Ein Jahr vor der Berlin-Wahl: Alle beim Wahlkampf
In einem Jahr, im September 2021, wird in Berlin neu gewählt. In den Parteien aber hat die Qual der Wahl längst begonnen.
Z wölf Monate, zwölf Umfragen, zwölfmal eine teils satte Mehrheit für eine Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen. Da konnte die CDU auf Bundesebene zuletzt boomen wie lange nicht mehr – in Berlin unterstützen laut Befragungen seit August 2019 konstant 56 bis 57 Prozent der Wähler die drei Parteien links der Mitte. Bloß jüngst im Juli waren es nur 53 Prozent – aber damit immer noch mehr als bei der Abgeordnetenhauswahl 2016. Also alles schon gelaufen für eine Neuauflage im September 2021? Bloß noch zu klären, ob diese Koalition dann grün oder rot geführt ist? Nein, ganz und gar nicht.
Ein Jahr noch bis zur Wahl, genauer: bis zu den Wahlen, denn parallel zur Abgeordnetenhauswahl ist ja auch die zum Bundestag angesetzt. Prägen wird diesen Tag zudem der mutmaßlich gleichfalls anstehende Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Viel wird zudem davon abhängen, ob es tatsächlich ab Januar einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben wird, wie das Robert-Koch-Institut, alles andere als ein Lautsprecher, jüngst angekündigt hat, wie zügig dann geimpft werden kann – und wie schnell Corona danach in den Hintergrund rückt und ganz anderes nach vorne. Wenn nicht mehr vorrangig Krisenmanagement von Merkels ruhiger Hand gefragt ist, wäre wieder Platz für Themen, bei denen CDU und CSU vorher weit weniger gut aussahen, etwa beim Umweltschutz.
Viel hängt aber auch daran, wie es in der rot-rot-grünen Koalition auf Berliner Landesebene weitergeht. Bringt das Thema Enteignungen – von der Linkspartei und als letztes Mittel auch von den Grünen unterstützt, von den Sozialdemokraten aber mehrheitlich abgelehnt – das Bündnis in den letzten Monaten noch auseinander? Wie sehr prägt der parallele Volksentscheid die Entscheidung bei der Wahl in Berlin?
Offen ist auch: Wie sehr beeinflusst der viel zitierte Bundestrend den Ausgang der Abgeordnetenhauswahl? Schon bei Umfragen ist oft zu beobachten, dass die Befragten sich merklich wenig an der landespolitischen Performance der Parteien orientieren, sondern sich vorrangig vom Agieren der großen Namen auf Bundesebene leiten lassen. Macht Angela Merkel in der Coronakrise eine gute Figur, steigen die Werte der Berliner CDU, ohne dass die währenddessen durch nennenswerte eigene Initiativen aufgefallen wäre. Und mit den Grünen auf Bundesebene, die ohne eigenen Fehler in Umfragen absackten, weil sie als Oppositionspartei in der Krise weniger als sonst im Fokus sind, verloren auch die Berliner Grünen an Rückhalt: Sie sackten von 25 Prozent im Februar auf 19 Prozent im Juli ab.
Mit parallelen Wahlen zu Bundestag und Landesparlament am selben Tag dürfte sich dieses Phänomen verstärken – die Union mit Merz/Laschet/Söder auf Bundesebene wählen, aber der Berliner CDU die Stimme verweigern, das dürfte nicht so oft passieren.
Schließlich ist da noch die Frage: Hat die designierte neue SPD-Landeschefin und absehbare Spitzenkandidatin Franziska Giffey überhaupt Lust auf Rot-Rot-Grün? Würde sie, die Noch-Bundesministerin, sich als einfaches Senatsmitglied einordnen, falls die Grünen bei der Wahl vor der SPD landen? Oder würde sie ein Bündnis mit CDU und FDP auszuloten versuchen, um die Sozialdemokraten im Roten Rathaus zu halten und selbst Regierungschefin zu werden? Was natürlich voraussetzt, dass die SPD vor der CDU landet und die FDP überhaupt im Abgeordnetenhaus bleibt und nicht an der Fünfprozenthürde scheitert.
Der Tag der Entscheidung Im Herbst 2021 wird das Berliner Abgeordnetenhaus neu gewählt – und damit indirekt auch der Senat. Am selben Tag findet die Wahl zum Deutschen Bundestag statt, wird in den Bezirken gewählt, und möglicherweise stehen ein oder mehrere Volksentscheide zur Abstimmung, etwa der von der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen. An welchem Tag genau, wird wohl Anfang 2021 entschieden, gut möglich wäre der 26. September.
Die Umfragen In Berlin liegen vier Parteien meist zwischen 15 und 22 Prozent: CDU, Grüne, Linke und SPD – immer wieder in unterschiedlicher Reihenfolge. Zugleich gab es über die gesamte Legislatur eine konstante und durchaus deutliche Mehrheit für Rot-Rot-Grün. (bis)
Und was passiert, wenn es doch weniger Prozente als derzeit prognostiziert werden für die jetzigen Koalitionsparteien, es also doch nicht erneut für eine Mehrheit links der Mitte reicht? Bekommt dann eine grüne Spitzenkandidatin von ihrer Basis freie Hand, um eine grün-schwarze Koalition auszuloten? Oder noch schlimmer: eine schwarz-grüne? Dazu muss diese Spitzenkandidatin gar keine Wirtschaftssenatorin vom Realo-Flügel sein und Ramona Pop heißen, bei der linken Parteibasis für ein solches Bündnis grundsätzlich verdächtig. Nein, auch Fraktionschefin Antje Kapek pflegt solche Kontakte und war noch wenige Wochen vor dem Coronalockdown mit CDU-Chef Kai Wegner eine Bio-Currywurst essen – man war nicht immer einer Meinung, aber per du.
Viele Fragen, viele Unwägbarkeiten. Ein Jahr Vorlauf bis zum Wahltermin im September 2021 scheint noch lang und eine US-Amerikanisierung hiesiger Abstimmungen zu sein: Dort liegt schon zwischen dem ersten offiziellen Vorwahltermin in Iowa zur Kandidatenauswahl und der eigentlichen Präsidentenwahl am 3. November ein Dreivierteljahr, ganz zu schweigen vom monatelangen Warmlaufen der Bewerber zuvor. Doch neu ist das eigentlich auch in Berlin nicht: Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 war es schon gut anderthalb Jahre vorher das liebste Gesprächsthema in der Landespolitik, ob Renate Künast, damals Bundestagsfraktionschefin, grüne Spitzenkandidatin würde.
Wie dem auch sei: Er hat begonnen, der Kampf ums Rote Rathaus, das nach Wunsch von Künasts Parteifreunden grün werden soll. (sta)
Die SPD: Was will diese Frau?
Wer wird die SPD im kommenden Jahr in den Wahlkampf führen? Seit Januar scheint diese Frage eigentlich beantwortet. Nachdem Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, den Regierenden Bürgermeister Michael Müller als Landesvorsitzenden abgelöst haben, wird Giffey zur Spitzenkandidatin gekürt. So weit die Theorie.
Die Praxis ist komplizierter. Denn sie hat damit zu tun, ob Giffey nicht nur als Spitzenkandidatin, sondern bereits als Regierungschefin in den Wahlkampf ziehen, Müllers Nachfolge also schon vor der Wahl antreten will. Bislang sieht es nicht danach aus: „Giffey will keine Probleme erben“, heißt es aus ihrem Lager. Das böte die Möglichkeit, nach der Wahl einen „klaren Cut zu machen“.
Wie ein solcher Cut aussehen könnte, hat sich bereits angedeutet. Nachdem Müller angekündigt hat, für den Bundestag kandidieren zu wollen, haben auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und Bildungssenatorin Sandra Scheeres ihren Rückzug angekündigt. Auch Finanzsenator Matthias Kollatz schwimmen die Felle davon. In der Partei wird gemunkelt, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Torsten Schneider, habe ein Auge auf dessen Amt geworfen. Selbst Andreas Geisel muss sich Sorgen machen, denn das Amt des Innensenators wäre wohl die Krönung der politischen Laufbahn von Raed Saleh.
So weit die Personalüberlegungen, die sich bis in den Dezember ziehen dürften. Denn auf dem Parteitag am 31. Oktober soll zunächst nur der neue Landesvorstand gewählt werden. Spannend wird es dann am 19. Dezember, wenn erst über die Listenplätze für den Bundestag abgestimmt wird und dann Giffey zur Spitzenkandidatin gekrönt werden soll.
Entscheidend dabei wird sein, welchen Listenplatz Michael Müller einnimmt. Sollte die SPD nur noch vier Bundestagsmandate bekommen, könnte das bei einem möglichen Direktmandat in Spandau bedeuten, dass nur drei Listenplätze sicher sind. Bekannt ist, dass sowohl Müller als auch Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert in den Bundestag wollen. Sollte die SPD zudem entscheiden, dass die Liste mit einer Frau beginnt (gesetzt ist hier Cansel Kiziltepe aus Friedrichshain-Kreuzberg), würde es für Kühnert und Müller nicht reichen. Aber auch, wenn die Liste mit einem Mann beginnt, ist nicht sicher, wer diesen Platz einnehmen wird. Alle Versuche, sich mit Kühnert abzusprechen, sind offenbar gescheitert.
Es könnte also gut sein, dass Müller am 19. Dezember leer ausgeht. Wird er dann auch als Regierungschef zurücktreten? Das sei nicht geplant, heißt es aus seinem Lager. Aber es könne sich natürlich die Situation ergeben, dass Giffey früher ranmuss als geplant. Und das soll wohl heißen: Wählt mal schön alle Müller auf Platz eins, sonst folgen dem 19. Dezember wieder mal Chaoswochen in der Berliner SPD. Dazu könnten dann auch vorgezogene Neuwahlen gehören. (wera)
Die Grünen: Pop oder Kapek
Es dürfte gerade der exklusivste Klub Berlins sein. Sechs Mitglieder, dann ist die Tür zu. Was das Treffen so attraktiv macht: Diese Sechs entscheiden, inoffiziell zumindest, darüber, wer grüne Spitzkandidatin bei der Abgeordnetenhauswahl wird und dadurch große Chancen hat, Berlins erste Regierende Bürgermeisterin zu werden – als die SPD-Politikerin Louise Schroeder Stadtoberhaupt war, hieß das noch Oberbürgermeisterin. „Spitzenkandidatin“, weil in diesem Klub feststeht, dass eine Frau die Grünen in den Wahlkampf führen soll. Offen ist aber, ob diese Frau Fraktionschefin Antje Kapek sein soll oder erneut Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, die bereits bei der Wahl 2016 an der Spitze der Grünen-Kandidatenliste stand.
Der exklusive Sechser-Klub hat dabei vor allem einen Zweck: die Sache im Vorfeld des Grünen-Parteitags am 28. November zu klären und zu verhindern, dass es dort zu einem Duell kommt, das die Partei spalten statt auf den Wahlkampf einschwören könnte. Versteinerte Mienen der Unterlegenen und ihrer Anhängerschaft sind nicht die Bilder, die nach Willen der führenden Grünen von dem Parteitag ausgehen sollen.
Mitglieder des Auswahl-Klubs sind neben den beiden Kandidatinnen selbst – die offiziell noch gar keine Ansprüche erhoben haben – die Landesparteichefs Nina Stahr und Werner Graf sowie Kapeks Co-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel und der parlamentarische Geschäftsführer der Abgeordnetenhausfraktion und frühere langjährige Parteichef, Daniel Wesener. Und bislang halten in diesem Klub auch alle dicht, die Kandidatinnen eingeschlossen.
Beide möglichen Spitzenkandidatinnen sind etwa gleich alt – Kapek wird im September 44, Pop im Oktober 43 –, beide haben ihr ganzes politisches Leben in Berlin verbracht. Für Kapek begann das als Kind: Auch ihr Vater Frank war Mitglied des Abgeordnetenhauses. Pop wechselte im Studium nach Berlin, war Bundesvorsitzende der Grünen Jugend und Teil eines Förderprogramms. Ihre Mentorin dabei: die damalige Bundesministerin Renate Künast, 2011 selbst grüne Nummer 1 bei der Abgeordnetenhauswahl. Pop ist die Reala, Kapek ist als Kreuzbergerin dem linken Parteiflügel zuzuordnen. Pop musste im Dezember einen Tiefschlag verdauen, als ein Grünen-Parteitag die von ihr unterstützte Bewerbung für die große Auto-Schau IAA ablehnte – hat aber als Senatorin in der Coronakrise mehr Medienpräsenz denn je. (sta)
Linke: Auf den Deckel kommt's an
Es ist manchmal schon fast beängstigend, wie leise die Berliner Linkspartei ihre Personalien ordnet. Das war beim Generationenwechsel an der Fraktionsspitze so und bei der Nachbesetzung des Postens der Stadtentwicklungssenatorin. Auch die Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl im September 2021 wird keine Ausnahme darstellen: Kultursenator Klaus Lederer dürfte es werden. Im Dezember, so ist es geplant, soll ein Parteitag darüber entscheiden.
Und selbst wenn Corona diese Kür unmöglich machen sollte: Niemand in der Partei macht dem 46-Jährigen aktuell die Poleposition streitig – obwohl Lederer nicht mehr Landeschef ist. Das war auch auf dem letzten Parteitag im August zu beobachten: Neben der Parteivorsitzenden Katina Schubert, die das Amt vor knapp vier Jahren von Lederer übernahm, hatte nur der Kultursenator einen längeren Auftritt.
Es gelang ihm in diesen 30 Minuten, zugleich das Profil der Partei zu betonen und die Koalition strahlend dastehen zu lassen. Der Mietendeckel, eine krisenfeste Daseinsfürsorge, die Stärkung der öffentlichen Hand – dafür werde sich die Linke weiterhin einsetzen; dank Rot-Rot-Grün sei die Wende zu einer sozialeren Stadtentwicklung gelungen. Die Verlierer der Krise sind laut dem Kultursenator die Hartz-IV-EmpfängerInnen – und die vielen Solo-Selbstständigen, für die Lederer früh ein bundesweit beispielhaftes Förderprogramm aufgelegt hatte. Überhaupt gelingt es ihm mit wenigen Ausnahmen, umfangreiche Unterstützung für die wegen Corona siechende Kulturszene der Stadt zu organisieren und damit – ähnlich wie in den anderen beiden linken Senatsressorts – die Klientel der Partei zu bedienen.
„Unduldsam, beherzt, gerecht“, wirbt Lederer auf seiner Webseite für sich. Ersteres – laut Duden unter anderem ein Synonym für intolerant und unerbittlich – zeigt sich bei jeder seiner schnellen, bisweilen stakkatoartigen und immer wieder auch theoriegeschwängerten Reden, der nicht unbedingt alle ZuhörerInnen folgen und folglich schwer widersprechen können. Vielleicht wäre auch „ungeduldig“ das bessere Wort. Lederer ist sich dieser Schwierigkeit bewusst und versucht sich zu bremsen. So auch beim jüngsten Parteitag. Es gelang ihm nur kurz.
Dennoch hat es der Kultursenator, der zudem für Europa und die Religionen zuständig ist, laut Umfragen zum beliebtesten Politiker der Stadt gebracht. Doch damit Lederer den Sprung ins Rote Rathaus schafft, muss seine Partei noch ein bisschen zulegen. Nach einem Zwischenhoch in Umfragen zur Mitte der Legislaturperiode liegt die Linke seit einiger Zeit konstant hinter den Grünen. Wobei unklar ist, wie stabil diese Erhebungen unter Coronabedingungen sind.
Für Lederer wie für seine Partei wird es vor allem darauf ankommen, ob der Mietendeckel vor dem Verfassungsgericht Bestand hat. Hält der maßgeblich von der zurückgetretenen linken Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher durchgesetzte Deckel, kann die Linke damit bei den mehr als 1,5 Millionen MieterInnenhaushalten potenziell als progessive und mutig punkten. Kippt er ganz oder teilweise, wird es darauf ankommen, ob die WählerInnen schon den Versuch einer radikal anderen Mietenpolitik gutheißen oder das Scheitern der Linken anlasten. (bis)
CDU: An der Spitze ist es einsam
Es ist zuletzt ein bisschen still geworden um die Berliner CDU. Mit einem überraschend anderen Ansatz in Sachen Umweltpolitik, einem unterhaltsamen Online-Parteitag und einem Logo-Wechsel samt einer digitalen Kampagne namens „#aufgehtsberlin“ hatten die Christdemokraten in der ersten Jahreshälfte trotz Corona noch ein paar Lebenszeichen geben können. Sogar „Guerilla-Aktionen“ hatte Generalsekretär Stefan Evers für die folgenden Monate angekündigt – doch falls es sie gegeben hat, haben sie jedenfalls bislang nicht für Aufmerksamkeit gesorgt. Und auch wenn die CDU weiter offenlässt, wann sie und wen zum Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl kürt – die Antwort darauf beschäftigt die Landespolitik weit weniger als die bei den Grünen anstehende Entscheidung zwischen Ramona Pop und Antje Kapek.
Zumal auch immer klarer zu sein scheint, dass Parteichef Kai Wegner selbst die Spitzenkandidatur übernehmen wird – beziehungsweise übernehmen muss. Klassischerweise hat die Partei drei Möglichkeiten: 1. jemand aus den eigenen Reihen, am naheliegendsten den Landesvorsitzenden, 2. ein Parteifreund von der Bundesebene oder 3. eine der CDU nahestehende „Persönlichkeit des öffentlichen Lebens“ – etwa ein erfolgreicher Unternehmer wie bei der Landtagswahl in Bremen 2019.
Von Variante 3 ist gar nichts zu hören, und dass Nummer 2 überhaupt immer mal wieder im Gespräch ist, liegt an der nostalgischen Erinnerung daran, dass es eben einmal so geklappt hat: Mit dem späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, vormals für die rheinland-pfälzische CDU im Bundestag, holte die CDU 1981 mit 48 Prozent ihr bis heute bestes Ergebnis bei der Berlinwahl und Weizsäcker wurde Regierender Bürgermeister.
Auch die FDP wird an der Abgeordnetenhauswahl teilnehmen. Ob sie dafür einen Spitzenkandidaten braucht, sei dahingestellt. Spannender ist die Frage, ob die Partei überhaupt den Sprung über die Fünfprozenthürde schafft. Derzeit liegt sie laut Umfragen knapp darüber. Allerdings sinken ihre Werte in dieser Legislaturperiode kontinuierlich.
Im Wahlkampf 2016 und danach hat sich die FDP fast ausschließlich auf ein Thema konzentriert: die Offenhaltung des Flughafens Tegel. Trotz eines gewonnenen – aber nicht bindenden – Volksentscheids wird Tegel zum Zeitpunkt der nächsten Wahl bereits geschlossen sein.
Im Abgeordnetenhaus ist die FDP-Fraktion, inhaltlich positiniert irgendwo zwischen CDU und AfD, bestenfalls blass geblieben und nur durch einige Peinlichkeiten aufgefallen, etwa als ein Abgeordneter im Januar in einer Debatte über Klimaschutz einen Linken-Abgeordneten als „Klimafaschisten“ bezeichnete und von einem „Öko-Dschihad“ sprach. Die WählerInnen von ihrer Relevanz zu überzeugen dürfte den „Liberalen“ nicht leicht fallen. (bis)
Der zweite Versuch in diese Richtung fand eine Etage niedriger statt, als sich 2006 Friedbert Pflüger versuchte, vormals parlamentarischer Staatssekretär für Verteidigung – mit dem bis dahin schlechtesten CDU-Ergebnis aller Zeiten von 21 Prozent, noch weniger als nach dem Bankenskandal fünf Jahre zuvor. Das große Problem einer solchen externen Lösung besteht zudem darin, zu erklären, wieso ein 12.000 Mitglieder großer Landesverband in den eigenen Reihen niemanden für die Spitzenkandidatur findet.
Geht es letztlich doch über die berlininterne Variante und wird es Parteichef Wegner, dürfte er sich nicht um den Job gerissen haben. Denn auch wenn die Christdemokraten Chancen haben, im Sog ihrer Bundespartei wegen der zeitgleichen Bundestagswahl stärkste Kraft in Berlin zu werden: Der CDU fehlen bislang potente Koalitionspartner zum Regieren, und Rot-Rot-Grün hat trotz aller Probleme in allen Umfragen weiter eine Mehrheit. Wegner – derzeit baupolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – wäre dann zwar Fraktions- und Oppositionschef im Landesparlament, aber er wäre eben auch wieder dort, wo er vor seinem Wechsel in den Bundestag 2005 bereits sechs Jahren Abgeordneter war.
Eine führende Funktion in einer Regierungspartei auf Bundesebene mit Gestaltungsmöglichkeiten eintauschen gegen fünf Jahre Opposition in einem Landtag? Das wirkt nicht gerade reizvoll. Weiter im Bundestag zu schalten und zu walten und wie jetzt parallel als Landesparteichef die Berliner Dinge zu gestalten dürfte weit attraktiver sein.
Dass die Frauen in der CDU nicht laut nach der Spitzenkandidatur riefen, dürfte viel mit dem Schicksal von Wegners Vorgängerin an der Landesparteispitze zu tun haben, Kulturstaatsministerin Monika Grütters: Statt ihr den Rücken zu stärken, als Wegner 2019 den Landesvorsitz für sich forderte, schwenkte die Partei flugs auf ihn um. So etwas mag sich vielleicht so schnell keine andere Christdemokratin antun. (sta)
AfD: Führerprinzip greift noch nicht
Die AfD 2020 klingt irgendwie ganz schön nach 2016. Wahlkampfthemen für die Abgeordnetenhauswahl in einem Jahr stünden noch nicht fest, heißt es auf Nachfrage von einem Parteisprecher, vermutlich aber irgendwas mit „innerer Sicherheit“ und „illegaler Masseneinwanderung“. Während andere Parteien bereits in den Wahlkampfmodus schalten, ist die Berliner AfD mit sich selbst beschäftigt. Was will man auch von einer Partei erwarten, die seit über einem Jahr vergeblich versucht, einen Parteitag zu veranstalten? Und so ist ihr Bild derzeit von Fraktionsintrigen und öffentlichem Streit bestimmt.
Die Kandidatur für den Spitzenplatz zur Abgeordnetenhauswahl von Fraktionschef Georg Pazderski wurde von seinen Fraktionsfeinden mit dem Durchstechen eines Brandbriefes an nicht gerade befreundete Medien beantwortet. Darin war von der Gutsherrenart des pensionierten Bundeswehroberst zu lesen und von einer bis zur Arbeitsunfähigkeit zerrütteten Fraktion. Ob der sich gern bürgerlich gebende Pazderski also genug Zustimmung für eine Kandidatur erhält, ist offen. Denn er ist bei vermeintlich gemäßigten AfDler:innen ebenso umstritten wie im nicht eben kleinen rechtsextremen „Flügel“-Lager. Aus Parteikreisen heißt es, eine Wiederwahl Pazderskis falle und stehe mit einer vorzeigbaren Gegenkandidatur. Problem nur: Es gebe kaum vorzeigbare Kandidat:innen.
Einige AfDler:innen sahen in der sich konservativ-liberalen gebenden Kristin Brinker eine geeignete Gegenspielerin zu Pazderski. Aus Parteikreisen ist aber auch zu hören, dass sie gar nicht in die erste Reihe wolle. Dazu dürfte auch der Kleinkrieg hinter den Kulissen beigetragen haben: Brinkers Kritik an Pazderskis Führungsstil und dessen offenbar undurchsichtigen Fraktionsfinanzen ist mittlerweile in einen Rechtsstreit ausgeartet.
Dieser Streit überschattet den bislang größten Erfolg der AfD als Oppositionspartei: Die parlamentarische Anfrage der als finanzpolitische Sprecherin fungierenden Brinker zu den Nebeneinkünften der Senatsmitglieder hatte zum Rücktritt der linken Bausenatorin Katrin Lompscher geführt. Nicht zuletzt damit qualifizierte Brinker sich für einige AfDler:innen zur geeigneten Gegenspielerin Georg Pazderskis.
Wie viel Kapital die AfD aus dem Sturz Lompschers bei Wähler:innen schlagen kann, ist aber völlig offen: Denn bezeichnenderweise trat Brinker selbst nur zehn Tage später von ihrem Amt als Vize-Fraktionsvorsitzende zurück. Eine Antwort auf den Machtkampf in der AfD wird es frühestens im Oktober geben. Denn dann soll endlich ein Landesparteitag stattfinden, der neben der überfälligen Neuwahl des behelfsmäßigen Notvorstands auch die Frage nach dem Spitzenpersonal für den Wahlkampf klären soll.
Das Einzige, was bei der AfD bis dahin kontinuierlich läuft, ist das Anheizen ihres Facebook-Mobs. Dort regnet es rassistische Wut-Emojis, wenn sich die rechte Partei über das rot-rot-grüne Berlin („verkehrspolitisches Umerziehungslager“, „Dealer-Paradies Görli“) aufregt oder einzelne Politiker:innen an den Pranger stellt. In Wählerstimmen bildet sich das aber offenbar bislang nicht ab: In Umfragen stagniert die AfD in Berlin bei 10 bis 12 Prozent. (gjo)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“