liebeserklärung: Der Pass
Um ihrer gewaltsamen Abschiebung zu entgehen, zerriss die belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa ihren Pass – der ihr damit endlich mal Macht verlieh
Ein Reisepass kann in unserer Welt Möglichkeiten eröffnen. Solche auf ein neues Leben, an einem neuen Ort. Der Pass kann helfen, Grenzen zu überwinden. Wenn auch nicht für alle gleichermaßen, leider. Wer einen deutschen Pass besitzt, kann mit ihm in 123 Länder reisen, ohne vorher ein Visum zu beantragen. Damit belegt das deutsche Ausweisdokument Platz 1 im globalen „Passport-Index“. Der belarussische Pass ist da weniger mächtig. Nur 27 Länder lassen sich mit ihm visumfrei betreten.
Anfang dieser Woche änderte sich das wohl zum ersten Mal. In einem Moment größter Gefahr und Ausweglosigkeit verlieh ein belarussischer Pass seiner Besitzerin Macht. Maria Kolesnikowa, Oppositionspolitikerin und letzte in Minsk Verbliebene aus dem Trio um Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, verschwand da plötzlich. Am Montagvormittag hielt ein Kleinbus in der Hauptstadt von Belarus, es stiegen maskierte Männer aus dem Wagen, zerrten Kolesnikowa von der Straße und entführten sie. So schildern es Augenzeugen.
Über zwölf Stunden dauerte es, bis Kolesnikowa wieder auftauchte: an der Grenze zur Ukraine. Man wollte sie zur Ausreise zwingen, berichtet sie später. Ihre Entführer hätten ihr physische Gewalt angedroht Man bringe sie so oder so aus dem Land – lebendig oder zerstückelt, sagte man ihr.
Um ihrer Abschiebung zu entgehen, zerriss Kolesnikowa kurzerhand ihren Pass. In viele, kleine Stücke. Schmiss die Fetzen aus dem Fenster und flüchtete dann aus dem Auto. Wer keinen Pass hat, kann schließlich auch keine Grenze überqueren. In einem Moment größter Bedrohung bewies diese Frau Stärke.
Vor ihrer Verschleppung hatte Kolesnikowa immer wieder betont, dass sie Belarus nicht verlassen werde. Der Süddeutschen Zeitung sagte sie kürzlich: „Ich habe gerade keine Angst.“ Und: Falls irgendetwas passiere, liege das nicht an ihr, sondern an der Regierung.
Mittlerweile befindet sie sich in einem Untersuchungsgefängnis in Minsk. Ihr drohen bis zu fünf Jahre Haft. Am Donnerstag erstattete Kolesnikowa Anzeige gegen den Geheimdienst und die Sonderpolizei. Wegen Bedrohung, Entführung, gewaltsamen Versuchs der Abschiebung, psychischen Drucks. Nichts, so wirkt es, kann diese Politikerin einschüchtern. Erica Zingher
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