piwik no script img

Ruf nach DemonstrationsverbotenKeine falschen Reflexe

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

In der CDU wird gefordert, Demonstrationen wie die vom Samstag zu verbieten. Das wäre falsch, aber Auflagen müssen rigide durchgesetzt werden.

Würden die drei Protestierenden zum schwarzen Block gehören, würde die Polizei brutal durchgreifen Foto: Christian Mang

K ein Zweifel, der Auflauf der Corona-Kreuz- und Querdenker:innen, die am Samstag in Berlin gegen die Vernunft demonstriert haben, war ein verstörendes Ereignis. Die Distanzlosigkeit, mit der dort mehrere Zehntausend vermeintlich Friedensbewegte, Alternativniks, Techno-Fans, Impf­gegner:innen, Esoteriker:innen, Ver­schwörungsideolog:innen und stramme Neonazis Seit an Seit marschiert sind, ist gleich in mehrfacher Hinsicht erschreckend. Aber das darf nicht zu falschen Reflexen führen. So ein falscher Reflex ist, wenn jetzt aus Unionskreisen Stimmen laut werden, Demonstrationen wie die am Wochenende mit strikteren Auflagen zu versehen oder einfach ganz zu verbieten.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das unter allen Umständen zu verteidigen ist. Dass es am Anfang der Pandemie für mehrere Wochen in der Bundesrepublik weitgehend ausgesetzt war, hatte zwar nachvollziehbare Gründe, war jedoch trotzdem höchst problematisch. Es ist gut und wichtig, dass Menschen jetzt wieder demonstrieren können – auch wenn das, wofür sie demonstrieren, noch so abseitig sein mag.

Ein Messen mit zweierlei Maß darf es da nicht geben. Das gilt auch für die Corona-Kreuz- und Querdenker:innen, obwohl deren Ziele objektiv eine Gefährdung der Bevölkerung bedeuten. Ein Verbot ihrer Veranstaltungen hätte nur den Effekt, dass sie sich in ihrem Wahn, die Grundrechte in Deutschland seien nicht mehr in Kraft, bestätigt sehen würden.

Trotzdem war das, was sich in Berlin abgespielt hat, ein eklatantes Versagen der Polizei, für das der Berliner Innensenator Andreas Geisel die politische Verantwortung trägt. Denn so falsch es gewesen wäre, die Demonstration im Vorfeld zu verbieten, hätte sie trotzdem nie und nimmer starten dürfen. Die von Anfang an demonstrative Missachtung der Auflagen, also konkret der Abstandsregeln und des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes, hätte nicht einfach hingenommen werden dürfen. Die Nichtdurchsetzung des Infektionsschutzes hat einen bedenklichen Präzedenzfall geschaffen.

Weniger gefährlich als Gottesdienste

Wie auch bei anderen Demos kann und darf selbstverständlich auch bei dem absurden Event der Corona-Kreuz- und Querdenker:innen darüber diskutiert werden, ob die verhängten Auflagen notwendig waren. Der Hinweis ist durchaus berechtigt, dass die Ansteckungsgefahr im Freien weitaus niedriger ist als in geschlossenen Räumen, also somit eine Kundgebung auf der Straße des 17. Juni in Berlin potenziell wesentlich weniger gefährlich ist als ein Gottesdienst im Kölner Dom.

Allerdings taugt das nur zur Begründung, bei Gottesdiensten auf die strikte Einhaltung der Hygieneregeln zu achten. Umgekehrt rechtfertigt das aber noch nicht den Verzicht auf entsprechende Auflagen bei einer Außenveranstaltung. Denn eine Gefahr lässt sich gleichwohl auch hier nicht leugnen – wobei das größte Problem die An- und Abreise ohne jegliche Schutzvorkehrungen in Bussen und Bahnen sein dürfte.

Das heißt übrigens noch nicht, dass die Versammlung der Corona-Leugner:innen und -Relativierer:innen tatsächlich ein „Superspreader“-Event gewesen ist. Selbst wenn nicht nur 20.000, sondern tatsächlich die herbeifantasierten 1,3 Millionen gekommen wären, wäre das nur dann problematisch, wenn sich darunter infektiöse Teilnehmer:innen befinden. Doch das weiß man nicht. Aber es besteht die Möglichkeit. Genau deshalb hätten sie sich an die Auflagen halten müssen.

Mögen einem die verkündeten Auflagen auch nicht passen: Es geht auf keinen Fall, sie einfach nicht zu beachten. Wenn Demoorganisator:innen mit einem Auflagenbescheid nicht einverstanden sind, können sie dagegen gerichtlich Widerspruch einlegen. So ist das zum Glück in einem Rechtsstaat. Wenn jedoch stattdessen bewusst und kollektiv Auflagen ignoriert werden, dann darf das die Polizei nicht einfach dulden. Von daher geht die Forderung aus der Union nach strikteren Auflagen daneben. Es hätte schon ausgereicht, wenn die Beamt:innen einfach auf die Einhaltung der bereits bestehenden ausreichend geachtet hätten.

Vermummungsverbot versus Vermummungsgebot

Auch hier gilt: Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Wer schon einmal erlebt hat, wie eine Antifademo stundenlang nicht loslaufen durfte, bis auch noch die letzten Heinis im schwarzen Block ihre Sonnenbrillen abgesetzt hatten, der kann den fahrlässigen Umgang mit dem Anti-Corona-Aufzug nicht nachvollziehen.

Die Konsequenz, mit der die Polizei – bisweilen unangemessen brachial – Vermummungsverbote durchsetzt, steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu ihrem fehlenden Engagement, dem Vermummungsgebot zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung Geltung zu verschaffen. Um zu erkennen, dass die Berliner Polizei auch anders kann, bedarf es nur eines Blicks auf die Jagdszenen am Samstagabend in Neukölln. Aber da ging es ja gegen die böse Autonomenszene – und nicht gegen unverantwortliche Gesundheitsgefährder:innen verschiedenster Schattierungen bis ins Tiefbraune.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Demonstrationen werden nicht genehmigt, wenn davon auszugehen ist, dass dort strafbare Handlungen begangen werden.

  • Falsche reflexe?



    Berechtigte und notwendige proteste gegen polizeigewalt, faschismus, sexismus, rassismus, ausbeutung und mordernen sklavenhandel werden gnadenlos und brutal niedergekmüppel, ertränkt und im tränen gas erstickt.

    Aufmärsche wie am samstag, in denen unverblümt den urdeutschen traditionen wie faschismus, rassimus und antizionismus gefröhnt wird werden von polizei und politik hofiert wenn nicht gar unterstützt weil man verständnis haben soll?

    Wer fordert, solche faschomärsche zu tolerieren macht sich mit der braunen brut gemein.

  • Die Reaktionen der Regierungspolitiker nach dieser Demo klingen wie die Durchhalteparolen der SED in der Endphase der DDR.

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Wie soll man seien Kindern erklären, das sie einen MNS zur Schule tragen sollen, wenn sie sehen wie viele Erwachsene es nicht für nötig halten ?

  • Wenngleich das (noch) hypothetisch ist:

    Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Virus sich adaptiert/optimiert an (bessere) Übertragung auch im Freien - durch größere Infektiosität (z.B. durch Hüllproteine, die leichter an menschlichen Zellen andocken), sodaß eine geringere Dosis des Virus ausreicht, um jemanden anzustecken.

    Je mehr Massenzusammenkünfte im Freien stattfinden, um so größer dürfte die Mutationsrate, um so größer dürfte die Wahrscheinlichkeit einer solchen Mutation des Virus sein.

    Ein solches aggressiveres Virus würde auch die Infektiosität in geschlossenen Räumen erhöhen.

    Auch in der Vergangenheit ist das Virus offenbar zu größerer Infektiosität mutiert (D614G-Mutation):



    “The mutation had the effect of markedly increasing the number of functional spikes on the viral surface that allow the virus to bind to and infect cells. (...)



    The SARS-CoV-2 variant that circulated in the earliest regional outbreaks lacked the D614G mutation now dominating in much of the world, making it about 10 times more infectious than the strain that originally was identified in Asia.”

    www.hospimedica.co...iginal-strain.html

  • Der bayerische Kabarettist Christian Springer hat einen Tipp für die tatsächlich Besorgten:

    Nicht mitlaufen, wenn neben einem jemand die Reichskriegsflagge hochhält.

    Vielleicht ist es ja auch irgendeine Weise möglich, diesen Leuten klar zu machen, dass sie mit Nazis durch die Gegend laufen, dass Nazis auf der Bühne Reden halten, dass es also bereits stark nach Nazis stinkt:

    www.christianspringer.de/

    • @Jim Hawkins:

      Von mir auch vielen Dank für den Link.

    • @Jim Hawkins:

      Danke für den Link!



      Herr Springer bringt es gut auf den Punkt, ich fürchte aber, sein Appell läuft ins Leere.



      Wer wirklich besorgt ist, ob der eigenen finanziellen oder sonstigen Lage kann sich doch ohne allzu viel Aufwand eine eigene Demo organisieren (hab ich auch schon mal gemacht) und muss nicht den rechten Demagogen hinterher laufen. Wer es dennoch tut, ist entweder zu faul oder zu ignorant um sich darum zu kümmern, wen man da unterstützt.

      Ich fahre öffentlich zur Arbeit und da halten sich trotz geschlossener Räume und geringem Abstand bestenfalls zwei Drittel der Mitreisenden an die Maskenpflicht. Darunter letztens ein junger Polizist mit Maske auf "Halbmast". Ich war zu erschöpft, ihn zu fragen, was seine Motivation ist, sich also Organ der öffentlichen Ordnung, sich so offen gegen Bestimmungen zu stellen, die er eigentlich durchsetzen sollte.



      Aber seitdem wundert mich gar nichts mehr.

  • Herr Beucker, wir stecken immer noch in einer weltweiten Pandemie: Massenzusammenkünfte sind ein Spiel mit dem Feuer. Auf Großdemos Abstandsregeln etc. einhalten - das ist doch illusorisch.

    Nicht zuletzt ist da, wie sie auch erwähnen, die Anreise und Abreise in Zügen und Bussen, sind anschließend oder gleichzeitig Partys, sind da die eng an eng stehenden (erwünschten) Zuschauer.

    Das Demonstrationsrecht ist elementar - und niemand will es abschaffen. Aber z.Zt. gelten einfach andere Prioritäten: Es geht darum, die Pandemie einzudämmen, und es geht dabei insbesondere um das Leben kranker Frauen und Männer, älterer Männer und Frauen. Daß wir bisher relativ gut dastehen, sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Wir haben es teuer bezahlt. Zu teuer, um es zu verspielen.

    Es geht um unser Gesundheitssystem, das einem Ausbrechen der Pandemie wie in anderen Ländern nicht gewachsen wäre, und es geht auch unsere Wirtschaft, die mit einem erneuten generellen Lockdown schwer zu kämpfen hätte.

    Massenzusammenkünfte sollten generell nicht stattfinden. Und das gilt für ALLE Demonstrationen – da sollte in der Tat nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.

    Die Demonstrationen der vergangenen Wochen mögen etwas ‘sicherer’ gewesen sein als die aktuell Kritisierte. Graduell. Längst nicht alle haben dort Mundschutz getragen. Und wir erinnern uns gut an die Party in Kreuzberg.

    Schwerwiegender vielleicht: Diese Demonstrationen bildeten eine ‘Präzedenz’ eigener Art. Die medial verbreiteten Bilder von Massen, die die Abstandsregeln ignorieren, haben die von den Bürgern im Alltag geforderten Abstandsregeln doch ad absurdum geführt.

    Diese Demonstrationen dürften einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet haben, daß ein nicht geringer Teile der Bevölkerung die Corona-Schutzmaßnahmen nur noch halbherzig mitmacht.

    • @Weber:

      kl. Tipp - Einfach mal lesen & dann den Ball flach halten - damit alle sie noch -



      ALLE - haben. Gellewelle.

      Trio Infernale - 😱 -



      www.bundesverfassu...17_1bvq003720.html



      Tenor -



      “ gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. April 2020



      einstimmig beschlossen:

      Die Stadt Stuttgart wird verpflichtet, über die Zulässigkeit der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung am 18. April 2020 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer zu entscheiden.



      Trifft die Stadt Stuttgart keine Entscheidung, ist der Antragsteller berechtigt, die von ihm angemeldete Versammlung durchzuführen.



      Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart haben dem Antragsteller die notwendigen Auslagen jeweils zur Hälfte zu erstatten.…“

      Soweit mal

      unterm—— btw



      Sie wollenssich doch sicher nicht mit der rechtsinaffinen abstrusen Exekutive & den lange schlafmützigen Medien - einschließlich zunächst&zulange der taz gemein machen - wa.



      Nö - nich. Newahr.



      Na. Dann is ja gut. - 🥳 -

  • Volle Zustimmung. Eine Demo zu verbieten bedarf eines wirklich gewichtigen Grundes. Und die Hygieneauflagen sollten auch an die jeweilige Erkenntnislage angepasst werden: stellt sich heraus, dass die Maske im Freien gar nicht so wichtig ist (ich denke, wir sind noch nicht so weit!), dann weg damit.

    Aber:

    "Ein Verbot ihrer Veranstaltungen hätte nur den Effekt, dass sie sich in ihrem Wahn, die Grundrechte in Deutschland seien nicht mehr in Kraft, bestätigt sehen würden"

    Ehrlich gesagt ist es mir ziemlich wurscht, was diese Leute denken. Die scheinen freiwillig ihre eigene Kritikfähigkeit ausgeschaltet zu haben. Wichtig scheint mir nur: die Grundrechte gelten für alle, auch wenn manche etwas seltsam sein mögen.

    Und -- ja. Die Polizei verstehe ich wirklich nicht. Ich wüsste ja zu gerne, wie das alles funktioniert. Gibt es Anweisungen von der Innenbehörde? Entscheiden irgendwelche Einsatzleiter*innen nach Bauchgefühl?

  • In der TAZ zu lesen, dass polizeiliche Auflagen bei Demos konsequent durchgesetzt werden müssen, ist ein seltenes Ereignis. Richtig so, aber dann bitte auch bei linken Demos. Da hat sich die TAZ in dieser Richtung noch nie vernehmen lassen.