: Die eingebildete Diktatur der Bundesregierung
Coronakritiker wollten das Infektionsschutzgesetz verhindern. Was sind ihre Argumente?
Der Bundestag hat am Mittwoch das Infektionsschutzgesetz geändert. Coronaskeptiker warnen mit dramatischen Argumenten, die wir hier einordnen.
Die Behauptung: Deutschland wird jetzt eine Hygiene-Diktatur.
Das ist völlig aus der Luft gegriffen. Demokratie und Rechtsstaat bleiben auch nach dem 18. November voll erhalten.
Im Infektionsschutzgesetz wird nur eine präzisere Rechtsgrundlage für die bereits geltenden Coronabeschränkungen eingeführt. Viele Maßnahmen wurden bisher auf die Generalklausel des Gesetzes gestützt, die „notwendige Schutzmaßnahmen“ erlaubt. Jetzt zählt ein neuer Paragraf 28a die gängigen Maßnahmen ausdrücklich auf: von der Maskenpflicht bis zur Restaurantschließung. Der Staat erhält dadurch also keine neuen Befugnisse.
Eingriffe in die Versammlungs- und Religionsfreiheit werden im neuen Gesetz sogar erschwert. Beschränkungen von Demos und Gottesdiensten sind nur noch zulässig, wenn die Eindämmung der Covid-19-Pandemie sonst „erheblich gefährdet“ wäre.
Die Behauptung: Das Gesetz ist ein „Ermächtigungsgesetz“ wie 1933.
Der Vergleich ist abwegig. 1933 setzte der Reichstag die Verfassung außer Kraft und hob die Gewaltenteilung auf. Die Reichsregierung unter Adolf Hitler konnte nun alle Gesetze selbst beschließen. Zum Zeitpunkt der Abstimmung im Reichstag war ein Teil der Abgeordneten bereits in Haft, die anderen wurden durch bewaffnete SA- und SS-Männer bedroht.
Bei der Abstimmung an diesem Mittwoch wurden die Abgeordneten höchstens von den Gegnern des Gesetzes bedroht. Das Infektionsschutzgesetz muss sich auch nach der Neuregelung am Grundgesetz messen lassen.
Die Behauptung: Sachverständige haben das Gesetz bei einer Anhörung verrissen.
Bei einer Anhörung des Bundestags in der vorigen Woche sprachen sich gesundheitspolitische Sachverständige eher für das Gesetz aus, während JuristInnen teilweise harte Kritik äußerten.
Deshalb wurde der Gesetzentwurf in den letzten Tagen noch einmal nachgebessert. Coronaverordnungen müssen nun begründet und befristet werden. Nach vier Wochen sollen sie grundsätzlich auslaufen oder sie müssen neu beschlossen werden. Die juristische Sachverständige Andrea Kießling von der Uni Bochum twitterte am Dienstag: „Ich begrüße es sehr, dass die Regierung viele der Forderungen der Sachverständigen aufgenommen hat.“
Die Behauptung: Der Bundestag entmachtet sich selbst.
Der Bundestag hatte beim Infektionsschutz noch nie viel zu sagen. Er beschließt das Infektionschutzgesetz und seine Änderungen. Und seit März obliegt ihm auch die Feststellung, ob eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ besteht.
Die allermeisten Corona-Eingriffe in Rechte der Bürger beschließen aber weder Bundestag noch Bundesregierung, sondern die Landesregierungen per Verordnung. Daran ändert sich nichts.
Wenn man Parlamente bei der Coronabekämpfung stärken will, müssten vor allem die Landtage besser eingebunden werden. Das müssten die Landtage aber wohl selbst erkämpfen.
Die Behauptung: Bald kommt die Impfpflicht.
Mit der jetzt anstehenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird keine Impfpflicht eingeführt. Die Corona-Impfungen, die Mitte Dezember beginnen sollen, werden freiwillig sein. In den kommenden Monaten muss die Politik angesichts begrenzter Impfkapazitäten eher entscheiden, welche Gruppen als erste ein Recht auf Impfung haben und welche länger warten müssen.
Bisher geht die Politik davon aus, dass ein Impfgrad von 60 Prozent der Bevölkerung genügt, um die Pandemie zu stoppen. Dieser Anteil dürfte auch ohne Impfgegner gut machbar sein – soweit der Impfstoff wirksam und weitgehend nebenwirkungsfrei ist. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen