„Woyzeck Interrupted“ im Deutschen Theater Berlin: Geschichte mit Wiederholungen
„Woyzeck Interrupted“ von Amir Reza Koohestani überzeugt auch im Stream. Es ist ein konzentriertes Spiel um Liebe und Gewalt.
Sie sind sich zu nah und doch nie zusammen. Die Spannung zwischen Franz und Marie scheint greifbar mit Händen. Sehr selten nur sieht man sie in einem Raum zusammen, in einem der Bildfenster, in die der Bildschirm für die Inszenierung „Woyzeck interrupted“ von Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani aufgeteilt ist. Sie leben in einer Wohnung, notgedrungen, seiner Wohnung, ihr fehlt das Geld für die Miete. Mit dieser Abhängigkeit beginnt Franz sein Spiel um Macht und Kontrolle. Die Wohnung ist ein Gefängnis. Aber auch jedes Bildschirmfenster für sich, die wie Waben aneinanderhängen, ist ein geschlossener Raum.
Die Bühnenpremiere von „Woyzeck Interrupted“ ist auf irgendwann 2021 verschoben. In der Variante, die am Samstag als Livestream zur Premiere kam, ist er, Franz (Enno Trebs), ein Schauspieler und sie, Marie (Lorena Handschin), eine Praktikantin am Theater; und die hocken auch aufeinander und gehen sich auf die Nerven, weil die Arbeit nicht weitergeht.
In einer Rückblende, „sechs Monate vorher“ überschrieben, beginnt ihr Flirt mit Zeilen von Georg Büchners „Woyzeck“. Später nimmt ihr Leben Parallelen zu dem Drama an. Die Eifersucht. Von wem hat Marie die Ohrringe? Und das Kind, mit dem sie schwanger war und das sie abtreiben ließ, ohne ihm davon zu erzählen. Traut sie ihm nicht? Er ist tief gekränkt. In dem mittleren Bildfenster zwischen den Streitenden blinken die Küchenmesser am Bord.
Amir Reza Koohestani, der den Text zusammen mit der Autorin Mahin Sadri geschrieben hat, ist bekannt für eine Ästhetik der Konzentration und Reduktion. Das gelingt ihm auch in der Übersetzung für den Stream. Anfangs sieht man, als Kulisse auf der Bühne, die Projektion einer Megacity, Hochhausscheibe hinter Hochhausscheibe, nachts in der Dunkelheit.
Nachrichten von Frauenmorden
Wie eine Lupe gleitet ein Filter die Fensterreihen entlang und hält an. Aber was in der einen der vielen Wohnwaben spielt, könnte sich auch in der nebenan und der darunter ereignen. Das suggeriert auch das Ende, wenn man in drei Wohnungen übereinander schaut und in jeder beginnt die Wiederholung der letzten Szene.
„Woyzeck Interrupted“, wieder im Stream zu erleben am 28. Dezember, 20 Uhr
Denn die Autorin Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani setzen die Geschichte von Franz und Marie, zu der Georg Büchner selbst durch eine Zeitungsnotiz von 1821 über einen Frauenmord angeregt worden war, parallel zu den Nachrichten von häuslicher Gewalt und ermordeten Frauen in der Gegenwart. In den Pausen zwischen den sich stets zum Streit aufschaukelnden Dialogen von Franz und Marie teilt eine Stimme aus dem Off Nachrichten mit, einmal laufen sie auch als Schrift über das Bild: von ermordeten Frauen, die ihre Partner aus Eifersucht, aus Angst vor Kontrollverlust, aus dem Gefühl der Unterlegenheit heraus umgebracht haben.
Die Erzählebenen werden dabei nicht eins zu eins übersetzt. Die übereinandergelegten Folien haben überstehende Ränder, die auch nicht beschnitten werden. Der Text von Büchner, wo er einbezogen wird, geht auch über das Paardrama hinaus. Das Unheimliche, das ihn treibt, die Träume, die ihn verfolgen, das Unglück, das in seinem Körper nistet; all das weist über die gesellschaftlichen und psychologischen Erkläransätze hinaus.
Mit Püppchen den Konflikt verhandeln
Das Bleiben eines nicht verstehbaren Restes ist Teil der Konzeption. Vielleicht sind es die Mythen, die sich im Kopf eines Mörders bilden, um seine Tat zu rechtfertigen. Nicht zuletzt ist der Franz aus „Woyzeck Interrupted“ in einer privilegierten Rolle, während Büchners Woyzeck auf allen Ebenen gedemütigt wird.
Ob Franz Marie, die ihn verlassen will, am Ende umbringt, bleibt offen, denn die Szene wird mehrfach gespielt, mit verschiedenem Ausgang. Aber schon in der Wiederholung liegt das Quälende und Traumatische. Einmal spielt sie Franz mit winzigen Figürchen aus Draht und Papier nach, die er dicht vor seine Augen und dicht vor die Kamera hält. Als bestünde auch die Chance, dass er seine Eifersucht nur stellvertretend auf der Bühne ausagiert.
Piccolöchen bitte
Im Chat nach der Vorstellung wurde diese Szene hervorgehoben. Fast alle Beiträge waren voll Lob.Ungefähr 440 Besucher hatten sich ein Stream-Ticket gekauft, grüßten vor der Vorstellung voller Stolz in den Raum, wenn sie von fern von Berlin aus zusahen, simulierten live Begegnung, „darf ich mal zu meinem Platz“, „Piccolöchen bitte“.
Die Theater arbeiten an ihren Stream-Angeboten. Im Deutschen Theater werden einige neue Inszenierungen für ein Ticket angeboten, andere, ältere Aufzeichnungen, kostenlos. Sie stehen jeweils an einem bestimmten Tag zur Verfügung. Es lohnt sich also, die Spielpläne anzuschauen, an diesem und auch an anderen Häusern. Von der Nutzung der technischen Möglichkeiten her, die die Betrachtung am Bildschirm bietet, gehört „Woyzeck Interrupted“ zu den überzeugendsten Beispielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!