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Schwedische Politikerin JohanssonEuropa wartet gespannt

Sie sei eine Macherin, sagt Ylva Johansson. Bisher hat die EU-Innenkommissarin sich allerdings nicht durch besondere Tatkraft hervorgetan.

Auch für Migrationsfragen zuständig: EU-Innenkommissarin Ylva Johansson Foto: Olivier Hoslet/EPA

Stockholm taz | Der Ruf nach deutlichen Ansagen und klarer Kante hat Ylva Johansson in mehr als zwei Jahrzehnten schwedischer Politik begleitet. Denn bei der EU-Innenkommissarin mit Verantwortung für Migrationsfragen vermisst man solche Eigenschaften bislang. In Brüssel hat sich die 56-jährige Schwedin vor allem mit ausweichendem Agieren und nebulösen Antworten hervorgetan. „Eine Idee“ habe sie, wie das mit der Flüchtlingspolitik der Union weitergehen könnte, „einen Plan“, dessen „Details ich aber erst für mich behalten will“, erklärte sie beispielsweise nach dem Innenministertreffen am Dienstag.

Dabei war ihre Linie des „Darauf-werde-ich-zurückkommen“ schon bei ihrer Anhörung im EU-Parlament nicht gut angekommen. Nach der ersten Anhörungsrunde hatten die ParlamentarierInnnen ihr die Zustimmung zunächst verweigert. Erst nach Beantwortung eines Katalogs zusätzlicher Fragen gab es grünes Licht.

Johansson kommt aus Botkyrka, einem der Stockholmer Trabantenvororte, die in den 1960er und -70er Jahren eilig aus dem Boden gestampft wurden. Mit beiden Eltern in der Sozialarbeit sei sie „aufgewachsen in einem Menschenmix aus Schweden, Finnen, Chilenen und Türken“, so die Politikerin. Sie habe fünf verschiedene Schulen besucht. „Fragen wie Armut und Gerechtigkeit sind für mich ganz früh ganz wichtig gewesen.“

Nach ihrem Engagement beim „Roten Kreuz“ folgte Parteipolitik in der „Linkspartei-Kommunisten“. Für diese zog die Mathematik- und Physiklehrerin mit 24 Jahren in den Reichstag. Weil sie im Gegensatz zu ihrer Partei für einen EU-Beitritt Schwedens war, wechselte Johansson zu den Sozialdemokraten.

Radikaler Kurswechsel in der Migrationspolitik

Mit 30 Jahren wurde sie Schulministerin, musste dieses Amt jedoch nach vier Jahren wieder aufgeben. Der Liebe wegen. Als sie und Finanzminister Erik Åsbrink 1998 ihre Beziehung öffentlich machten, entschied Ministerpräsident Göran Persson, ein Paar im Kabinett gehe gar nicht, einer müsse die Regierung verlassen. Es traf die Frau. 2004 kehrte sie als Gesundheitsministerin zurück. Von 2014 bis zur Nominierung für die EU-Kommission letztes Jahr war sie Arbeitsmarktministerin in der rot-grünen Regierung von Stefan Löfven.

Von ihm, als dessen mögliche Nachfolgerin sie bereits gehandelt wird, erhielt die fussballbegeisterte Mutter von drei Kindern 2016 die zusätzliche Aufgabe der Integrationskoordinatorin. Fast 200.000 Flüchtlinge waren da seit Sommer 2015 nach Schweden gekommen, vergleichsweise mehr als in jedes andere EU-Land. „Das schaffen wir“, versicherte sie in Merkel-Manier. Allerdings mit dem Zusatz: „Es wird verdammt schwer werden. Eine Riesenherausforderung.“

Um die zu lösen, schlugen Löfven und Johansson einen radikalen Kurswechsel ein und machten Schweden für weitere Flüchtlinge erst einmal ganz dicht. Da sei ihr die Notwendigkeit einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik endgültig klar geworden, sagt Johansson heute. „Ich bin ein Macher“ betonte sie vor drei Jahren in einem Interview: „Wenn ich sehe, dass etwas verändert werden muss, pack ich das an.“ Europa wartet gespannt.

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