heute in hamburg
: „Gewalt ist eine Folge von Überlastung“

Vortrag „Angehörig sein“: mit Michael Ganß, 17.30–18.30 Uhr, Anmeldung für den Online-Vortrag unter: https://bit.ly/3etfgj5

Interview Maike Krob

taz: Herr Ganß, wie erklärt man einem dementen Angehörigen Corona?

Michael Ganß: Das ist sehr schwierig. Es kommt darauf an in welchem Stadium der Demenz die betroffenen Person ist. Wenn das rationale Verstehen nicht mehr da ist, kann ein Schlüsselwort das vergangene Wissen aufschließen. Dann kann es sein, dass sie es in diesem Moment sogar verstehen. Aber das wird dann wegrutschen und dann verstehen sie nicht mehr, warum ein Angehöriger beim Besuch im Pflegeheim eine Maske auf hat.

Und dann?

Man kann es dann nicht mehr gut erklären. Das einzige, was hilft, ist immer wieder liebevoll und zugewandt zu erklären, dass dies notwendig ist. Und nicht zu verzweifeln in der Wiederholung.

Welche Gefahren können durch überlastete Angehörige entstehen?

Überlastete Angehörige neigen dazu, gereizt zu sein und damit auch ungehalten. Dadurch kommt es schneller zu Eskalationen von aggressiven Situationen. Gewalt ist eine Folge von Überlastung. Bis auf Ausnahmen gibt es keine Übergriffe gegen Menschen mit Demenz aus Boshaftigkeit, sondern aus der Verzweiflung heraus.

Wie hilft Kunsttherapie gegen Verzweiflung?

Sie hilft dabei, daran zu arbeiten, die Krise zu akzeptieren, in der man steckt. Sie ist verbunden mit ganz viel Trauerarbeit und Abschiednahme über einen sehr langen Zeitraum. Angehörige empfinden immer wieder auch Wut. Es kann helfen, ihr Raum zu geben und zwar auf einer Ebene, wo sie sein darf. Angehörige können andere Formen der Kommunikation finden als die Sprache.

Foto: Anna Clarks

Michael Ganß

61, ist Dozent

an der MSH Medical School Hamburg und Kunsttherapeut.

Welche?

Es geht um gestalterische Techniken, die niederschwellig sind. Es kann die Malerei sein, aber man kann auch Arrangements machen, Installationen, zusammen tanzen oder musizieren. Ich arbeite intermedial, mit allen Medien. Gemeinsam schaut man, was Freude machen könnte.

Inwiefern hilft das?

Wir versuchen, die Menschen zu öffnen – und zwar über die Auseinandersetzung mit dem Material. Wenn Gedanken zum Beispiel in ein Bild übertragen werden, findet eine Transformation statt. Bei der Übertragung in ein anderes Medium gibt es immer auch einen Prozess des Bewusstwerdens. Und dann geht es darum zu entdecken, welche Strategie dem Angehörigen hilft, zur Ruhe zu kommen.