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Wie umgehen mit der ElbvertiefungMehr Platz ist weniger Flut

Die Öffnung der Alten Süderelbe würde die Tide dämpfen und seltenen Lebensraum schaffen. Anwohner fürchten, der Hochwasserschutz werde untergraben.

Heute schon eine Idylle: Alte Süderelbe Foto: Matthias Benirschke/dpa

Hamburg taz | Während die Elbe ausgebaggert wird, konkretisieren sich die Projekte, mit denen die Folgen dieser neunten Fahrrinnenanpassung kompensiert werden sollen. Wie das Forum Tideelbe jetzt mitgeteilt hat, sollen zwei Vorhaben weiter geprüft werden: die Öffnung der Alten Süder­elbe in Finkenwerder und die Öffnung des Hauptdeichs vor der Haseldorfer Marsch. Die Öffnung der Alten Süderelbe hätte den größeren Effekt, trifft aber auch auf kräftigen Widerstand.

„Wir fordern vom Senat, dass die Pläne gestoppt werden“, sagt Holger Maciolek von der Interessengemeinschaft Alte Süderelbe (IAS). Mit dem Projekt würde das heutige Ökosystem verschwinden, das sich in den vergangenen 60 Jahren entwickelt habe. Finkenwerder drohe die Überflutung. Ein Wasserwirtschaftsregime, das über 30 Jahre entwickelt worden sei, würde in die Tonne getreten. Im Übrigen seien die betroffenen Grundstückseigentümer nicht bereit, zu verkaufen.

Im Zuge der wiederholten Elbvertiefungen hat sich der Tidenbub um anderthalb Meter vergrößert, mit der Folge, dass mehr Sediment in die Elbe eingetragen als herausgeschwemmt wird. Nach der jüngsten Elbvertiefung vor 20 Jahren sah sich die Hafenverwaltung HPA deshalb plötzlich mit exorbitant steigenden Baggergutmengen konfrontiert.

Die HPA und die Wasser- und Schifffahrtsdirektion des Bundes (WSD) entwickelten daraufhin ein Tideelbekonzept, die Idee, mit groß angelegten Stromumbauten die Tide zu dämpfen. Dazu gehört auch, der abgeriegelten und eingedeichten Elbe wieder mehr Raum zu verschaffen, etwa durch den Wiederanschluss der Alten Süder­elbe. Hier ergab sich die seltene Gelegenheit für die Hafenwirtschaft und die Umweltverbände, an einem Strang zu ziehen.

Ein ganz besonderer Lebensraum

Denn die Öffnung der Alten Süderelbe ist eine alte Forderung der Umweltverbände. Durch das Ein- und Ausschwingen der Tide entstünde hier wieder ein ästuartypischer Lebensraum: Flachwasser- und ab und zu trockenfallende Areale im Süßwasser – ein weltweit selten anzutreffender Lebensraum, der einzigartige Lebewesen wie den Schierlingswasserfenchel gedeihen lässt.

Das von der HPA einberufene Tideelbeforum mit 40 Interessenvertretern ist zu dem vorläufigen Schluss gekommen, dass eine einseitige Öffnung der Alten Süderelbe am Köhlfleet am besten wäre. Dort müsste ein 65 Meter breites Sperrwerk gebaut werden, um das Hochwasser auf 2,10 Meter zu begrenzen. Dann würden die Obstgärten zu beiden Seiten des Flussarms zweimal täglich überflutet.

Holger Maciolek wird bei dem Gedanken mulmig. Das würde bedeuten, dass das Binnenland Finkenwerders zweimal täglich tiefer als der Wasserspiegel liegen würde. Dafür seien die heutigen Deiche nicht ausgelegt. Das ganze Land zwischen Harburg und Neu Wulmstorf wird durch die Alte Süderelbe entwässert. Es sei unklar, wie das in Zukunft sichergestellt werden solle.

„Man würde die Zeit wasserwirtschaftlich um 30 Jahre zurückdrehen“, sagt Maciolek. Gutachter kommen zu dem Schluss, dass zumindest der Grundwasserspiegel in Finkenwerder nur um 30 Zentimeter steigen würde.

Es gibt keinen bewohnten Raum in Hamburg, der in den vergangenen Jahren so zerschnitten und verbaut worden ist wie das Gebiet um die Alte Süderelbe

Holger Maciolek, IAS

Auch das Argument, hier werde die Natur aufgewertet, will Maciolek nicht einleuchten. „Warum muss ein wertvolles Gebiet getötet werden, um ein wertvolleres entstehen zu lassen?“, fragt er. Das Gebiet werde für zehn Jahre zur Großbaustelle. „Es gibt keinen bewohnten Raum in Hamburg, der in den vergangenen Jahren so zerschnitten und verbaut worden ist wie das Gebiet um die Alte Süderelbe“, sagt er.

Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND, pocht darauf, dass auch bei einer ökologischen Aufwertung der Verlust an dem, was die Alte Süderelbe heute ausmacht, ausgeglichen werden müsste. Mit dem jetzt vorgelegten Papier gebe es zwar einen höheren Wissensstand; welche Maßnahme für die Elbe am besten wäre, lasse sich aber noch nicht beantworten. „Es gäbe eine sehr schnelle, sehr kostengünstige Maßnahme“, sagt der BUND-Chef. „Das wäre die Einstellung der Elbvertiefung.“

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