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Rhythmischer Blues aus LondonKanye West ist nicht King

L. A. Salami, der junge Singer-Songwriter aus London, hat’s drauf. Das zeigt sein neues Album „The Cause of Doubt & a Reason to Have Faith“.

Als Couchpotatoe kann man auch kreativ lümmeln, wie L.A. Salami Foto: Diane Sagnier

Die Stadt als Reibungsfläche, diese Thema begegnet einem im Gegenwartspop vor allem im HipHop und Grime – Genres also, die passenderweise gerne unter „urban“ subsumiert werden. Die erste musikalische Liebe von Lookman Adekunle Salami alias L.­­ A. Salami hieß jedoch Bob Dylan. Eine ungewöhnliche Präferenz für einen jungen Londoner mit nigerianischen Wurzeln. Jetzt erscheint Salamis drittes Album „The Cause of Doubt & a Reason to Have Faith“, toll irrlichternder Bewusstseinsstrom-Folk; Alltagsvignetten, die sich nicht zuletzt auch am Leben in der Stadt abarbeiten – eine eher unkonventionelle Perspektive im Singer-Songwriter-Genre.

Sein Vorgängeralbum „The City of Bootmakers“ (2018) entstand übrigens in Berlin. Im lakonischen Track „Brick Lane“ blickte Salami da mit Selbstironie auf die Karawane, die zunächst vom Osten Londons in den Südosten der Stadt zog und, als dort das Leben auch zu teuer wurde, in Berlin-Neukölln aufschlug.

„Für mich sind Städte wie Romanfiguren, mit denen ich kommuniziere“, erklärt der Brite im Skype-Interview. Diesen distanzierten Blick schreibt Salami dem Umstand zu, dass er zwischen den Welten aufwuchs. Die ersten sieben Jahre verbrachte der nun 30-Jährige in einer Pflegefamilie im idyllischen Küstenort Broadstairs „mit vielen Geschwistern und umgeben von Tieren“.

Dann holte ihn seine leibliche Mutter zurück in den seinerzeit ziemlich rauen Londoner Stadtteil Peckham. „Zunächst war das ein Schock, eine völlig andere Welt. Mein Cousin wurde auf der Straße ermordet, in viele Ecken haben ich mich gar nicht getraut. Andererseits lernte ich in London bald gute Leute kennen und habe mich in die Stadt verliebt. Doch so spannend ich es hier finde, gibt sie mir auch immer das Gefühl, vorne an ein fahrendes Auto festgebunden zu sein.“

Das Album

L.A. Salami: „The Cause of Doubt & a Reason to Have Faith“ (Sunday Best Recordings/Rough Trade)

Als Salami 2013 anfing, seine Musik zu veröffentlichen, hatte er einen detaillierten Plan, die Songs, die ihm schon lange im Kopf herumspukten – „meine emotionale und poe­tische Biografie“, wie er das Projekt nennt – an die Menschen zu bringen; fünf komplette Alben hatte er angeblich in der Pipeline. Zuletzt erschien im Februar dieses Jahres die EP „Self-Portrait in Sound“.

Sein Interesse an der introspektiven Nabelschau, nach der diese Idee klang, hat sich inzwischen erschöpft – was seinem Songwriting guttut. Die klangliche Palette auf dem neuen Album ist breiter, die Texte sind enigmatischer. Und bei jedem Hören gibt es Neues zu entdecken: TripHop-Anmutungen, tröpfelnde Ambientflächen, bizarre Assoziationsketten. Und immer wieder sein eigenwilliger Drive, der sich mal singend, mal rappend manifestiert.

Monolog im Morgenmantel

Thematisch habe ihn bei der Arbeit am neuen Album vor allem das Verhältnis zwischen dem Individuum und dem Kollektiv umgetrieben, erklärt er. Mit Letzterem meint er vor allem die Erzählungen, mit denen Menschen Sinnsuche betreiben. „Traditionell war das Religion. Menschen haben Götter aber doch nur erfunden, weil wir so magisch veranlagt sind. Und nun sind wir auf der Suche nach neuen gemeinschaftsstiftenden Ideen.“

Herzstück des Albums ist der minimalistisch instrumentierte, mäandernde Titel „When You Play God (The 2018 Copyright Blues)“. In lakonischen Wortkaskaden heißt es da unter anderem: „Maybe Kan­ye West is insane …But maybe he’s not always wrong … / But if you wanna play it safe / And keep out of the view of the monster / It’s best to just play along …“ Auf welche von Wests oft narzisstischen Ideen bezieht sich ­Salami? Dass der HipHop-Superstar kurz mit Donald Trump kuschelte, von ihm aber dann doch wieder Abstand nahm? Dass er nun selbst mit einer Präsidentschaftskandidatur liebäugelt? Letztlich, so Salami, geht es dabei um die Rolle, die wir Celebrities zuschreiben.

„Kanye West ist nicht Martin Luther King. Er ist nur ein Typ mit einer Meinung und einer Million Follower. Warum manche ihm eine Rolle zuschreiben, die früher jemand wie King ausgefüllt hätte, steht auf einem anderen Blatt. Und auch wenn dieser ganz ‚Make America Great Again‘-Kram Bullshit ist, gibt es offenbar viele Leute, die sich davon angesprochen fühlen. Irgendwie muss man mit denen ins Gespräch kommen; vielleicht versucht er das.“

Es folgt ein ausufernder Monolog, in dem Salami erklärt, sich mit den ideologischen Konstrukten der westlichen Welt doch wohler zu fühlen als mit allem, was der Rest so anzubieten hat. Oder so ähnlich. Es ist nicht ganz leicht, ihm zu folgen. „I am rambling …Ich schweife ab“, stellt er fest. In der Tat. Vielleicht liegt es an den Kräuterzigaretten, die er im Morgenmantel vor dem Computer sitzend konsumiert. Doch zumindest im Kontext seiner Kompositionen wirken seine vielen offenen Flanken und Abschweifungen durchaus frisch und anregend.

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