: Von der Schulleiterin zur Kita-Hilfskraft
Geflüchtete Akademiker stehen in Deutschland oft vor dem Nichts. Die Uni Oldenburg versucht mit eine Kontaktstudium, Perspektiven zu bieten
Von Joachim Göres
„Ich habe einen Bachelor in Philosophie und Theologie aus dem Kongo“, berichtet Blaise Pokos. Doch als er seine Aufenthaltserlaubnis bekam und das sagte, habe es geheißen: „Das ist hier nichts, das ist wie ein Hobby.“
Pokos blickt ernst in die Kamera. Es war seine erste Erfahrung von Nicht-Anerkennung. Er ist einer von vielen Akademikern, die asylsuchend nach Deutschland kamen und beruflich vor dem Nichts standen. In einem Dokumentarfilm kommen Teilnehmer einer Weiterbildung zu Wort, die die Uni-Oldenburg für Personen mit Migrations- oder Fluchterfahrung bietet: dem zehn Monate dauernden „Kontaktstudium Pädagogische Kompetenz in der Migrationsgesellschaft“.
„Trittbrettfahrer“, „Augenhöhe“, „Wortführer“ – Professor Rudolf Leiprecht referiert vor den 25 Studierenden des aktuellen Jahrgangs über „Die soziale Konstruktion von Großgruppen“. Viele Ausdrücke, die Leiprecht gebraucht, sind ihnen nicht geläufig, einige zücken ihr Smartphone, um nach einer Übersetzung zu suchen.
„Wir haben alle in unseren Heimatländern studiert, wissenschaftliche Begriffe können wir uns schnell erschließen“, sagt Emad Yacoub, der in Syrien Arabische Literatur unterrichtet hat. Er kam vor fünf Jahren nach Deutschland, begann die Sprache zu lernen und arbeitete in Seelze bei Hannover befristet als Betreuer von jugendlichen Geflüchteten. Sein Ziel ist eine feste Stelle. Durch das Kontaktstudium will der 40-jährige Familienvater seine Chancen verbessern.
Dort stehen Themen wie Grundlagen der Pädagogik, Kommunikation und Mehrsprachigkeit auf dem Programm. Neben den 500 Kursstunden sind zehn Wochen Praktikum in einer pädagogischen Einrichtung Pflicht. „Dort lernen sie den Arbeitsalltag zum Beispiel in einem Kindergarten kennen“, sagt Elvira Koop, die Fachsprache Deutsch unterrichtet. In einem Jugendzentrum könne es sein, dass sie anfangs kaum etwas verstehen, wenn Jugendliche wenig reden. „Und doch machen viele Praktikanten freiwillig weiter, weil der Kontakt zu Einheimischen viel bringt.“
Das Kontaktstudium bietet die Uni Oldenburg seit 2004. Seit 2015 unter dem aktuellen Titel. Die Studierenden treffen sich dreimal die Woche je nach Wohnort in Hannover, beim Verein „Kargah“ oder in Bremen bei der „effect gGmbH“. Derzeit arbeiten sie allerdings wegen Corona von zu Hause aus.
Die Weiterbildung endet mit einem Zertifikat. Rund ein Viertel studiert danach an der Uni Oldenburg Pädagogik oder an der Uni Vechta oder der Fachhochschule Hildesheim Soziale Arbeit und kann sich Teile anrechnen lassen. An der Uni Oldenburg gibt es neben dem Studium Extratermine in Kleingruppen und eine enge Betreuung.
Davon profitierte auch Thomas Safari, der in Ruanda nach seinem Pharmaziestudium lange als Apotheker arbeitete. In Deutschland erlebte er, dass geflüchtete Ärzte Taxi fahren und Bauingenieure im Supermarkt Regale befüllen – ihre Ausbildung zählte hier nicht. Safari wollte nicht Hilfsarbeiter sein. Er studierte nach dem Kontaktstudium „Interkulturelle Bildung und Beratung“ und fand als Sozialarbeiter bei der Caritas eine Stelle.
Trotz Sprachproblemen gebe es kaum Abbrecher, sagt Leiprecht. Dazu trage die gute Betreuung und die große Motivation der Studierenden bei. Er bedauert, dass andere Hochschulen kaum Vergleichbares anbieten, da der Bedarf groß sei. Laut einer Studie des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge besuchten 18 Prozent der seit 2015 nach Deutschland Geflüchteten im Herkunftsland eine Hochschule.
Doch die meisten studieren nach dem Kontaktstudium nicht weiter, aus finanziellen Gründen, wie Sameha Abduljalil. Die Englischlehrerin hat im Jemen studiert und eine Grundschule geleitet. „Ich muss ja irgend wovon leben, da kann ich mir nicht noch ein langes Studium leisten“, sagt sie. Wie sie haben viele wegen ihres Alters keinen Anspruch auf Bafög mehr. Abduljalil sieht das Kontaktstudium als gute Vorbereitung auf eine verkürzte Ausbildung zur Sozialassistentin – danach könnte die einstige Schulleiterin dann als Zweitkraft in einer Kita arbeiten.
Emad Yacoub ist enttäuscht, dass ihm das Kontaktstudium allein vermutlich nicht zu einer höher qualifizierten Stelle verhilft. Er fordert die stärkere Anerkennung des Studiums und der Berufserfahrung aus dem Herkunftsland: Es würden doch in Deutschland Pädagogen gesucht. „Wir haben die benötigten Fähigkeiten und Kenntnisse und konnten im Kontaktstudium unsere Sprachkenntnisse verbessern – warum lässt man uns in Schulen und Kindergärten nicht entsprechend unserer Ausbildung arbeiten?“ Bitter fügt er hinzu: „Wäre ich doch Handwerker geworden, dann hätte ich hier bessere Chancen.“
Das nächste Kontaktstudium startet ab 29. September in Hannover, Infoveranstaltung am 16. September. Gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Niedersächsischen Kulturministerium. Vorausgesetzt, die Förderung steht, startet der Kurs auch in Bremen, www.uol.de/cmc/kontaktstudium
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