Polizeigewalt in Belarus: Vor Festnahme bewahrt
Gibt es ein Recht der Sicherheitskräfte, auf Menschen zu schießen? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 11.
D ie Geschichte selbst kommt von meiner Freundin. Sie lebt in Minsk direkt an der U-Bahn-Station „Puschkinskaja“. Also dort, wo am 10. August bei einer Aktion Alexander Tarajkowskij erschossen worden ist. Tarajkowskij wurde das erste Opfer der Willkür der Miliz, die sich über das Land gelegt hat.
An der Stelle, an der Alexander erschossen worden ist, hat man ein improvisiertes Denkmal aufgebaut. Immer wieder hat die Miliz es abgeräumt und immer wieder haben Bewohner unserer Stadt das Denkmal erneut aufgebaut.
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Nicht weit weg von dieser Stelle ist ein Supermarkt. An einem Sonntag Abend – sonntags finden bei uns ja immer die großen Demonstrationen statt – hatte sich meine Freundin auf den Weg zum Supermarkt gemacht, sie wollte noch ein paar Lebensmittel einkaufen.
Plötzlich der Schrei einer Frau. Dann sah sie sie. Sie war ganz weiß im Gesicht. OMON-Polizisten wollten sie gerade abführen und in einen Polizeiwagen zerren. Doch beherzt war ein junger Mann eingeschritten, hatte die Milizionäre weg geschubst und ging statt ihrer mit den Milizionären mit. So rettete er sie vor der Festnahme. Die junge Frau hatte den Mann nicht einmal nach seinem Namen fragen können. Und sie konnte sich auch an sein Gesicht nicht mehr erinnern, weinte nur hysterisch.
ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.
Wieder kam ein Mann auf sie zu. Er war in einem schwarzen Kampfanzug, hatte einen Helm auf – und umarmte sie wortlos.
Die Leute im Supermarkt konnte es nicht fassen, sie hielten den Mann in Schwarz für einen OMON-Polizisten. Aber er war nur ein Motorradfahrer. Er drückte die Frau an sich, strich ihr über das Haar und beruhigte sie. Und dann blickte sie ihm in die Augen, sah, dass er auch weinte.
Da ging meine Freundin wieder aus dem Supermarkt und wählte eine, wie es ihr schien, sichere Seitenstraße. Doch die war gar nicht sicher. Dort standen Gefangenentransporter, drinnen waren OMON-Polizisten. Und an der Wand standen Menschen. Ein schreckliches Bild, als wollte man die Personen an der Wand im nächsten Augenblick erschießen.
Wieder ging meine Freundin in den Supermarkt. Zehn Minuten später heulten Motoren auf, der Transporter war verschwunden. Und die Menschen, die eben noch an der Wand gestanden hatten, gingen weiter ihres Weges, Kinder kamen wieder und spielten auf der Straße, als ob nichts gewesen wäre.
Ich weiß nicht, was mir an dieser Geschichte mehr Angst macht, die völlige Rechtlosigkeit und wie die Sicherheitskräfte gegen Menschen vorgehen, oder die Reaktion der Betroffenen, die sich schon nicht einmal mehr darüber wundern.
Aus dem Russischen Bernhard Clasen
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