Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Indizienlage klar, Täter ungestraft
Der Abschlussbericht der Sonderkommission zur rechten Terrorserie in Neukölln räumt Fehler ein. Nun soll eine Sonderkommission weiter ermitteln.
Was aber zwischen den Zeilen durchschien, war auch: Das war offenbar nicht immer so. Denn Rauhut, ein eher unscheinbarer Mann mit randloser Brille auf der Nasenspitze, erzählt auch, dass seine Abteilung seit einem Jahr zahlreiche Überprüfungen von rechten Gewalttätern vorgenommen hätte. Auch deswegen und anhand neuer Kriterien habe man in Berlin mittlerweile doppelt so viele Personen als rechte Gewalttäter eingestuft wie vor einem Jahr, so Rauhut. „Wir haben uns auf eine bessere Zusammenarbeit für diese Täterklientel verabredet“, sagte Rauhut.
Für die Betroffenen der Neuköllner Anschlagsserie kommt das zu spät. Denn – so viel war schon vorher über den Abschlussbericht der Sonderkommission klar: Ihrem eigentlichen Ziel sind die bis zu 42 Ermittler der seit dem Mai 2019 ermittelnden BAO Fokus dennoch nicht nähergekommen: genug Beweise zu sammeln, damit es für eine Anklage und Verurteilung der drei Hauptverdächtigen Neonazis Sebastian T., Tilo P. und Julian B. reicht.
Polizeipräsidentin Slowik erklärte das mit der schwierigen Beweisführung in dem Deliktbereich. Nachts getätigte Brandstiftungen an Autos und Schmierereien seien schwer zu ermitteln. Der Anschlagsserie werden seit 2016 über 70 Taten zugeordnet, darunter Brandstiftungen, Sachbeschädigungen und Drohungen. Diese richten sich hauptsächlich gegen Flüchtlingshelfer und gegen rechts engagierte Menschen.
16 Gefährderansprachen in zwei Jahren
Der Ermittlungsdruck auf die Hauptverdächtigen der Neuköllner Terrorserie sei dennoch hoch, wie Rauhut, Slowik und Innensenator Andreas Geisel (SPD) versicherten. Diverse Verfahren liefen weiter. Gegen die drei Beschuldigten habe man innerhalb der vergangenen zwei Jahre 16 Gefährderansprachen gehalten.
Die Staatsanwaltschaft Den Überblick in den Entwicklungen um die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie zu behalten, ist gar nicht so einfach: Zuletzt ist in Berlins Exekutive einiges ins Rollen gekommen: Der mutmaßlich AfD-nahe Oberstaatsanwalt F., zuständig für alle politischen Delikte im Land Berlin, wurde wegen möglicher Befangenheit versetzt. Der in der rechten Anschlagsserie ermittelnde Staatsanwalt bat im Zuge dessen um seine Versetzung. Der geschasste Oberstaatsanwalt soll schon mal vor angehenden Jurist:innen rechte Verschwörungstheorien ausgebreitet haben und sein Amt offenbar auch politisch gedeutet haben – in linken Kreisen ist er schon länger als Scharfmacher bekannt, wie auch ein Prozess kürzlich verdeutlichte.
Viele Fragezeichen Auch schon länger bekannte Missständen in der Neuköllner Anschlagsserie können fast ein Buch füllen. Das Gröbste: Anfang Juni stellte sich heraus, dass ein Neuköllner Polizist Interna in einer AfD-Chatgruppe geteilt hatte, in der mit Tilo P. auch einer der Hauptangeklagten der Anschlagsserie war. Zudem hatte er in Mails 2016 AfDlern davon abgeraten, eine Veranstaltung eines gegen Rechts engagierten Buchhändlers zu besuchen. Dessen Auto brannte wenige Tage später. Desweiteren soll sich in dem Komplex ein LKA-Beamter mit dem Hauptverdächtigen Sebastian T. in einer rechten Szenekneipe getroffen haben. Ermittlungen dazu soll wiederum der mittlerweile versetzte Staatsanwalt eingestellt haben. Ebenso wenig wurde Ferat Kocak vor einem Brandanschlag auf sein Auto gewarnt – obwohl sowohl Verfassungsschutz als auch Polizei von konkreten Planungen gewusst hatten.
Auch deswegen folgt auf die BAO Fokus gleich die Sonderkommission: Geisel will am Dienstag im Senat die nächste Ermittlungskommission zur rechten Terrorserie auf den Weg bringen, wie er sagte. Die neuen Ermittlungsansätze der BAO Fokus sollten dort fortgeführt werden. Ebenso gehe Geisel davon aus, dass es in der nächsten Legislaturperiode den von Betroffenen beharrlich geforderten Untersuchungsausschuss geben werde.
Grüne und Linke forderten diesen ebenfalls – damit vor allem auch eine von der Polizei unabhängige Untersuchung der vielen erklärungsbedürftigen Umstände wie etwa Verbindungen der Verdächtigen zur Polizei und dem Befangenheitsverdacht gegenüber zwei Staatsanwälten. „Die Polizei ist kein neutraler Akteur“, begründete Niklas Schrader (Linke).
Benedikt Lux (Grüne) forderte ebenso transparente Aufklärung: „Der öffentliche Kurzbericht ist nicht geeignet, das Vertrauen in die Polizei wieder herzustellen.“ Eine Kurzfassung des Abschlussberichts ist inzwischen online, der über 70 Seiten umfassende Abschlussbericht ist allerdings nicht öffentlich.
Der Inhalt ist mittlerweile dennoch bekannt: Nach taz-Informationen ist dort akribisch aufgelistet, wie die Ermittler:innen daran scheiterten, verschlüsselte Datenträger von T. zu knacken. Das gesamte kriminalistische Maßnahmenspektrum sei ausgeschöpft worden, heißt es.
Die Polizei könne zwar belegen, dass die mutmaßlichen Täter:innen politische Gegner:innen und die Opfer der Anschlagsserie systematisch ausgespäht hätten und Informationen über diese gesammelt hätten, aber die eigentlichen Taten seien nicht personifizierbar.
Auch Versäumnisse räumt der Bericht ein: So seien vorhandene Informationen nicht zusammengeführt worden. So hätte man beim Anschlag auf Ferat Kocak, das Opfer des schwersten Brandanschlags der Serie, gefahrenabwehrende Maßnahmen durchführen müssen. Ebenso habe man eine Feindesliste auf der Festplatte von T. lange übersehen.
Ermittlungen gegen die Opfer
Sichtlich peinlich war sowohl Polizeipräsidentin Slowik als auch Innensenator Geisel hingegen, dass mittlerweile auch gegen Betroffene ermittelt wird. Die Anwohner-Initiative Basta aus der Hufeisen-Siedlung in Neukölln protestiert angesichts der vielen Fragezeichen in der Terrorserie wöchentlich für Aufklärung vor dem Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm. Nun haben LKA-Beamte wohl Anzeige gegen die Opfer der Terrorserie erstattet – weil die Anmelderin der wöchentlichen Kundgebung es einmal versehentlich verpasst haben soll, ihre Demo anzumelden.
„Das ist formal korrekt und in der Sache nicht klug“, sagte Geisel, als er im Innenausschuss von Grünen und Linken damit konfrontiert wurde, „ich hoffe, dass man feststellt, dass die Nichtanmeldung fahrlässig war und das Verfahren eingestellt wird. So geht man nicht mit Opfern um.“ Auch Slowik, die den Vorgang im Innenausschuss noch nicht bestätigen konnte, sagte für den Fall, dass die Anzeigen zuträfen: „Das halte ich auch für eine schlechte Verfahrensweise.“
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