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Gesetzentwurf für Recht auf HomeofficeLeere Bürotürme

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will ein Recht auf 24 Tage Homeoffice im Jahr. Die Union protestiert.

Was Homeoffice bedeutet, kommt ganz auf die familiäre, finanzielle und soziale Lage an Foto: Karsten Thielker

Ziemlich unvermittelt hat der Corona-Lockdown viele Arbeitnehmer:innen ins Homeoffice befördert: Plötzlich waren Kolleg:innen in ­Schlafanzügen oder ähnlichem Schlabberlook in Online­kon­­fe­renzen zu bestaunen, Kinder sprangen ins Bild, mal war das Mikrofon – je nach Situation und Aussage – zum falschen Zeitpunkt an oder aus. Im April, also mitten im Lockdown, arbeiteten laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung 23 Prozent der Beschäftigten überwiegend von zu Hause aus. Zum Vergleich: 2018 gaben nur 5,3 Prozent der Beschäftigten hierzulande an, mindestens die Hälfte der Tage zu Hause zu arbeiten.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat am vergangenen Wochenende für Aufsehen und Kritik gesorgt, als er mit der Bild am Sonntag über seinen fertigen Gesetzesentwurf für das „Mobile-Arbeit-Gesetz“ gesprochen hat. Wenn es nach dem Bundesarbeitsminister geht, sollen Arbeit­neh­mer:innen künftig einen Rechtsanspruch auf 24 Tage Homeoffice im Jahr haben. Das entspricht zwei Tagen pro Monat und diese Zahl möchte Heil als Untergrenze verstanden wissen. Arbeitgeber:innen könnten den Wunsch nach Homeoffice nur dann ablehnen, wenn „nachvollziehbare organisatorische oder betriebliche Gründe“ vorlägen. Natürlich könne „ein Bäcker nicht von zu Hause aus Brötchen backen“, betonte Heil im Interview. Doch die Coronakrise habe gezeigt, „dass viel mehr mobiles Arbeiten möglich ist, als wir dachten“.

Mit dem geplanten Rechtsanspruch solle die Jobzufriedenheit erhöht werden. Gleichzeitig müsse aber verhindert werden, dass Homeoffice „auf eine längere Arbeitszeit hinauslaufe“, hieß es am Montag aus Kreisen des Arbeitsministeriums. Arbeitgeber:innen müssten dafür Sorge tragen, dass Beschäftigte die gesamte Arbeitszeit täglich vollständig erfassen können: „Verstöße könnten mit bis zu 30.000 Euro geahndet werden.“ Zudem zählten Unfälle im Homeoffice als Arbeitsunfälle und Unfälle auf den Wegen zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung seien als Wegeunfall mitversichert. Der Entwurf wird derzeit in der Bundesregierung abgestimmt.

Schon im Koalitionsvertrag war vereinbart, dass ein rechtlicher Rahmen für mobile Arbeit geschaffen werden soll. Doch Kritik an Heils geplantem Homeoffice-Gesetz kam bereits vom Koalitionspartner. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Weiß (CDU), gab zu bedenken, dass in vielen Berufen ein Arbeiten von zu Hause rein faktisch nicht möglich sei. Deshalb könne es „einen echten allgemeinen Rechtsanspruch auf Home­office nicht geben, weil sonst die Arbeitnehmerschaft in zwei Klassen aufgeteilt würde“. Gegenüber der taz sagte er: „Es kommt nun auf die Details an.“

Für wen ist Homeoffice gut?

Deutlich schärfere Kritik kam aus dem Unions-Wirtschaftsflügel. Der Vor­sitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung MIT, Carsten Linnemann (CDU), sagte, viele Mittelständler kämpften derzeit ums Überleben. „Neue Auflagen sind das Letzte, was sie gebrauchen können“, warnte er. Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unions-Bundestagsfraktion, Christian von Stetten (CDU), befürchtet eine zu große Einmischung des Staates: Der Arbeit­geber werde auch in Zukunft entscheiden, wo die von ihm bezahlte Arbeitsleistung zu erbringen sei.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte sich bereits im Mai gegen einen Rechtsanspruch auf Homeoffice gewandt. Ähnliche Töne kamen nun aus der Wirtschaft. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte: „24 Tage Homeoffice – weder orientiert sich das an den Möglichkeiten der Unternehmen noch an den Bedürfnissen der Beschäftigten.“

Anders sieht es Grünen-Arbeitsmarktexpertin Beate Müller-Gemmeke. Ihr geht der Entwurf von Heil nicht weit genug. „Beschäftigte wollen verlässliche Regeln, und daher sollte klar sein, dass sie ein oder zwei Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten können“, sagte sie der taz. Dies könne auch ein Beitrag zum Klimaschutz sein: „Denn laut Greenpeace könnten mehr als 5 Millionen Tonnen an Treibhaus­gasen pro Jahr eingespart werden, wenn 40 Prozent der Beschäftigten an zwei Tagen in der Woche von zu Hause aus arbeiten würden.“ Sie warnte jedoch auch: „Homeoffice darf nicht zu unbezahlter Mehrarbeit führen.“

Susanne Ferschl, stellvertrende Fraktionsvorsitzende der Linken, begrüßte zwar, dass Heil einer „Entgrenzung von Arbeit“ entgegenwirken will, kritisierte aber seinen Vorschlag als „halbherzig“: 24 Tage Homeoffice seien deutlich zu wenig, sagte sie der taz. Sie forderte zudem einen „Ausgleich für Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz nicht ins heimische Wohnzimmer verlagern können“. Nur ein Teil der Beschäftigten würde von dem Rechtsanspruch profitieren.

Auch der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann kritisierte den von Heil geplanten Rechtsanspruch auf 24 Tage als „eindeutig zu wenig“. Prinzipiell sei es aber gut, „dass Heil „jetzt Nägel mit Köpfen macht, um selbstbestimmtes mobiles Arbeiten zu fördern und gleichzeitig den Schutz der Beschäftigten zu verbessern“.

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9 Kommentare

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  • Komplexes Thema. Grundsätzlich ist es überfällig, dass Arbeit, die von zu Hause aus erledigt werden kann, auch von da erledigt werden kann. Die Anfahrtszeiten, die größtenteils verschwendete Lebenszeit sind und die natürlich meistens die Arbeitenden unentgeltlich zusätzlich zu tragen haben, fallen weg. Ebenso wie der dadurch sinnlos aufgeblasene Verkehr und die Kosten, die das verursacht, privat und gesamtgesellschaftlich.

    Die Widerstände sind iA motiviert von Kontrollwahn - hab ich die Arbeitenden im Bau, kann ich besser kontrollieren, ob die auch spuren. Da entlang haben sich bei einem Teil zig Mechanismen entwickelt, die Kontrolle auszuhebeln. Morgens die Zeiterfassung regeln, dann erstmal 4 Stunden in die Cafeteria oder zwei Stunden in einem anderen Büro Schwätzchen halten. Die Kontrolle funktioniert insbesondere in Behörden nicht, die zur Zeit den größten Lerneffekt haben, weil sie das Undenkbare plötzlich praktizieren müssen, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Und feststellen, dass die Welt nicht untergeht, und sie nicht nur Betrüger beschäftigen, na sowas.

    Wenn HO dazu führt, dass das Verhältnis Abeitgeber/nehmer (eigentlich ja umgekehrt, aber sei's drum) neu definiert wird, hat es schon etwas gebracht.

    Ein weiterer Aspekt ist die Beurteilung der Arbeitsleistung. Die an Anwesenheitsstunden aufzuhängen ist einfach, trifft es aber sehr oft nicht. Das muss verbessert werden, indem zb Arbeitsleistung pro Monat betrachtet wird. Es ist vollkommen egal, wann am Tag oder in der Woche jemand eine bestimmte Arbeit ausführt, solange das rechtzeitig passiert.

    HO ist auch für die Heimarbeitenden keine Kleinigkeit. Es gilt, eine Routine zu entwickeln, die nicht zu weit in die Privatsphäre übergreift. Es erfordert mehr Selbstdisziplin, Aufgaben zu erledigen, wenn keine Aufseher zugegen sind. All das ist für etliche eine Neudefinition von Arbeit. Am Ende kann ein selbstbestimmteres Arbeiten herauskommen, wenn alle Beteiligten von alten Vorstellungen abrücken.

  • super leere bürotürme dort können dann die wohnungssuchenden einziehn

  • Es passiert selten, dass ich gleichzeitig dem CDU-Wirtschaftsflügel und den Gewerkschaften Recht gebe, aber diesmal ist der Vorschlag in doppelter Hinsicht unausgegoren:

    1. Die Bürokratie ist schon absehbar. Wenn z. B. Heimarbeit wie Arbeit im Betrieb versichert sein soll, dann werden die Versicherungen auch entsprechende Ansprüche an den Arbeitsschutz stellen. Die Heimarbeitsplatz und das ganze Drumherum müsste also "sicher" gemacht werden wie ein regulärer Arbeitsplatz. Das ist völlig unpraktikabel und nebenbei ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre.

    2. Die zwei Tage pro Monat sind in der Tat ein Witz. Wenn Heimarbeit produktiv und komfortabel sein soll, muss sie Routine sein - wirklich "Arbeit" und nicht etwas, was man ausnahmsweise mal macht, weil man - im Zweifel - daneben etwas Anderes zu tun hat, was einen am Arbeiten hindert. 24 Tage/Jahr haben daher nichts mit Homeoffice zu tun sondern klingen eher nach einem Vehikel zum periodischen Privatkram-Erledigen während der Arbeitszeit.

    Ein weiterer Punkt ist natürlich, dass - wie auch Ulrike Hermann schon anderswo bemerkt hat - die Arbeitgeber eigentlich ein massives Eigeninteresse daran haben, Homeoffice zur Normalität zu machen. Es ist für sie schlicht billiger. WENN sich also ein Arbeitgeeber dagegen sträubt (so dass es überhaupt eines durchsetzbaren Anspruchs bedürfte), dann hat er im Zweifel seine Gründe dafür. Und die sollten - Nachweisbarkeit unterstellt - auch sein dürfen, dass darunter die Produktivität leidet, auch wenn das gegen das "Es mag faule Arbeitnehmer geben, aber das sind natürlich nicht meine!!"-Dogma verstößt.

    • @Normalo:

      "Homeoffice zur Normalität zu machen. Es ist für sie schlicht billiger"

      Man kann ja nicht nur Raumkosten sparen, ich habe die Tage schon die erste Ebene in unserem Unternehmen darüber fantasieren hören, wenn die Leute ja nicht mehr in teuren Städten wie Genf, Zürich oder Frankfurt wohnen, müsste man in Zukunft ja bei Neuverträgen weniger Gehalt anbieten, wenn die Leute auch sonstwo wohnen können.

      • @Sven Günther:

        Mittel- und langfristig ist das durchaus realistisch. Geld allein macht ja bekanntlich nicht glücklich, und wenn man mit weniger Geld einen komfortablen Lebensstil auf dem Land finanzieren kann, warum dann zwingend Metropolengehälter verlangen? Umgekehrt dürfte aber auch Bauland auf dem Dorf wieder teurer werden. Da wird sich wahrscheinlich das eine oder andere nivellieren.

        Auf der anderen Seite wohnen die meisten Städter ja nicht nur wegen des kurzen Weges zur Arbeit in der Stadt. Die Nähe zu Allem, die Infrastruktur häufig auch die Anonymität sind ebenfalls wesentliche Argumente. Und Arbeitgeber tendieren mindestens ebenso dazu, den fähigen Mitarbeitern zu folgen wie andersherum (wer wäre sonst bei den Preisen heute so blöd, seinen Unternehmenssitz z. B. in München oder Frankfurt zu halten und nicht z. B. in Dingolfing oder Bad Hersfeld oder wenigstens in Augsburg oder Darmstadt?). Es wird also auch weiter Interesse daran geben, zumindest gefragten Stadtbewohnern ein für sie auskömmliches Gehalt zu zahlen.

    • 0G
      05838 (Profil gelöscht)
      @Normalo:

      Guter Beitrag.

  • Was geht das die Politik eigentlich an wo ich arbeite?



    Möchte man ablenken von schlechter Verkehrspolitik und Lücken in der Kinderbetreuung? Oder was sonst steckt dahinter?

  • Soll ein Arbeitgeber dann für jeden Arbeitnehmer de facto zwei Arbeitsplätze vorhalten -den einen im Büro und den anderen zu Hause? Dies dürfte viele kleinere Unternehmen überfordern, zudem die Kosten dann doppelt zu tragen sind. Jemand im Homeoffice hat dann eben keinen festen Firmenarbeitsplatz mehr - und sitzt dann nicht mehr bei seinem Team, sondern als Entwickler halt neben der Buchhalterin.

    Von den Problemen des Datenschutzes ganz zu schweigen: Man muss sich nur mit den Datenschutzbeauftragten einmal unterhalten. Der Arbeitnehmer darf die für den Datenschutz relevanten Unterlagen nicht so ohne weiteres mit nach Hause nehmen oder gar dort ausdrucken. Er muss dieses in einem für Dritte verschließbaren Zimmer aufbewahren, und auch die Ehefrau ist eine Dritte in diesem Sinn. Der Arbeitgeber darf und muss die Einhaltung des Datenschutzes kontrollieren - auch um Homeoffice. Also z.B. keinerlei Personaldaten zuhause, allenfalls auf der (verschlüsselten!) Festplatte des Arbeitslaptops. Folglich dürfte der Arbeitsplatz bei 2 Arbeitnehmern im gleichen Homeoffice NICHT geteilt werden. Das dürfte vielen nicht klar sein.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Der DGB diskutiert das so, als ginge es um 24 Tage zusätzlichen Urlaub.