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Das Nordirland-Problem beim BrexitBald von selbst gelöst

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Das nordirische Problem könnte sich für die britische Regierung von selbst lösen. Dann muss sich die Regierung in Dublin mit den Unio­nisten ärgern.

Brexhausted nennt der irische Künstler Frank O Dea seinen Beitrag zum Brexit Foto: Artur Widak/imago

D as Nordirland-Problem beim Brexit ist mal wieder verschoben worden. Die britische Regierung hat eingewilligt, nicht gegen internationales Recht zu verstoßen, sie will mehrere umstrittene Paragrafen aus dem Binnenmarktgesetz entfernen, um eine offene Grenze in Irland zu garantieren. Im Gegenzug verspricht die Europäische Union, Kontrollen von Lebensmitteln und medizinischen Produkten, die aus Großbritannien nach Nordirland eingeführt werden, zu minimieren.

Eigentlich wären ab 1. Januar Importzölle für solche Waren fällig geworden. „Vertrauenswürdige Händler“ können diese Zölle aber nun umgehen. Die EU vertraut darauf, dass die Waren nicht in die Republik Irland, also in die EU, geschmuggelt werden. Die Vereinbarung gilt zunächst für dreieinhalb Jahre.

In dieser Zeit kann viel geschehen. Höchstwahrscheinlich wird Schottland dann nicht mehr Teil des Vereinigten Königreichs sein, der Brexit hat dort einen Meinungsumschwung zugunsten der Unabhängigkeit ausgelöst. Und auch Nordirland hatte beim Referendum mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt.

Das Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 sieht vor, dass Nordirland so lange Teil des Vereinigten Königreichs bleibt, wie die Mehrheit der Bevölkerung das wünscht. Diese Mehrheit bröckelt, und nicht nur wegen der demografischen Veränderungen, die fast zu einer Parität zwischen Protestanten und Katholiken geführt hat. Eine ganze Reihe gemäßigter Unionisten haben inzwischen mehr Angst vor dem Brexit als vor einem vereinigten Irland.

Für die britische Regierung wäre es eine große Erleichterung, die ungeliebte Kolonie loszuwerden. Und auch die englische Bevölkerung würde den Nordiren keine Träne nachweinen.

So wird sich das nordirische Problem für die britische Regierung beizeiten von selbst lösen. Dann muss sich die Regierung in Dublin mit den Unio­nisten herumschlagen und dafür sorgen, dass deren radikaler Flügel nicht zu den Waffen greift.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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10 Kommentare

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  • Ob alle in Dublin über 26+6 so glücklich wären und auch in Ulster nach den ersten Freudenfeuern, wage ich mal zu bezweifeln.

    In keinem Landesteil gibt das UK soviel Geld pro Kopf pro Bürger aus wie da, £11,590, in England sind es nur £9,296.

    www.bbc.com/news/u...n-ireland-38077948

    1/3 der öffentlichen Ausgaben in Northern-Ireland werden nicht durch lokale Steuern gedeckt, sondern sind faktisch Schulden, die das UK begleicht.

    en.m.wikipedia.org...and_fiscal_deficit

    Ob die Republik, die eine viel kleinere finanzielle Basis hat, das so stemmen kann und das auch will, schauen wir mal.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Zwischen 1995 und 2013 gab es drei PEACE-Programme der EU mit einem finanziellen Beitrag von 1,3 Mrd. EUR. Während PEACE I (1995-1999) und PEACE II (2000-2006) aus allen Strukturfonds finanziert wurden, wurde PEACE III (2007-2013) ausschließlich aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert.

      Das Programm PEACE IV für den Programmplanungszeitraum 2014-2020 hat einen Gesamtwert von 270 Mio. EUR. Der EFRE-Beitrag zum Programm beträgt ca. 229 Mio. EUR (85%), und ca. 40 Mio. EUR (15%) stammen aus Finanzierungen (d. H. Nicht-EU-Quellen, die nationale, regionale und lokale Regierungsfinanzierungen umfassen können). 94% der Ressourcen des PEACE IV-Programms werden die soziale Eingliederung, die Bekämpfung von Armut und Arbeitskräftemobilität unterstützen (die verbleibenden Ressourcen werden für technische Hilfe bereitgestellt).

      Diese Daten zu Ihrer Kenntnis um Ihnen zu verdeutlichen wie England Nordirland herunter gewirtschaftet hat und letztendlich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Armut gesorgt hat.

      Uk hatte NI aus Irland willkürlich abgetrennt - was dann zu den bekannten Verwerfungen inklusive Krieg mit 3.600 Toten führte.

      Die Europäische Union war mit amerikanischer Kooperation massgeblich am Good Friday agreement beteiligt. In diesem Dokument wurde von allen beteiligten Kriegsparteien vereinbart, das NI das Recht hat, per Abstimmung zu entscheiden, sich von Großbritannien zu trennen um mit der irischen Republik wieder eine rechtsstaatliche Einheit zu bilden.

      Sie argumentieren gegen bestehende Friedensverträge?

      Ansonsten - da die irische DUP unter Arlene Foster von den Brexiteers (Tories) aktuell ""unter den Bus geworfen wird" nachdem diese Partei den Brexit in UK entscheidend unterstützt hatte - zeigt Ihnen diese neueste Volte englischer Außenpolitik zu NI - das anscheinend das außenpolitische Merkmal der Brexiteers/Tories eine Abwendung von NI ankündigt und offenbar einleitet.

      Und nun?

      • @06438 (Profil gelöscht):

        "Sie argumentieren gegen bestehende Friedensverträge?"

        Nein, tu ich nirgendwo, ich stelle die Frage, was danach kommt.

        Ich war mit der BW im Kosovo, aber schon als er ein paar Jahre bestand, zwischen dem, was sich die Leute vorgestellt haben und was mit der Unabhängigkeit kam, bestehen meilenweite Unterschiede. Auch ändern sich dann die Machtverhältnisse, was glauben Sie was abgeht, wenn die Republik Polizisten und Soldaten zum Schutz dann protestantischer Iren schicken muss?

        "der EU mit einem finanziellen Beitrag von 1,3 Mrd. EUR"

        Das JÄHRLICHE Defizit in NI beträgt aktuell 10 Milliarden Pfund, sieht man im Link und ja die EU kümmert sich um wirtschaftlich schwache Regionen, aber der Maßstab ist in der EU ein ganz anderer, als im UK. Da ist Pernik in Bulgarien oder Przemyski in Polen arm, da wird NI ganz anders eingruppiert.

        "Das mittlere Einkommen der 28 Mitgliedstaaten der EU lag im Jahr 2017 bei 16.324 Euro,"

        m.bpb.de/nachschla...pa/70628/einkommen

        Das mittlere Einkommen in Nordirland beträgt £25,844.

        m.belfasttelegraph...rage-37245070.html

        "Und nun?"

        Das ein wiedervereinigtes Irland entsteht, ist durchaus möglich und wenn eine Mehrheit der Leute da es wollen, warum nicht.

        Das löst aber kaum eines der dortigen Probleme.

        • 0G
          06438 (Profil gelöscht)
          @Sven Günther:

          1.. Äpfel mit Birnen zu vergleichen ist ähnlich hilfreich wie ein Versuch, Frösche und Windhunde in einem Rennen gegeneinander antreten zu lassen. Also wenig sinnvoll.

          2..Um was geht es?



          Es geht um die Kritik an Ihrer Tendenz, sich für die Aufrechterhaltung imperialer überkommenener Strukturen in NI einzusetzen.

          3..Vor der Teilung Irlands im Jahr 1921 waren die sechs Grafschaften, die später Nordirland werden sollten, das Kraftwerk der irischen Wirtschaft. Zwei Drittel der Produktionskapazität Irlands befanden sich in den sechs Grafschaften, Belfast war Irlands größte Stadt, und die Wirtschaft konzentrierte sich im Gegensatz zur weitgehend landwirtschaftlichen Wirtschaft im Rest der Insel auf hochwertige Produktion.

          4..Die Republik Irland ist heute 2020 gemessen am BIP pro Kopf eines der reichsten Länder der Welt. Im Vergleich ist NI das Armenhaus.



          Zum Vertständnis ein Vergleich:



          In Bezug auf die Ungleichheit des BIP pro Person wäre der Vergleich zwischen NI und der Republik ähnlich wie die Ungleichheit zwischen den USA und Mexiko -- oder dem Iran.

          5..In Bezug auf das Haushaltseinkommen liegt die ärmste Region Irlands nicht in NI, sondern jenseits der Grenze in der Grafschaft Donegal, wo das durchschnittliche Haushaltseinkommen 15.705 EUR beträgt. Tatsächlich ist ein Gebiet in NI nicht unbedingt ein Indikator für relative Armut,



          ==



          sondern die Nähe zur Grenze.



          ==

          6.. Diese Tatsachen decken sich mit den Erfahrungen bis 1989 mit den grenznahen Gebieten in der Bundesrepublik - an einer undurchdringlichen Grenze zu leben macht arm.

          7..Das haben selbst ultra rechts-konservative Parteien in NI begriffen - von denen keiner mehr zurück will zu einer Grenze - zumal auch deren bisherige harte Unterstützung des Brexits rasant schwindet. (NI hatte mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt)

          8..Warum Sie in Ihrem Ausgangsstatement die Kassandra spielen bleibt angesichts der dargelgten Fakten ein Rätsel.

          • @06438 (Profil gelöscht):

            Ihre Antwort auf SVEN Günther zeigt eigentlich nur, das Sie seinen Kommentar nicht verstanden haben.

  • Wenn die Briten dir Nordiren tatsächlich so gerne los wären - warum haben sie sie nicht schon längst ziehen lassen?

  • Däumchen drücken?



    Däumchen drücken!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Die EU vertraut darauf, dass die Waren nicht in die Republik Irland, also in die EU, geschmuggelt werden.""



    ==



    Vertrauen ist gut - Kontrolle ist in allen Angelegenheiten, welche den Brexit betreffen sehr viel besser.

    Brexcitcountry & die Europäische Union haben vereinbart, dass Agrar- und Lebensmittelprodukte, die von GB nach Nordirland versendet werden, von der Anforderung hinsichtlich Exportgesundheits-bescheinigungen zunächst für die Dauer von 3 Monaten befreit sind.

    Exportgesundheitsbescheinigungen kosten dann bis zu 200 GBP pro Produkt und müssen von einem benannten Veterinärinspektor unterschrieben werden.

    Diese Vorschriften entsprechen den derzeit gültigen EU-Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit.

    Der Punkt:



    Großbritannien/England ist kein vertrauenswürdiger Partner mehr.



    Es werden EU-Beamte in NI eingesetzt, welche die Handelsregeln gemeinsam mit nordirischen Kollegen überprüfen werden. Sollte Brexitcountry sich nicht an die Regeln halten, wird das die EU unmittelbar feststellen und reagieren.

    Übersetzung:



    Die Bedeutung der britischen Forderung nach "uneingeschränktem Zugang" nach NI:



    EU kontrolliert -- und England kann Handel betreiben - unter der Aufsicht und unter den Bedingingen der EU.

    Sieht so etwa in der Praxis die englische Forderung nach mehr eigenstaatlicher Souveränität aus?

    Dieses Beispiel verdeutlicht auf was England momentan reagiert:



    Auf die pure Ausübung von knallharter politischer struktureller Macht. Handelsbeziehungen von UK mittels Vertrag mit den USA sind nicht möglich unter Biden sollte der Brexit das irische Friedensabkommen (GFA) beschädigen. Das ist der Hintergrund warum das Abkommen als Teil des von den Britten unterschriebenen Austrittsvertrages realtiv easy ausverhandelt werden konnte.

    Das ist ein Beispiel von vielen wie sich die Biden - Wahl auf Europa auswirkt.

  • So wird es wohl kommen.

    Allerdings ist es falsch, von der britischen Regierung und der britischen Bevölkerung zu sprechen. Es bleibt schlicht und einfach nur England übrig :-)

  • Wie doch die einzigst sinnvolle Lösung dann doch sich irgendwann Bahn bricht.