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Studie zu Hartz-IV-RegelsätzenOhne Tafel wird es schwer

Besonders arbeitslose Männer haben nicht genug Geld, um ausreichend Essen zu kaufen. Die Sätze müssen steigen, sagt der Paritätische Gesamtverband.

Ein Karton mit Lebensmitteln in den Räumen der Aachener Tafel Foto: Marius Becker/dpa

Berlin taz | Hartz-IV-EmpfängerInnen haben zu wenig Geld für Lebensmittel zur Verfügung – und das auch nach der Neuberechnung des Regelsatzes für das Jahr 2021, die das Bundesarbeitsministerium kürzlich vorlegte. Besonders Männer in der Grundsicherung bekommen nicht genug Geld, um sich Essen leisten zu können, das als Minimum für eine gesunde Lebensweise gilt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Paritätischen Gesamtverbands, die sich mit der Versorgung von Hartz-IV-EmpfängerInnen beschäftigt.

„Millionen Menschen sind von der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt“ erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands.

Die Regelsätze werden nach dem sogenannten Statistikmodell regelmäßig erhöht, ein Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium passierte unlängst das Kabinett. Ab dem kommenden Jahr soll der Regelsatz für alleinstehende Hartz-IV-BezieherInnen um 7 Euro auf 439 Euro im Monat steigen. Familien bekommen entsprechend mehr.

In diesem Regelsatz sind 150 Euro für die Kosten von Nahrungsmitteln und Getränken vorgesehen. Der Paritätische zog für seine Vergleichsrechnung nun die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung heran, wobei eine „kostenminimale“ gesunde Versorgung angestrebt wurde.

1,6 Millionen bei den Tafeln

Die Gesellschaft kam bei Frauen auf einen erforderlichen Lebensmittelwarenkorb zum monatlichen Preis von 164 Euro, bei Männern auf einen Warenkorb für 195 Euro. Bei Frauen im Hartz-Bezug fehlen demnach 14 Euro, bei Männern 45 Euro im Monat für eine gesunde Ernährung.

Der höhere Bedarf der Männer entstehe „nicht etwa, weil sich Männer grundsätzlich aufwändiger ernähren würden, sondern ergibt sich ganz schlicht aus der Tatsache eines höheren Nährstoffbedarfs“, sagte Schneider.

Viele Hartz-IV-EmpfängerInnen nutzen regelmäßig die Angebote der Tafeln. Auf 1,6 Millionen Menschen schätzt der Tafel-Bundesverband die Zahl der EmpfängerInnen dieser Lebensmittelspenden. „Diese Menschen kompensieren unzureichende Leistungen der Grundsicherung über die Angebote der Tafeln“, heißt es in der Studie.

Der Paritätische weist auf weitere Mangelsituationen hin. Danach hat jede vierte oder jeder vierte Alleinstehende im Hartz-IV-Bezug aus finanziellen Gründen keinen Internetanschluss. Die Hälfte lädt keine FreundInnen ein, weil das Geld dazu fehlt.

Forderung: 100 Euro mehr pro Monat

Mit Blick auf die Studie fordert der Gesamtverband die sofortige Erhöhung der Regelsätze in Hartz IV und Altersgrundsicherung um 100 Euro pro Kopf und Monat und eine Einmalzahlung von 200 Euro an alle EmpfängerInnnen von Grundsicherung.

Die Regelsätze berechnen sich nach einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die alle fünf Jahre erhoben wird. Zuletzt war dies 2018 der Fall, die Daten daraus bilden jetzt die Grundlage für die Festsetzung des Regelsatzes ab dem Jahre 2021.

In der Verbrauchsstichprobe werden die Konsumausgaben von 15 Prozent der ärmsten Haushalte mit Alleinstehenden beziehungsweise 20 Prozent der ärmsten Haushalte mit Familien und Alleinerziehenden als Grundlage herangezogen. Aus diesen Gruppen werden Menschen im Bezug von Leistungen der Grundsicherung herausgenommen, nicht aber Leute, die ein geringes Arbeitseinkommen durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken.

Nach dem Konsum dieser untersten Einkommensgruppen wird der Regelsatz berechnet. Der nach diesem Statistikmodell ermittelte Regelsatz wird dann jährlich entsprechend der Entwicklung von Preisen und Nettolöhnen erhöht.

Für Diskussionen sorgt dabei immer wieder, dass bestimmte Konsumausgaben der untersten Einkommensgruppen, etwa für Spirituosen, Tabak, chemische Reinigung, Campingausrüstung oder Gartengeräte und vieles andere in der Berechnung des Regelsatzes nicht berücksichtigt werden. Außerdem wird kritisiert, dass die Stromkosten durch den Regelsatz nicht gedeckt werden können.

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19 Kommentare

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  • ich stelle fest ...

    h4 ist eine solidarische hilfe für die erste not.

    nicht gedacht für einen dauerhaften bezug.

  • 180 Euro reichen im Monat für essen und trinken eines Erwachsenen.



    Das praktizieren wir seit vielen Jahren und essen dabei alle 14 Tage 650 Gramm Biolandgulasch, die einzige warme Mahlzeit in diesem Zeitraum.



    Für die Differenz zum Regelsatz muss man alle 25 Jahre einen neuen Kühlschrank kaufen. Eine neue Kaffeemaschine alle 12 Jahre.



    5 Kleidungsstücke, Strümpfe nicht mitgerechnet im Jahr. TV alle 15 Jahre.....



    Strom und Internet kommen dazu. Das war es.



    Die kostenlosen Kulturangebote der Kommunen fallen derzeit aus.



    Wer raucht und trinkt hat ein Problem. Das kann er per Tafel lösen.



    Rauchen kostet von 16 bis 66 eben ab 90 000 Euro,die manche in eine Eigentumswohnung lieber stecken.



    Heute Abend gibt es Linseneintopf Gut und Günstig für 98 Cent und eine Scheibe Brot von gestern.



    Freue mich schon darauf.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Wenn grüne Besserverdiener, die nur im Biomarkt ökologisch, vegan, korrekt kaufen, sich fragen, wie man das als Hartz4 Empfänger bezahlen soll, dann bleiben natürlich Fragezeichen. Ob der durchschnittliche Hartz4 Empfänger allerdings die Lebenseinstellung des grünen Besserverdieners teilt, ist eine offene Frage. Fälle von Hungertod werden in Deutschland eher selten publik, eher hört man von Problemen mit Adipositas.

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Ist ja auch naheliegend. Die wenigsten wissen wirklich, was sie wofür ausgeben. Sehr wenige notieren und prüfen ihre Ausgaben.



      Ich weiß genau, wofür ich mein Geld ausgebe. Und das, obwohl ich mich gar nicht einschränken muss.



      Vom H4 Regelsatz könnte ich normal leben und dogar einiges Bio im Supermarkt kaufen. Aber ich würde und könnte mich halt auf das wirklich Notwendige beschränken. Kein Rauchen, kein Alkohol, kein Auto, nicht den neusten Spielkram, keine Markenklamotten, keine Fernreisen, keine Brille für 500 Euro usw.



      Ich wäre dann jedenfalls dankbar, dass ich nicht auf der Straße säße oder hungere. Dass so eine Situation schwer ist und belastet, ist ja klar. Und dass Menschen mit Einschränkungen mehr Geld bräuchten, z.B. für Schuheinlagen, sollte auch klar sein.

  • Was für ein tolles Land, wo jeden Monat 1,6 Millionen Menschen an eine der 947 Tafeln anstehen müssen, um nicht zu hungern. Die Tafeln - "Der Geruch der Armut".

    taz: "Der höhere Bedarf der Männer entstehe „nicht etwa, weil sich Männer grundsätzlich aufwändiger ernähren würden, sondern ergibt sich ganz schlicht aus der Tatsache eines höheren Nährstoffbedarfs“, sagte Schneider." - Dass wir in diesem reichen Land, wo Manager das 100- bis 300-fache Jahresgehalt einer Krankenschwester beziehen, überhaupt darüber diskutieren, dass der 'arme Mann' einen höheren Nährstoffbedarf hat, als die 'arme Frau', ist erbärmlich. Alle paar Jahre kommt ein neuer Armutsbericht der Bundesregierung mit noch verheerenderen Zahlen (Kinderarmut, Altersarmut, etc.) heraus, aber gegen Armut wird trotzdem nichts unternommen. Die Reichen werden immer reicher und die Armen müssen an der Tafel um Essen anstehen. Das ist die bittere Realität in unserem reichen Land.

    taz: "Die Regelsätze werden nach dem sogenannten Statistikmodell regelmäßig erhöht, ein Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium passierte unlängst das Kabinett." - Statistikmodell? Statistik ist die mathematische Form der Lüge. Die Wahrheit ist doch, dass seit Jahren die Hartz-IV-Regelsätze systematisch niedrig gerechnet werden, wie das Fernsehmagazin 'Monitor' (ARD) berichtete. Mit solchen "Tricksereien" wird aber nicht nur bei den ALG II Empfängern gespart (ca. 10 Milliarden Euro im Jahr), sondern auch bei den Einkommenssteuerzahlern, denn Hartz IV ist daran gekoppelt. Je höher der Hartz IV Regelsatz nämlich ist, um so höher ist der Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler in diesem Land. Da man aber die Hartz IV Sätze nicht anhebt, wird natürlich auch der Freibetrag nicht angehoben, und so holt sich der Staat noch einmal 15 Milliarden Euro vom Steuerzahler. Etwa 25 Milliarden Euro spart der Staat so im Jahr an seine Bürger.

  • Ich war selber 7 Jahre auf Hartz IV und klar am Monatsende gabs immer Kartoffeln aber ich hab auch geraucht ..



    An sich langen die Sätze zum Leben. Als ich zum Arbeitsamt fuhr war ich oft der einzige mit dem Fahrrad - die anderen Hartz IV ler hatten alle Autos (wie immer die das bezahlt haben). Klar Autofahren ist nicht drinnen ohne Betrug .

    • @Timelot:

      Ganz wichtig ist es aber jetzt auf die bedenklich niedrigen Versorgungs-Sätze unserer Abgeordneten zu erinnern und dass die Gehälter der Richter unbedingt an die gestiegenen Gebühren der öffentlichen Bibliotheken angepasst werden müssen.



      Diese Leute müssen die ganze Last ihrer öffentlichen Aufgaben tragen.



      Deshalb sollte diese verantwortliche Tätigkeit auch angemessen bezahlt werden.

    • @Timelot:

      Kommentar entfernt. Bitte keine Beleidigungen.

      Die Moderation

      • @Wagenbär:

        Ich formuliere anders:



        Der Kommentar von "Timelot" enthält nicht die allergeringte Glaubwürdigkeit

    • @Timelot:

      ".



      "....Autofahren ist nicht drinnen ohne Betrug" . Da laut ihres Kommentars alle ein Auto haben, sind auch alle Betrüger. Sie verbreiten hier erfundenen Blödsinn!

      • @Andreas J:

        manche sind ja evtl. auch hingefahren worden ... das ist die Wahrheit , warum sollte ich lügen - bin alter taz Leser und habe hier schon viele Kommentare greschrieben. ´Mein Punkt ist der das sich viele ein Auto leisten obwohl sie gar nicht das Geld dafür haben und dann zur Tafel fahren mit ihrer Kiste um was zu essen zu bekommen . In Berlin mag das ja anders sein..

  • "...ergibt sich ganz schlicht aus der Tatsache eines höheren Nährstoffbedarfs" - das mag ja statistisch richtig sein, hilft im Einzelfall aber nicht weiter.

    Es ist ja nett, dass die taz auch mal Nachteile für Männer benennen will, aber der individuelle Nährstoffbedarf einer Frau kann ebenfalls auf dem Niveau eines Durchschnittsmannes liegen. Das hängt vor allem von Körpergrösse und Gewicht ab. Es ist Unsinn, so eine Rechnung getrennt nach Geschlechtern aufzumachen.

    • @Winnetaz:

      Frauen kommen schon sehr selten auf den Kaloriebedarf von Männern.



      Nicht nur aufgrund dessen das Männer von Natur aus größer und schwerer sind. Die erhöhte Muskelmaße spielt dabei ebenfalls eine große Rolle.



      Sicherlich müsste man es individuell betrachten für komplette Fairness.



      Aber das es generell eine große Differenz zwischen Männern und Frauen in dem Bereicht gibt ist fakt.

    • @Winnetaz:

      Bei der Bedarfsrechnung werden offensichtlich Durchschnittswerte verwendet. Und im Durchschnitt sind Männer größer und schwerer. Folglich verbrauchen sie auch mehr Kalorien.



      Es ergibt keinen Sinn darüber zu philosophieren, dass es auch sehr große oder schwere Frauen gibt, die mehr Kalorien verbrauchen als 90% der Männer.



      Eine Anpassung an mehrere spezifische Gruppen, die spezifische Bedürfnisse haben, wäre vielleicht sinnvoll. Ich vermute, es gibt Lebensbereiche, in denen Frauen höhere notwendige Kosten haben als Männer.

  • Wenn 150 Euro im Monat für Essen und Trinken berechnet wurde sind das ca. 5 Euro pro Tag. Wer soll sich davon gesund ernähren? Was ergeben sich daraus eigentlich für Folgekosten im Gesundheitssystem, das ja auch von der Allgemeinheit finanziert wird?

  • Danke für diesen Beitrag! Ich hoffe dass die aktuelle Studie des Paritätischen eine Klagewelle auf Erhöhung der Sätze auslöst und Beratungsstellen auch genau dazu raten. Denn ich bin pessimistisch genug dass die Regierung hier nicht von sich aus eine Anhebung der Sätze auf das Existenzminimum anordnet. Krasses Beispiel: Weil durch die Kita- und Schulschließungen auch die in Berlin Gebührenfreien Mittagsessen wegfielen wurde u.a. das Kindergeld erhöht. Außer für Hartz IV Eltern. Denn das Kindergeld auch die Erhöhung wird auf den Regelsatz angerechnet also abgezogen.



    (§ 11 Abs. 1 SGB II).

    • @Nina Janovich:

      dafür gibts doch den Kinderbonus der dann in der Steuererklärung mit dem Kinderfreibetrag verrechnet wird. Bitterkeit beiseite. Natürlich haben sie recht.



      Das das Grundsicherungssystem ein grauenhafter Witz ist unter dem insbesondere die Schwächsten ( Kinder / psych. physisch Kranke / Alte) zu leiden haben ist doch bekannt. Und es wäre ja noch schöner wenn sich dieses ändern würde.

  • Etwas mehr als zehn Euro am Tag zum ausgeben. Das haut nicht hin, ist der Bundesregierung aber egal.

    • @Blingbling:

      Meinten Sie das 10 Euro pro Tag der richtige Betrag wäre für die Ernährung eines Einzelnen ?



      Das wäre zumindest ein sehr guter Start und würde heißen , der der Regelsatz um 150 € auf dann 582 ,- steigen würde.



      Was im übrigen fast dem BaFög-Höchstsatz unter der Bedingung Studium und wohnen bei den Eltern entspricht.