten Arbeitsmarkt zu macht.



      Man sollte die WfbM nicht verteufeln, viele Gruppenleiter versuchen alles um einem zu helfen, aber auch hier schleicht es sich leicht ein Personen auf eine Behinderung/Krankheit zu reduzieren. Äußert man Kritik oder wehrt sich gegen Entscheidungen, wird dies oft als Zeichen der Krankheit gesehen ("Er/Sie hat eine schwierige Phase."). Zudem ist die rechtliche und auch finanzielle Situation schwierig. Viele Arbeitnehmerrechte greifen schlicht nicht und die Bezahlung variiert insgesamt zwischen 140 bis ca.400€ (Hängt von der Werkstatt ab).



      Bei uns gibt es eine Entgeltordnung die von 140-510€ geht. Das Gehalt wird nach Wertungspunkten ermittelt. Dies Stufen reichen hier zwar bies 510 Euro, aber mit den Punbkten die man rein rechnerisch erreichen kann ist dies gar nicht möglich (Maximalstufe bei 80 Punkten. Mehr als 73 Punkte sind nicht erreichbar). Somit wird der Eindruck erzeugt man könnte 510€ verdienen. Was faktisch falsch ist. Ein gutes Gehalt sind 250€ ein sehr guztes 350€. Mehr gibt es eigentlich nicht.



      Man muss allerdings erwähnen, das einige Teilnehmer (z.B. ich) EU-Rente erhalten (290€ im meinem Fall). Zudem wirkt sich Teilzeit in der Werkstatt weniger stark aus