Änderung des Wahlrechts: Der Mensch an den Stellschrauben
Unsere Autorin wünscht sich, an der Wahl für den CDU-Vorsitz teilzunehmen – es geht ja um ihre Zukunft. Warum nicht den Kanzler direkt wählen?
N och nie habe ich bisher heftige Gefühle bei der Frage entwickelt, wer den Vorsitz der CDU übernimmt. Warum auch? Personalfragen in Organisationen, denen ich distanziert gegenüberstehe, mögen mich interessieren – aber Leidenschaft entsteht da bei mir im Regelfall nicht. Ich fiebere ja auch nicht mit, wenn Machtfragen bei Springer oder Daimler entschieden werden. Zu meiner eigenen Überraschung ist das aber in diesem Jahr beim CDU-Vorsitz anders.
Wenn ich mir das Ringen um den Posten anschaue, dann fühle ich mich ein bisschen wie bei der Beobachtung des Wahlkampfs in den USA. Ob Donald Trump oder Joe Biden die Wahl gewinnen, hat unmittelbaren Einfluss auf mein Leben – die Chancen für die Bekämpfung der Klimakrise ist eines von vielen Stichworten –, aber dennoch darf ich nicht mitreden. Ich kann nur auf die Vernunft von anderen Leuten hoffen, in dem Fall: der US-Bevölkerung.
Ähnlich ist es jetzt bei der Frage, wer CDU-Vorsitzender wird. Wenn nicht alle Meinungsforschungsinstitute irren und zugleich der Mond vom Himmel fällt, dann stellt die Union den nächsten Kanzler. Entschuldigung, Frau Baerbock, Verzeihung, Herr Scholz. Die Entscheidung über die Führungsspitze der Christdemokraten ist eine wichtige Weichenstellung.
Den Kanzler wird die Union stellen
Das sei doch früher oft auch nicht anders gewesen? Stimmt. Aber damals waren die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien so groß, dass die Frage vergleichsweise unbedeutend schien, wer den Vorsitz in einer Gruppierung hatte, die man ohnehin nicht wählen würde.
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Es ist keine neue Erkenntnis, dass diese Unterschiede inzwischen weitgehend verschwunden sind. Erinnert sich noch jemand, wer in Berlin einen großen Teil des Bestands an öffentlichen Wohnungen an Finanzinvestoren verkauft hat? Genau, es war ein rot-roter Senat. So viel dazu.
Sehr lange war ich fest überzeugt, dass Geschichte nicht von einzelnen Personen geschrieben wird, sondern dass es vielmehr Machtverhältnisse und gesellschaftliche Entwicklungen sind, die Verhältnisse ändern. Oft infolge neuer Erfindungen wie der Dampfmaschine. Vielleicht ist diese Sicht auch nicht falsch. Aber wenn – wie derzeit – ein System, nämlich der Kapitalismus, unangefochten ist oder zu sein scheint: dann gewinnen einzelne Personen eben doch an Bedeutung. Und sei es nur, um an einzelnen Stellschrauben zu drehen.
Es ist mir nicht egal, ob Trump oder Biden die Wahl in den USA gewinnt. Es ist mir auch nicht gleichgültig, wer der nächste Kanzler in Deutschland wird. Und zumindest hierzulande möchte ich darüber mitbestimmen können. Das ist, wie ich finde, das Mindeste, was ich von einer Demokratie erwarten kann.
Die Konsequenz? Vielleicht wäre es doch an der Zeit, über eine Direktwahl eines Bundeskanzlers oder einer Bundeskanzlerin nachzudenken. Ja, ja, ja: Ich weiß, dass das innerhalb unseres Systems schwierig ist, ich kenne auch die Gefahren, die eine solch grundlegende Veränderung des Wahlrechts in sich birgt. Aber es ist nicht nötig, immer nur über Gefahren zu reden. Man kann auch mal über Chancen sprechen.
Zum Beispiel darüber, dass solch ein Zweikampf – oder von mir aus: Sechskampf – mehr Leute dazu bringen würde, nicht mehr „alle Politiker“ über einen Kamm zu scheren, sondern sich konkret zu überlegen, wem sie mehr vertrauen und wem weniger. Im Zusammenhang mit Corona haben wir uns doch daran alle ohnehin schon gewöhnt, unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit der Verantwortlichen. Was spricht eigentlich dagegen, diese neu geübte Haltung auch auf andere Bereiche der Politik zu übertragen? Wenig, wie ich finde.
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