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Weniger arbeiten und das Klima rettenEine Frage der Umverteilung

Seltener in der Firma zu sein bedeutet weniger Produktion, weniger Wachstum, weniger Vermögen. Das könnte nicht nur dem Klima nützen.

Arbeitsfrei und Spaß dabei, alles klimabelastungsfrei Foto: Jeffery Erhunse/Unsplash, Warming Strip: showyourstripes.info

Hey, Freitag, endlich Wochenende! Ich freu mich, nicht weil ich ausschlafen kann, sondern weil ich im Kiez-Gemüsegarten dran bin. Seit ich neun Stunden pro Woche arbeite, ist mein Alltag viel cooler geworden. Meistens arbeite ich online von zu Hause und kann mir das super einteilen. Ich habe jetzt Zeit für soziale Projekte in der Kita oder bei der Bürgerenergie im Stadtviertel.

So könnte das Arbeiten in der Zukunft aussehen, wenn wir die Arbeitszeit auf 9 Stunden pro Woche kürzen. Das empfiehlt Philipp Frey in seiner Studie „The Ecological Limits of Work“. Denn mit dieser Wochenarbeitszeit könnte es uns gelingen, die Pariser Klimaziele einzuhalten. So hat es der Wissenschaftler vom Karlsruher Institut für Technologie ermittelt.

Klar können wir nicht von heute auf morgen die Arbeitszeit so radikal kürzen. Aber in der Coronakrise haben wir erlebt, wie die Emissionen durch das veränderte Arbeiten gesunken sind. Könnte mehr Digitalisierung helfen, das Klima zu retten, weil mehr Menschen von zu Hause arbeiten? Steffen Lange vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung sagt: Ja. Aber.

Mehr Digitalisierung verbraucht mehr Strom, verursacht einen höheren Ressourcenverbrauch wegen der steigenden Zahl an Geräten. Derzeit gehen 8 bis 10 Prozent des Stromverbrauchs und 4 Prozent des CO2-Ausstoßes auf die Internetnutzung zurück. Solange der Strom nicht zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien kommt, kann die Digitalisierung nicht helfen, die Pariser Klimaziele zu erreichen, sagt Steffen Lange.

Vorschläge der IG Metall

Ohne eine Transformation der Gesellschaft und somit auch der Arbeit geht es nicht. Der Druck auf die Industrie ist ohnehin hoch, aber nicht nur wegen des Klimaschutzes. Branchen wie Energieversorger oder Automobilindustrie befinden sich mitten im Strukturwandel. Die IG Metall hat deshalb bereits ein Transformationskurzarbeitergeld und eine Vier-Tage-Woche vorgeschlagen. Das Transformationsgeld könnte Beschäftigte sozial absichern – wie das Kurzarbeitergeld in der derzeitigen Coronakrise. Gleichzeitig könnten sich Betroffene sich für andere Jobs weiterbilden.

Eine generelle Arbeitszeitverkürzung würde auch zu mehr „Beschäftigungsgerechtigkeit“ führen, sagt Margareta Steinrücke. Sie hat viel zu Arbeitszeit geforscht und ist Mitglied in der Attac-AG „ArbeitFAIRteilen“. Durch die Verkürzung soll die Arbeit auf mehr Menschen verteilt werden.

Finanziert werden könnte die Arbeitszeitverkürzung schrittweise durch Vermögens-, Erbschafts- und Bodenwertsteuer und Anhebung des Spitzensteuersatzes, schlägt Steinrücke unter anderem vor. Auch die Unternehmen müssten ran: Seit den 80er Jahren sei die Lohnquote, der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt (BIP), gegenüber dem Kapitalvermögen gesunken, so Steinrücke.

Jetzt eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzuführen, würde nur die Schieflage der vergangenen Jahre korrigieren. Darin sind sich Margareta Steinrücke und Philipp Frey einig. Die bereinigte Lohnquote, gemessen am BIP, lag 2018 bei 56,7 Prozent. Das ist weniger als 1970 mit 65,6 Prozent.

Weniger arbeiten, gerechtere Beschäftigung

Mit einer Arbeitszeitverkürzung lässt sich aber nicht nur das Klima schützen, sondern auch Beschäftigungsgerechtigkeit herstellen. Erwerbsarbeit könnte so auf alle verteilt werden, dass jeder die Chance eines existenzsichernden Einkommens, Anerkennung, gesellschaftliche Teilhabe und Einfluss hat, sagt die Arbeitszeitforscherin Steinrücke. Arbeit werde ohnehin wegen Digitalisierung und Automatisierung auf lange Sicht knapper.

Und noch eine gesellschaftlich wichtige Komponente wird durch Arbeitszeitverkürzung erreicht: Geschlechtergerechtigkeit. Die Verringerung von Erwerbsarbeitszeit ermöglicht allen, mehr Haus- und Fürsorgearbeit, aber auch mehr soziale und ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen. Die Lebensqualität aller würde sich radikal verändern. Letztlich: Mit der Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit schaffen wir auch den gesellschaftlichen Systemwechsel.

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6 Kommentare

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  • Ich hoffe, Sie denken auch an Leute, die nicht arbeiten können oder wollen. Auch die müssen ein Recht auf Essen, Kleidung und Wohnung haben. Ist das ungerecht? Nur, wenn Sie meinen, eine Person müsse sich ihr Existenzrecht verdienen. Ich meine das nicht.

  • Nein, die Arbeit können Maschinen übernehmen. Im Mittelalter ernährte ein Bauer 6 Menschen, heute 140. Maschinen sind da noch viel extremer.



    Wo bleibt die Arbeitszeitverkürzung?

    Wieviele Staatsdiener ernährt heute ein Arbeiter? Zeit, dass endlich einmal andersherum gedient wird.

  • Die Landwirtschaft kennt Prämien für Stilllegungsflächen. Kann so schwer nicht sein, dieses Prinzip auf die Arbeitszeit zu übertragen.

  • Ja, bitte!

  • Wenn ich meine Mitarbeiter irgendwann nur noch neun Stunden pro Woche brauchen sollte, automatisiere ich lieber gleich vollständig und wandere in ein schöneres Land aus.

    Vor allem in ein Land mit niedrigen Steuersätzen ohne Erbschaft- und Vermögensteuer.

    Dann können sich die verbleibenden Arbeiter mit ihren 9 Stunden pro Woche gerne die Spitzensteuersätze anheben wie sie wollen.

    Wie wäre es den mal mit Konzepten, welche ohne Steueranhebungen auskommt?

  • alles richtig und auch machbar-aber nur in einer souveränen demokratie und also erst nach dem ende der standortkonkurrenz der staaten um kapital,arbeit und steuereinnamen