Musik aus Tansania: Die seltsamen Wege des Bongo Flava
In Tansania ist Bongo Flava die Musik der Jugend, in Europa kennt sie niemand. Mzungu Kichaa ist darin ein Star, trotz seiner weißen Hautfarbe.
Der pulsierende Beat schraubt sich langsam hoch. Zwischen wippenden Afros und fliegenden Braids tanzt Mzungu Kichaa, Sonnenbrille auf der Nase, die Haare so blond, dass Augenbrauen und Bart kaum zu erkennen sind. „Nani huyu?“, singt er auf Suaheli in die Kamera: „Wer ist das?“ Es ist wohl die erste Frage vieler ZuschauerInnen, wenn sie Mzungu Kichaa zum ersten Mal in fließendem Suaheli wie bei seinem Lied „Big Boss“ singen sehen. Ein weißer Tansanier? Ein Europäer, der sich anmaßt, afrikanische Musik zu machen?
Mzungu Kichaa heißt eigentlich Espen Sørensen, wurde in Dänemark geboren und ist in Ostafrika aufgewachsen. Seine Eltern zogen als Entwicklungshelfer in ein Dorf in Sambia, als Sørensen sechs war. In der Schule lernt er neben Mathematik auch, mit Ochsen zu pflügen, nach dem Unterricht jagt er zusammen mit den anderen Kindern mit der Zwille und fängt Fische. Mit 15 zieht Sørensen nach Tansania, Jahre später wird er dort zum Star einer Musikrichtung, die in Europa kaum jemand kennt: Bongo Flava.
Bongo Flava, das ist die Musik von Tansanias Jugend; getragen von tanzbaren Beats, inspiriert von den arabisch angehauchten Melodien des Taraab, gesungen auf Suaheli. Entstanden ist das Genre aus der Begeisterung für US-HipHop, der in den 1990ern auch in die tansanische Regierungsstadt Daressalam schwappte. In „Bongo“, wie Einheimische die Megametropole auch nennen, produzieren Jugendliche in improvisierten Studios eigene Tracks. „Wir wollten nicht einfach nur den US-Sound kopieren. Wir wollten etwas mit dem „Flavour of Bongo“ produzieren“, sagt Sørensen, der von Anfang an mit dabei ist.
Statt auf klassische Boom-Bap-Beats zu rappen, spielten die KünstlerInnen mit Einflüssen aus aller Welt – von Dancehall über karibischen Zouk bis zu tansanischem Folk. Mit Erfolg: „Heute ist Bongo Flava so populär, dass es im Grunde ein Synonym für Popmusik aus Tansania ist,“ sagt Sørensen.
Aus dem Malus einen Bonus machen
Im Bongo Records Studio, in dem damals auch Sørensen arbeitet, entstehen um die Jahrtausendwende die ersten Hits – und auch Sørensens Rapper-Alias. Gemeinsam mit dem Künstler Juma Nature experimentierte er an neuen Songs, als dieser anfängt, ihn „Mzungu Kichaa“ zu rufen, Suaheli für „Verrückter Weißer“. Sørensen mag den Spitznamen nicht. Mzungus, so werden die weißen, reichen Europäer abfällig genannt, die Kolonisierer. Aber als Sørensen 2009 mit seinem Debütalbum als Künstler solo durchstarten möchte, erinnert er sich an diese Zeit. Sørensen weiß, spätestens bei Auftritten und in Musikvideos wird er ohnehin herausstechen.
Warum aus dem Malus kein Bonus machen? Die Strategie hat Erfolg: Kurz nach der Veröffentlichung eines Albums als Mzungu Kichaa wird er in die Jury von „Bongo Star Search“ berufen – eine der größten Castingshows im tansanischen Fernsehen für zukünftige Bongostars.
Kann jemand mit weißer Hautfarbe ostafrikanische Musik repräsentieren? Lange Zeit stellt sich Sørensen diese Frage nicht. Er ist Tansanier. Als er als Jugendlicher zum ersten Mal nach seiner Dorfkindheit in Sambia wieder Europa besucht, fühlt er sich dort fremd. Er mag es nicht, in Schuhen laufen zu müssen. Er muss erst lernen, wie man mit Besteck isst. Und er hat Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen: „Die Leute haben nicht verstanden, wer ich bin.“
Als Sørensen später in Tansania als Mzungu Kichaa durchstartet, wird er auch für ein großes Festival in Deutschland gebucht. Als die Booker merken, dass Sørensen weiß ist, soll er aber nicht mehr auftreten. Immer wieder erlebt der Künstler solche Situationen in den folgenden Jahren. Sørensen frustriert das – nicht wegen der verlorenen Gigs, sondern wegen des stereotypen Bilds von afrikanischen KünstlerInnen in Europa: „Was die Europäer wollen, ist eine schwarze Person mit einem Grashut auf der Bühne, die ihr Vorurteil von Afrika bestätigt: zurückentwickelt, kolonial, wild.“ Eine „bizarre Art von Rassismus“ nennt Sørensen das.
Früher der Klang einer frustrierten Jugend
Bongo Flava ist eher Basecap als Grashut und klingt urban herausfordernd, nicht hinterwäldlerisch provinziell. Der Sound ist auch aus der wirtschaftlichen Instabilität Tansanias in den 1990er Jahren gewachsen. Es war der Klang einer frustrierten Jugend, und die war regierungsskeptisch und sozialkritisch. Die frühen Bongo-Flava-KünstlerInnen hatten immer den Anspruch, mit ihren Reimen aufzuklären: über soziale Ungerechtigkeit, Korruption, die instabile politische Situation, die Aids/HIV-Epidemie.
Doch seit einigen Jahren ändern sich die Themen. Statt yenye historia na ujumbe, Geschichten und Botschaften, sind nun Lieder za kuburudisha, zur Unterhaltung, beliebt. Wer Reichweite möchte, singt seichte Texte. Viele Reime enthalten jetzt tumbe Romantik, Feel-good-Vibes und eine Extraportion Bling-Bling. Nicht nur der Drang nach mehr medialer Reichweite von Bongo Flava hat die Texte weichgespült und den Sound kommerzialisiert.
Seit 2015 regiert Präsident John Magufuli Tansania. „Tingatinga“ nennen ihn seine Landsleute, „Bulldozer“, weil er zahlreiche Infrastrukturprojekte umsetzt, hart gegen Korruption durchgreift – und unbarmherzig gegen Minderheiten und die Presse und Meinungsfreiheit vorgeht.
„Es gibt KünstlerInnen, die sind mutig und texten immer noch kritische Songs. Sie werden dann aber von der tansanischen Bundespolizei verhaftet, manche später freigelassen, andere bestraft“, sagt Sørensen.
Nachträglich mit weichgespülten Lyrics versehen
Internationale Aufmerksamkeit zog der Fall von Emmanuel Elibariki auf sich. Ausgerechnet für sein Lied „Wapo“ wurde er eingeknastet. Darin fragt er unter anderem: „Gibt es noch Redefreiheit in diesem Land?“ Als Elibariki bereits im Gefängnis saß, schaltete sich Präsident Magufuli persönlich ein, ließ bekanntgeben er „liebe“ das Lied und ordnete Elibarikis Freilassung an. Außerdem gab er dem Künstler Hinweise, wie dieser seine Lyrics verbessern könne. Ein allzu offensichtliches Manöver, weil der Fall für zu viel Aufmerksamkeit gesorgt habe, glaubt wiederum Sørensen.
Politik taugt dann zum Textmaterial, wenn sich die SängerInnen in Lobhudeleien für die Regierung ergießen. Große Namen der Branche wie Diamond Platnumz haben ihre Hits nachträglich mit weichgespülten Lyrics versehen, Harmonize ein Lied sogar plakativ umbenannt in „Magufuli“. Im dazugehörigen Musikvideo durchschneidet der Präsident Eröffnungsbänder, sammelt Geld für die Kollekte ein, wiegt Goldbarren.
In den Texten dazu rattert Harmonize die Erfolge des Präsidenten herunter: freie Bildung im ländlichen Raum, ein Dammbauprojekt, die Rettung der Fluggesellschaft Air Tanzania. Überhaupt ein toller Typ sei dieser Magufuli, ein Präsident der Schwachen, der sogar die Toten zum Leben erwecke und für den er unbedingt bei der nächsten Wahl stimmen werde.
Ständiger Wandel als Konstante
Die Wahlwerbung ist plump – aber erfolgreich. Mehr als 7,5 Millionen Klicks hat das Video auf YouTube eingeheimst. Seit einem Jahr läuft es in Dauerschleife in den Mixtape-Ständen auf den Märkten, den Open-Air-Bars und Friseurläden am Straßenrand, den omnipräsenten Bus-Fernsehern – sogar ein Privatkonzert für den Präsidenten durfte Harmonize geben.
Im Nachgang gab der Präsident bekannt, dass der Sänger bei den Wahlen im Oktober nun ebenfalls als Kandidat für die Regierungspartei CCM antreten soll.
Sørensen weiß, Entwicklungen wie diese lassen sich kaum aufhalten. „Es ist eine Wachstumsbranche, die sich ständig verändert“, sagt er. Auf seinem im Frühjahr erschienenen Album „Huyu Nani“ singt Sørensen statt über Politik über Liebe, Sonnenschein und Partys. Kritische Themen sind ihm gerade zu brisant – aber vielleicht ändert sich das auch bald wieder. Der ständige Wandel ist die einzige Konstante von Bongo Flava. Oder, wie Sørensen in seinem Track „Big Boss“ singt: „Wir werden nie genau wissen, wohin der Beat uns führen wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar