piwik no script img

Wende in den USA nach den WahlenDie Versöhnung fällt aus

Essay von Torben Lütjen

Biden wird die Spaltung nicht überwinden, denn weder Republikaner noch Demokraten wollen das. Das ist vielleicht auch okay.

Von wegen Puzzlespaß Illustration: Katja Gendikova

V ersöhnung, Vergebung, Heilung: das sind die unverkennbar reli­giösen Beschwörungsformeln, die derzeit aufgerufen werden, wenn es um die Erwartungen geht, mit denen Joe ­Biden im Januar 2021 sein neues Amt antreten wird. Es heißt, er solle das Land nun wieder einen. Halten wir uns nicht lange mit der intellektuellen Selbstverständlichkeit auf, dass natürlich kein einzelner Politiker beenden kann, was strukturell angelegt ist und sich über Jahrzehnte hochgeschaukelt hat.

Interessanter ist, dass die Idee der Versöhnung und der Überwindung der Gegensätze selbst bereits in sich widersprüchlich und in gewisser Weise sogar verlogen ist. Bei den 70 Millionen Wählern, die Donald Trump ihre Stimme gegeben haben, dürfte sich das Bedürfnis nach Versöhnung ohnehin in Grenzen halten. Vermutlich gibt es auch unter ihnen einige, die der permanente Kulturkampf mürbe gemacht hat und die daher vielleicht bereit wären, der Sache eine Chance zu geben.

Der überwiegende Teil dieser Wähler aber, darunter vor allem das politisch aktive und daher tonangebende Element, interpretiert jede ausgestreckte Hand eher als weitere Kriegserklärung. Um das zu erkennen, muss man nicht einmal jene schaurigen Umfrageergebnisse studieren, die schon jetzt zeigen, dass der Wahlsieg Joe Bidens für viele Republikaner auf irgendwie illegitimen Wegen zustande gekommen ist.

Die jüngste Geschichte verrät uns wohl am besten, welches Stück da bald seine Wiederaufführung erleben wird. Barack Obamas Weg ins Weiße Haus 2008 war schließlich förmlich gepflastert mit der Erlösungsbotschaft von der inneren Wiedervereinigung des Landes. Es gebe kein konservatives und kein liberales Amerika, meinte Obama damals, sondern natürlich nur: die Vereinigten Staaten von Amerika.

Torben Lütjen

lehrt Vergleichende Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Politik und Gesellschaft der USA ist sein Forschungsschwerpunkt. Zuletzt erschien von ihm im wbg-Verlag: „Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert“.

Schon Obama scheiterte an der Mission

Nach seinem Wahlsieg behielt er den von seinem republikanischen Vorgänger, George W. Bush, ins Amt eingesetzten Verteidigungsminister, und Teile seiner Reform der Krankenversicherung, Obamacare, bauten auf Ideen auf, die aus konservativen Denkfabriken stammten. Gefruchtet hat nichts davon. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der republikanischen Parteibasis versank schon damals in einem Strom von Verschwörungstheorien.

Dem Verlierer fällt die Versöhnung ohnehin immer schwerer als dem Gewinner, besonders aber in diesem Fall, da Obamas Sieg si­gna­lisierte, dass die demografischen Verschiebungen im Land jetzt im Zentrum der Macht angelangt waren. Und für viele Konservative hatte Obamas durchaus kalte technokratische Attitüde – die Idee, dass es eine übergeordnete Vernunft gäbe und der Streit der Parteien nur störendes Beiwerk – auch eine bedrohlich-hegemoniale Note, die jeden Widerspruch zum rein irrationalen Rückzugsgefecht erklärte.

Fest steht, dass deshalb Amerikas Konservative in ihren Schützengräben blieben. Und genau dort werden sie dieses Mal – nach zwölf weiteren Jahren des Hasses – natürlich erst recht ausharren, mutmaßlich bestens versorgt von den Empörungsmaschinen der konservativen Medien, die schon gar kein Interesse am Abflauen der Spannungen haben, da sich mit der politischen Hysterie der letzten drei Jahrzehnte eine Menge Geld verdienen ließ.

Beim linksliberalen Amerika ist die Sache psychologisch ungleich komplizierter. Denn dort ist, dem „Scheitern“ Obamas zum Trotz, die Vorstellung einer Depolarisierung noch immer präsent. Vermutlich war das sogar einer der Gründe, warum sich am Ende der Vorwahlen Joe Biden durchsetzte: weil man glaubte, dass das Land unter ihm zur Ruhe käme, und hoffte, er würde nicht ganz so toxische Reaktionen bei der politischen Rechten auslösen wie Hillary Clinton und Obama.

Indes, zahlreiche Fraktionen innerhalb der Partei sehen die Sache ganz anders. Weder für die Aktivisten von Black Lives Matter noch für den sozialistischen (oder auch sozialdemokratischen) Flügel der Partei steht die Aussöhnung an erster Stelle. Im Gegenteil: Hier geht es ja darum, nicht nur mit vier Jahren Trump, sondern im Grunde genommen mit der bisherigen Geschichte des Landes aufzuräumen.

Läuterung anstelle von Versöhnung

Wie aber soll die Versöhnung gelingen, wenn man die Gegenseite als Verteidiger eines systemischen Rassismus begreift oder gar als einen Haufen reaktionärer Protofaschisten? Will man die eigene Agenda entschärfen, bloß um niemanden von der „anderen Seite“ zu verängstigen? Wohl kaum. Dabei geht es nicht allein um Inhalte. Ein großer Teil der Partei ist der Meinung, dass es an der Zeit sei, in der politischen Auseinandersetzung die Samthandschuhe endlich auszuziehen.

2016 war Michelle Obamas Parole: „When they go low, we go high“ („Je tiefer sie sinken, desto anständiger verhalten wir uns“), noch sehr populär. Das aber fühlt sich nach vier Jahren, in denen ein Autokrat die Axt an die amerikanische Demokratie angelegt hat, merkwürdig entrückt an.

Und so werden innerhalb der amerikanischen Linken schon lange Strategien diskutiert, die natürlich nicht auf Versöhnung, sondern auf zukünftige Mehrheitsfähigkeit zielen: die Aufstockung der Anzahl der Richter am Supreme Court, die Ausrufung von Washington, D.C. und Puerto Rico als Bundesstaaten, um sowohl im Kongress als auch im Electoral College neue Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, und einiges andere mehr.

Das Buch von David Faris, „It’s time to fight dirty“, zu Deutsch: „Ab jetzt wird mit unsauberen Mitteln gekämpft“, Untertitel: „Wie Demokraten eine dauerhafte Mehrheit in der amerikanischen Politik erreichen können“, erfreut sich unter linken Demokraten derzeit großer ­Beliebtheit. Einige Politologen warnen vor dem, was man als tit-for-tat polarization („Wie du mir, so ich dir“) bezeichnet: eine sich stetig selbst verstärkende ­Polarisierung, in der der Norm- und Regelbruch der einen Seite wiederum die Eskalationsbereitschaft der Gegenseite erhöht.

Aber auch wenn man annimmt, dass solche Theorien an der Realität längst vorbeigehen, weil die Republikaner bereits alle Grenzen überschritten haben, und es jetzt gilt, Feuer mit Feuer zu bekämpfen: ein Beitrag zur Überwindung der Gräben ist es gewiss nicht. Nehmen wir einen letzten Punkt, der vielleicht am prägnantesten zeigt, dass sich hier unvereinbare Logiken gegenüberstehen. Einer der vielen Gründe für die Polarisierung der USA ist die Totalpolitisierung aller Lebensbereiche.

Vom Medienkonsum, über das Freizeitverhalten bis hin zum Datingmarkt haben sich politische Identitäten bis in alle Lebensbereiche hineingefressen. Insofern wäre es vermutlich für das Land gesund, wenn man sich zumindest bemühte, wieder mehr Inseln des unpolitischen Zusammenseins zuzulassen, Orte, an denen die ideologische Dauererregung abklingen kann und die Bürger nicht ständig an ihre Unterschiede erinnert werden.

Inseln unpolitischer Begegnungen

Folgte man aber diesem Gedanken, dann müsste man auch dafür plädieren, den US-Sport zu entpolitisieren, ihn nicht länger zum Vehikel des Kampfs gegen Rassismus zu machen, was dazu geführt hat, dass viele Republikaner die NBA kaum noch und die NFL, die Profiliga im American Football, immer seltener anschalten.

Der geneigte taz-Leser hat es längst gemerkt: Man würde bei Positionen landen, die das Gegenteil dessen wären, was die Linke anstrebt, die natürlich davon ausgeht (wie alle Linken zu allen Zeiten), dass sowieso alles politisch ist, gerade das vordergründig Unpolitische, das daher umso dringender der Aufdeckung und Entlarvung bedarf. Anders ausgedrückt:

Die amerikanische Linke will nicht die Versöhnung; sie will die Läuterung, und zwar die der Gegenseite, und falls das nicht funktioniert, dann hofft sie darauf, dass die demografische Entwicklung im Land das Problem schließlich von allein löst. Auch ein ambitioniertes Projekt, aber eben ein anderes. Und vielleicht stimmt es ja: Vielleicht ist die Sehnsucht nach Versöhnung und Depolarisierung tatsächlich ein blasierter Zentristentraum.

Vielleicht ist es das typische Denken von Menschen, die lieber keine großen Veränderung anstreben und sich vor allem nach Stabilität sehnen, weil sie mit dem Status quo nicht wirklich schwer hadern. Und gegen diese Haltung ließe sich dann gewiss argumentieren, dass echte Veränderungen fast immer gegen erbitterten Widerstand erkämpft wurden – Polarisierung insofern eben der Preis ist, den wir von Zeit zu Zeit für den Fortschritt entrichten müssen.

Ein gutes Beispiel dafür ist übrigens ausgerechnet der Urkonflikt der amerikanischen Politik der 60er Jahre, der, wie bei einem Dominoeffekt, die bis heute anhaltende Dynamik in Bewegung setzte. Denn bis in die frühen 60er galt die US-Politik als ausgesprochen konsensgeprägt. Beide Parteien ­hatten damals liberale wie konservative Flügel, die ideologischen Überschneidungen waren groß, weshalb auchdie Kompromissfähigkeit immens war.

Keine Veränderung ohne Widerstände

Das blieb so, bis sich die Demokraten endlich dazu durchrangen, energisch die Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings zu unterstützen, und dann schließlich mit dem Civil Rights Act 1964 die faktische Rassentrennung im Süden der USA beendeten. Die Folge: Die konservativen Wähler im Süden, bis dahin eine feste Bank für die Partei, wechselten kollektiv die Seite und begannen, republikanisch zu wählen.

Das beendete die extreme Heterogenität, die bis dahin Demokraten und Republikaner ausgezeichnet hatte und legte den Grundstein zu der heutigen Dualität. Anders ausgedrückt: Der Civil Rights Act, der die Diskriminierung per Gesetz beendete, polarisierte das Land, und das war so richtig wie notwendig. Vielleicht sollte man keine Versöhnung erwarten, keine Heilung oder was immer an transzendenten Begriffen derzeit die Erwartungen steuert.

Vielleicht sollte man zufrieden sein, wenn die Sache nicht noch weiter eskaliert. Dafür muss man sich nicht einmal versöhnen. Es heißt schließlich, Frieden schließe man mit seinen Feinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Danke für die vielen klugen Überlegungen.

    Manche Kommentator:innen heben politische, ethnische oder sonstige Gruppenidentitäten, Religiosität und Gesinnung als Erklärung für unüberwindbare Spaltung und Konflikte hervor. Dabei blenden sie Parteispenden und das Medienlandschaft, sowie sozial-ökologische Ungerechtigkeit als Einflussfaktoren aus.

    Andere Kommentator:innen heben die Kontrolle und Einfluss der Politiker und die Medien als Erklärung für Spaltung und Konflikte hervor und blenden bestehenden Gruppenidentitäten und sozial-ökologische Ungerechtigkeit aus.

    Andere Kommentator:innen wiederum heben die die soziale Ungerechtigkeit und die zunehmende Auswirkungen des Klimawandels als Erklärung für Spaltung und Konflikte hervor. Dabei übersehen sie vielleicht wiederum die Dynamik der Parteispenden, Medienkontrolle und Gruppenidentitäten.

    Aber um das alles fundiert aufzuklären, reicht der Platz in so einen Artikel wahrscheinlich nicht aus.

  • Ein erfrischender Beitrag. Mit den Allheilsplumpereien auf beiden Seiten stecken wir nicht weniger als in der Sackgasse. Man könnte sagen, soviel Mensch muß sein. Ich würde sagen, weniger ist mehr.

  • „Die Versöhnung fällt aus“



    Ach, wirklich? Ebenso wie diese Überschrift ist der ganze Beitrag als feststehende Tatsache formuliert, und nicht etwa nur als eine von (wahrscheinlich vielen) Möglichkeiten. Aber bekanntlich geht das Leben oft überraschende Wege und deshalb sind Prognosen immer schwierig. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen!



    Zur Erinnerung: Mr. Biden wird sein Amt erst im Januar antreten. Bisher gibt es nur ahnungsvolle Andeutungen über seine voraussichtliche Politik. Auch einem US-Präsidenten sollten die „ersten 100 Tage“ gewährt werden, die deutsche BundeskanzlerInnen nach Amtsantritt erhalten. Danach kann es richtig losgehen mit der Kritik!

  • "Vermutlich war das sogar einer der Gründe, warum sich am Ende der Vorwahlen Joe Biden durchsetzte: weil man glaubte, dass das Land unter ihm zur Ruhe käme"

    Nein, bei den Vorwahlen ging es darum, wer die besten Chancen hat gegen Trump zu gewinnen. Und wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dann war Biden die richtige Wahl, weil Biden + Harris ehemalige Wähler der Republikaner auf ihre Seite ziehen konnten.



    Bei den Senatswahlen ist das nicht gelungen. Vermutlich, weil dort nicht Trump zur Wahl stand, sondern, zum Beispiel in Maine die gemäßigte Republikanerin Collins, die in Maine klar gewonnen hat, obwohl der Staat bei der Präsidentenwahl klar an Biden + Harris ging.



    Meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass die Wähler in Maine jeweils diejenigen Politiker/innen gewählt haben, die mit der "Gegenseite" reden können. Es zeigt aber auch, dass die Demokraten solche Staaten bei der Wahl in 4 Jahren u. U. wieder verlieren werden, wenn kein Trump auf der Gegenseite steht.