heute in bremen: „Ein riesiger feministischer Wutschrei“
Clara Koschies
29, ist beim „Feministischen/Frauen und Queer“-Streikbündnis Bremen für Presse und Social-Media-Arbeit zuständig.
Interview Alina Götz
taz: Frau Koschies, Sie rufen unter dem Slogan „Solidarisch gegen patriarchale Gewalt“ zur Demo auf. Wie sieht diese Gewalt aus?
Clara Koschies: Vorrangig geht es um physische und sexualisierte Gewalt. Jede dritte Frau* erfährt in Deutschland diese Form der Gewalt! Und die geht bis hin zu Femiziden, also Frauenmorden. Bis September diesen Jahres wurden hierzulande 125 Frauen von ihren aktuellen oder Ex-Partnern getötet. Und hier äußert sich patriarchale Gewalt dann auch strukturell: Viele der Taten werden als sogenannte Beziehungstaten oder Familiendramen verharmlost.
Warum ist diese Bezeichnung falsch?
Weil sie verkennt, dass diese Frauen aufgrund ihres Frauseins getötet wurden. Und juristisch werden diese Morde oft als Totschlag behandelt oder gar nicht aufgeklärt. Wie aktuell das ist, zeigt ein Beispiel aus Bremerhaven, wo letzte Woche eine Frau schwer verletzt wurde. Und vor ein paar Wochen wurde eine Frau in Vegesack von ihrem Ehemann getötet. Der Umgang mit den Taten, juristisch und auch öffentlich, unterstützt das Patriarchat und einen vermeintlichen Besitzanspruch männlich gelesener Personen an Frauen*. Heutzutage ist aber auch digitale Gewalt an Frauen und Queers ein Thema, mehr als 63 Prozent der Frauen* in Europa sind davon betroffen. Online zeigt sich auch, dass Frauenhass oft mit rechtsextremen Ideologien Hand in Hand geht.
Patriarchale Gewalt hat also eine riesige Bandbreite. Und die einzelnen Fälle unterscheiden sich in der Qualität für die Einzelnen erheblich. Wie kann eine einzige Demo das alles adressieren?
Wir wollen diese verschiedenen Kämpfe sichtbar machen und sagen natürlich, dass die alle unterschiedlich sind. Aber sie sind eben alle notwendig. Und in unseren Redebeiträgen kommen auch Menschen mit queeren Identitäten aus der Queeraspora zu Wort, deren Gewalterfahrungen oft wenig sichtbar sind, nicht in den Medien, nicht im Gesetz. Auch in der Istanbuler Konvention, die im Übrigen von vielen EU-Staaten noch nicht ratifiziert ist, kommen sie nicht vor.
Woher kommt der Aktionstag?
Am 25. November 1960 wurden drei dominikanische Feministinnen wegen ihres Aktivismus gegen den Diktator ermordet. Seitdem sind sie als die drei Schmetterlinge – „Las Tres Mariposas“ – bekannt. Lateinamerikanische Frauen erklärten diesen Tag 1981 zum feministischen Kampftag. Dort sind die Kämpfe auch besonders stark und sind als ein riesiger, feministischer Wutschrei hier rübergeschwappt.
Was fordern Sie heute an diesem Tag?
Das klare Benennen von Femiziden durch Politik, Polizei und Medien. Nachhaltige Finanzierung von queeren Beratungsstellen und Frauenhäusern, um Gewalterfahrungen auffangen zu können. Aber auch alltägliche sexualisierte Gewalt darf nicht länger toleriert werden. So gibt es in der Musik- und Kulturindustrie immer noch eine normalisierte oder verharmloste Darstellung von Gewalt an Frauen*, die zu einer Normalisierung der tatsächlichen Gewalt führt.
Demo zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Queers, 18 Uhr, Goetheplatz, mit Abstand und Maske
Jetzt kann man ja Musiker*innen nicht gesetzlich vorschreiben, wie sie zu texten haben.
Natürlich nicht, aber wir brauchen eine gesellschaftliche Sensibilisierung. Wie kann es überhaupt sein, dass misogyne Texte ohne Zensur und Gegenrede ein großes Publikum finden?
Dürfen Männer heute mitdemonstrieren?
Wir haben drei Blöcke: Einen für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht binäre, trans- und a-gender-Personen, einen leeren Gedenkblock für Menschen, die aufgrund patriarchaler Gewalt nicht dabei sein können – und dahinter einen Block für alle Geschlechter, auch für Männer.
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