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Corona-Demo in LeipzigIhr habt 1989 nicht gepachtet

Corona-SkeptikerInnen in Leipzig bauen auf die Symbolik der friedlichen Revolution – und stufen damit den Geist von 1989 auf Ramschwert herab.

Es ist nicht alles friedliche Revolution, was sich so nennt: Demo gegen Corona-Maßnahmen in Leipzig Foto: Fritz Engel/Zenit

E in bisschen und mit gebührendem Abstand sah das aus wie Neunundachtzig, ja. Wie am Wochenende Zehntausende in Leipzig über den Ring gezogen sind, wie sie vor dem Gewandhaus gestanden haben. Die Stadt war dieselbe. Doch das Ziel der DemonstrantInnen ein gänzlich anderes.

Es mag ja sein, dass sie es für eine gute Idee hielten, ihre ganz persönliche Idee von Freiheit über die aller anderen stellen zu wollen. Ist ja mittlerweile ein freies Land, kann jeder meinen, was er oder sie mag. Ich meine was völlig anderes – und das sollte auch so weit okay sein.

Das Problem heute besteht darin, dass den DemonstrantInnen ihre eigene Meinung derart gewichtig vorkommt, dass sie sie sogar gemeinsam mit Hardcore-Nazis zum Ausdruck bringen. Und dass sie anschließend schnurstracks von diesem Superspreader-Event nach Hause fahren, um dort Covid-19 zu verbreiten und damit den Tod ihrer Mitmenschen billigend in Kauf nehmen. Und als wäre das nicht bestürzend genug, stufen sie auch noch die Idee des Wendeherbstes 1989 auf Ramschwert herab. Danke für nichts also.

Vor 31 Jahren gingen in der DDR Menschen auf die Straße für die Freiheit, überhaupt demonstrieren zu dürfen. Lesen zu können, was sie wollten, lieben zu dürfen, wen sie wollten, angstfrei leben zu können. Es war die Willensbekundung einer kleinen Minderheit, die mutig für die sich fürchtende Mehrheit hohe persönliche Risiken in Kauf nahm. Das ist der Unterschied zu heute: Der Rechtsstaat, den diese Leute herabwürdigen, kümmert sich umfassend um ihre Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Zu DDR-Zeiten ging es um Persönlichstes: um Haft, um Überwachung, um die Zukunft der eigenen Kinder. Die Querdenker-Hanseln auf dem Leipziger Ring, die die Corona-Einschränkungen mit Neunundachtzig vergleichen, wirken dagegen wie quengelige Wohlstandskids, denen der Cabrio gestrichen wurde, weil sie durch die Führerscheinprüfung gefallen sind.

16 Millionen Superhelden

Vielleicht war es keine gute Idee, uns Ostdeutschen in den zurückliegenden 31 Jahren dauernd zu erzählen, wir seien qua Herkunft RevolutionärInnen. 16 Millionen Superhelden, von denen damals an den entscheidenden und brenzligen Tagen 15,9 Millionen Ostdeutsche leider keine Zeit hatten mitzumachen. Denn so war das nämlich: Die weitaus überwiegende Mehrheit der DDR-Bürgerlein stand hinter der Gardine und hat abgewartet, wie sich die Sache entwickeln würde. Eine von ihnen war nebenbei gesagt ich.

Dass drei Jahrzehnte später so getan wird, als setzten die CoronaleugnerInnen das hehre Werk der wenigen mutigen Ostdeutschen fort, ist also nicht nur Quatsch. Es wäre auch ein Anlass, gegen diese Leute auf die Straße zu gehen. Aber soweit ich das beobachtet habe, würde Sachsens Polizei dann eher mich von der Straße schubsen als jene, die fälschlicherweise meinen, Neunundachtzig gepachtet zu haben. Sie sollten sich schämen. Meine Meinung.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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5 Kommentare

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  • So isset!

    Eine ehemalige, ostberliner Schriftsetzerinn bringt es auf den Punkt!



    Genauer die Punkte!



    ... Aber soweit ich das beobachtet habe, würde Sachsens Polizei dann eher mich von der Straße schubsen als jene, die fälschlicherweise meinen, Neunundachtzig gepachtet zu haben. Sie sollten sich schämen....

    Anschließe mich!

    Das hat gut getan! Foristen sind eben nur nebenberuflich schreibende Foristen.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - “Anja 89

    "Die Querdenker-Hanseln auf dem Leipziger Ring, die die Corona-Einschränkungen mit Neunundachtzig vergleichen, wirken dagegen wie quengelige Wohlstandskids, denen der Cabrio gestrichen wurde, weil sie durch die Führerscheinprüfung gefallen sind. "



    Der Obermacker, kommt aus Schwaben. de.wikipedia.org/wiki/Michael_Ballweg



    (Wer es ernst nimmt, das "Querdenken", kann sich leicht das Hirn verrenken.)

    kurz - mit Volkers 👄 -



    “Denke nie gedacht zu haben.



    Denn das Denken der Gedanken -



    Ist gedankenloses Denken!“



    & wie bei sojet ungedeckten Wechsel:



    “Schreibe hin - Schreibe her.



    Aber - Schreibe niemals quer!“

    unterm——— die haften nie —



    “ Auf dem Wechselvordruck DIN 5004 ist die Unterschrift des Bezogenen nicht horizontal, sondern vertikal – also quer zum übrigen Schriftbild – vorgesehen. Mit dem „Querschreiben“ akzeptiert der Bezogene durch seine Unterschrift auf der linken Seite des gezogenen Wechsels seine Zahlungspflicht (Art. 28 Abs. 1 WG),[1][2] womit die wechselrechtliche Haftung des Bezogenen ausgedrückt werden soll.[3] Hieraus entwickelte sich die Warnung „Schreibe hin, schreibe her, schreibe niemals quer!“ Die Unterschrift des Bezogenen ist gemäß Art. 1 Nr. 3 WG ein gesetzlicher Bestandteil des Wechsels. Auch die Wechselbürgschaft entsteht durch „Querschreiben“ durch den Bürgen auf dem Wechsel (Art. 31 WG).“



    de.wikipedia.org/wiki/Querschreiben

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - updated so

      “ Update: Die "Wessis" haben ja schon die Aktiva (Grund und Boden, Immobilien und Fabriken) der Ex-DDR sich einverleibt. Jetzt kapern sie auch noch die ideelen Werte der "Wende".



      So isser halt, der Kapitalismus. Oder ist es Kolonialismus? Was da glänzt, das wird begehrt - und oft entehrt.“

  • Ich wähnte mich stets als auf Seiten des Volkes stehend, das hat sich schon seit einer Weile geändert. Wenn das das Volk ist, das da demonstriert, dann möchte ich damit ehrlich gesagt nichts zu tun haben. Rücksichtslosigkeit gepaart mit Opfermentalität sorgt bei mir für saures Aufstossen. Beinahe wehmütig erinnere ich mich an bescheuerte Zeiten, in denen man sich mit Ausdrücken wie "Warmduscher" und "Schattenparker" über wenig abgehärtete Mitmenschen lustig machte. Heute sind sie Freiheitshelden, die Mundschutzverweigerer. Können wir uns nicht über die lustig machen? Wenigstens ein bisschen? Statt sie dauernd so furchtbar ernst zu nehmen?

    • @Stechpalme:

      Sehr gerne ,gute Stechpalme!

      Verrücktheit kann ja wirklich sehr lustig sein.



      Humor geht bei mir eigentlich auch immer.

      Aber in diesem Fall bleibt mir leider das Lachen im Halse stecken...