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Hagia Sophia wird MoscheeSophia, die Weisheit der Polis

Der türkische Präsident Erdogan bezeichnet die Umwandlung als „Vollendung der Eroberung“. Er meint die Eroberung der absoluten Macht.

Die Hagia Sophia in den 30er Jahren Foto: imago

Ich bin aus jener Stadt, die ursprünglich als Konstantinopel gegründet wurde und heute, über tausend Jahre später, Istanbul heißt. Zwischen diesen beiden hatte die Stadt mehr als zwei Dutzend Namen. Sie trotzte beinahe zwei Dutzend Belagerungen, zwei Pestpandemien, etwa zehn starken Erdbeben, überlebte zahllose Kriege, Schlachten, Intrigen, Kämpfe, sah hunderte Könige kommen, regieren und gehen und hat etliche Sprachen, Religionen und Monumente willkommen geheißen.

Für mich, eine Einheimische der Polis, wie die Griechen sie nannten, gibt es ein unbestreitbares Symbol für die Einzigartigkeit und Weisheit dieser Stadt: St. Sophia. Ein Denkmal, so eindrucksvoll und einzigartig, für mich zumindest, wie die ägyptischen Pyramiden.

Ich habe mich oft gefragt, ob Europa bei der Suche nach den eigenen historischen Wurzeln auch Byzanz anständig behandelt hat. Konstantinopel war römisch, griechisch, christlich und einiges mehr. Hier stießen das Mittelmeer und das Schwarze Meer aneinander, die zwölftausend Jahre alten Kulturen Kleinasiens trafen auf Thrakien und die griechische Halbinsel, Persien und „der Osten“ begegneten dem Westen.

Doch bei einem zweitägigen Spaziergang durch das heutige Istanbul zeigt sich, dass die Osmanen ihrerseits Byzanz, von dem sie viel gelernt und assimiliert haben, alles andere als anständig behandelten. Verfallene Paläste, Kirchen, die in Moscheen umgewandelt wurden, tausend Jahre Byzanz, denen großenteils nicht gestattet ist, einen Schatten auf den anschließenden Ruhm der Osmanischen Epoche zu werfen.

Asli Erdogan

Die Physikerin und Autorin wurde 1967 in Istanbul geboren. Sie arbeitete in der Schweiz und Brasilien. Seit1996 lebte sie wieder in Istanbul und wurde zu einer Symbolfigur für den Widerstand gegen die Willkürherrschaft in ihrer Heimat. Nach dem gescheiterten Militärputsch 2016 wurde sie zusammen mit 22 anderen Journalisten verhaftet und monatelang im Gefängnis festgehalten. Die taz solidarisierte sich damals mit ihr und veröffentliche die Kolumnenreihe „Stimmen für Aslı Erdoğan“.Erdoğan lebt heute im Exil in Deutschland. Ihre Werke wurde mit einer Vielzahl von Preisen geehrt: 2010 erhielt sie den Sait-Faik-Preis, den bedeutendsten Literaturpreis der Türkei, 2017 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis und 2018 den Prix Simone de Beauvoir.

Das Osmanische Reich als Vorbild der heutigen Türkei

Die Rückumwandlung von St. Sophia in eine Moschee ist gewiss ein Schlag ins Gesicht all derer, die immer noch glauben, dass die Türkei ein säkulares Land ist. Das vom Staat eingeführte säkulare System des Kemalismus – vielleicht ist laizistisch das bessere Wort, da die Türkei eher dem französischen Vorbild als dem angelsächsischen Säkularismus folgte –, einer der wenigen Versuche dieser Art in der gesamten islamischen Welt, ist für hinfällig erklärt worden.

Die türkische Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan Foto: Imago

Obwohl die Mehrheit der türkischen Öffentlichkeit diese Umwandlung als ein politisches Manöver betrachtet, das von der Wirtschaftskrise ablenken soll, reagierten die Oppositionsparteien, insbesondere die CHP, die dem Kemalismus weiterhin die Stange hält, entweder mit recht schwachem Einspruch oder komplettem Schweigen und in ein oder zwei Fällen geradezu mit Zustimmung. Niemand wagt es, die religiösen Gefühle der Menge zu verletzen, obwohl niemand die Menge gefragt hat, ob sie so eine Umwandlung überhaupt will.

Präsident Recep Tayyip Erdoğans eigenen Äußerungen nach zu urteilen soll nicht bloß den Kemalisten und dem Kemalismus eine Lektion erteilt werden. Indem er die Umwandlung als „Vollendung der Eroberung“ bestimmt, erklärt er sich zum stolzen Nachfolger von Mehmed dem Eroberer und anderen osmanischen Herrschern. „Eroberung“ ist ein Ausdruck aus der Terminologie oder Ideologie eines vergangenen Zeitalters, in dem der Sieger die Besiegten ohne moralische Bedenken besetzen und vernichten konnte.

Die Zerstörung oder Umwandlung der Tempel der Besiegten war in der Vergangenheit übliche Praxis. Das Erdoğan-Regime erklärt damit das Osmanische Reich zum neuen Vorbild der heutigen Türkei. Dieses Regime wird sich nicht länger belasten mit moralischen Werten, die dem Westen oder modernen Gesellschaften zugeschrieben werden oder im weiteren Sinne der Moderne und „dem Westen“, und es wird sich ganz gewiss nicht von solchen Kleinigkeiten wie Gesetzen oder Demokratie und dergleichen von seiner größten „Eroberung“ abhalten lassen: der Eroberung der absoluten Macht.

Aus dem Englischen von Tim Caspar Boehme

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4 Kommentare

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  • Es ist schade, dass diese Rückumwandlung zur Moschee immer nur als "Schlag ins Gesicht all derer, die immer noch glauben, dass die Türkei ein säkulares Land ist" gesehen wird.

    Um die Säkularisten sollte es doch gar nicht gehen. Die haben genug Wohnhäuser, Supermärkte, Museen und sonstige nichtsakrale Gebäude, in denen sie ihre tolle areligiöse Gesinnung feiern und sich selber geil finden können. Sie sollten tolerant genug sein, auch den (in der Türkei ja wohl nicht kleinen) religiösen Bevölkerungsteilen ihre Räume zuzugestehen.

    Das Problem mit der Hagia Sophia ist vielmehr, dass sie nicht nur eine ehemalige Moschee ist, sondern auch eine ehemalige Kirche - und zwar eine der wichtigsten Kirchen der Orthodoxie.

    Wenn man jetzt den Muslimen ihren Raum zurückgibt und die Christen gehen leer aus, dann ist das vor allem ein Problem für die Christen, nicht für die Säkularen. Eine Alternative, über die man nachdenken könnte, wäre die simultane Nutzung durch Christen und Muslime, was aber wahrscheinlich aufgrund der sehr unterschiedlichen Gepflogenheiten im Umgang mit sakralen Räumen nicht umsetzbar ist.

    Das ist der eigentliche Grund, warum die Hagia Sophia bis auf weiteres ein Museeum wird bleiben müssen: Nicht, weil die Resakralisierung eines zwischenzeitig säkularisierten Gebäudes generell ein Problem wäre, sodern zum Schutz einer friedlichen Nachbarschaft zwischen muslimischer Mehrheit und christlicher Minderheit am Bosporus.

  • Wer den historische Maßstab anlegt, für den sind Erdogan und all die anderen Machthaber, die Sophia und die sie umgebende Polis schon in ihrer Gewalt hatten, auch nur mit 15 Minuten Ruhm bekleckerte Kleinkinder, unfähig, außer den eigenen spontanen Bedürfnissen irgend etwas anderes wahrzunehmen oder gar zu berücksichtigen. Armes Gebäude! Arme Stadt! Ihr hättet besseres verdient nach all dem, was ihr schon er- und überlebt habt! Aber wer sagt denn, dass das Leben fair ist? Und immerhin: Ihr seid noch da. Eure ehemaligen Herren hingegen sind längst begraben und vergessen. Ihre Gewalttätigkeit hat ihnen gar nichts genutzt.

  • Danke für diesen Artikel.



    Er ist schonungslos, sachlich gehalten, nicht überzogen, kompetent und erhöht hier das Niveau ganz erheblich.



    Mehr davon bitte.

  • Tourismus in die Türkei sollte komplett boykottiert werden.



    Keinen Cent Devisen für Erdogan!