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Festival-Leiter über Musik und Corona„Traut uns mehr zu!“

Der Chef des Schleswig-Holstein-Musikfestivals Christian Kuhnt versucht, den „ausgeladenen“ Musikern zu helfen und Freiluftkonzerte anzubieten.

In kleiner Besetzung über Land: „Möglichkeiten“-Sommer des Schleswig-Holstein Musik Festivals Foto: Anja Doehring
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Kuhnt, leidet das staatlich geförderte Schleswig-Holstein-Musikfestival (SHMF) überhaupt unter der Corona-Krise?

Christian Kuhnt: Durchaus, denn die öffentliche Hand gibt zehn Prozent des Budgets. Die übrigen 90 Prozent erwirtschaften wir selbst – davon 60 Prozent aus Eintrittserlösen und 30 Prozent von Sponsoren und Spendern. Die Eintrittserlöse fallen jetzt massiv weg, und einige Sponsoren mussten wegen wirtschaftlicher Probleme absagen. Aber aufgrund solider Rücklagen kann das SHMF eine Saison gut überstehen und die Mitarbeiter bezahlen. Sorge bereiten mir eher die „ausgeladenen“ Musiker.

Sind das nicht fest angestellte, gut versorgte Orchester-Profis?

Nein. Die wenigsten Musiker verfügen über den Luxus einer Festanstellung im Orchester. Die weitaus meisten sind Freiberufler. Ihnen fehlen jetzt nicht nur Einnahmen, sondern auch die Perspektive, wieder aufzutreten. Um ihre Not zu lindern, haben wir den Fonds „Das SHMF hilft“ für freiberufliche Künstler eingerichtet, die in diesen Jahr aufgetreten wären.

Woraus speist sich der Fonds?

Aus den Beiträgen derjenigen, die ihre Karte vor Corona gebucht hatten und ihr Geld nicht zurück haben wollen. Wie viele dieser 140.000 Karten das sind, wissen wir noch nicht, aber schon jetzt ist ein sechsstelliger Betrag zusammengekommen.

Wer tritt 2020 überhaupt auf?

Da sich die Coronavorgaben laufend ändern, veröffentlichen wir das Programm des diesjährigen „Sommers der Möglichkeiten“ im Wochentakt auf unserer Website. Fest zugesagt haben Martin Grubinger, Janine Jansen, Sol Gabetta, Avi Avital und Sabine Meyer – alle Residenzkünstler der letzten Jahre. Außerdem der Harfenist Xavier de Maistre als diesjähriger Por­trätkünstler.

Indoor-Konzerte gibt es auch?

Ja, aber weitestgehend ohne Publikum. Für das Eröffnungsfest werden die genannten Künstler in Hasselburg, einer Gutsanlage in Ostholstein, eine TV-Produktion aufnehmen, die am 4. Juli auf 3sat gesendet wird. Andere Konzerte streamen wir.

Oder als Mitmachchor senden.

Ja, unser Festivalchor hat – unter Wahrung der Distanzregelungen – acht Lieder einstudiert: Pop- und Volkslieder, auch Weisen des diesjährigen Schwerpunkt-Komponisten, des 1931 verstorbenen Dänen Carl Nielsen. Diese Lieder werden immer donnerstags im Radio auf NDR 1 Welle Nord gesendet, zum Mitsingen.

Und was ist ein „Musikfest-Trecker“?

Ein historischer Traktor, auf dessen Anhänger ein kleines Ensemble spielt und den wir an fünf Wochenenden durchs Land schicken. Er wird an 20 Stationen spielen. Das können Marktplätze sein, aber auch Orte, an denen Menschen seit Monaten nicht vor die Tür gehen und kaum Besuch empfangen konnten – wie Seniorenheime und Krankenhäuser.

Wie steht es um Vor-Ort-Konzerte?

Auch die wird es geben. Der Rahmen kann sich aber – je nachdem, ob es weitere Lockerungen gibt – ändern. Derzeit sind drinnen 100 ZuhörerInnen erlaubt und draußen 250. Wobei im Außenbereich aufgrund der Durchlüftung die Gefahr, sich über Aerosole zu infizieren, geringer zu sein scheint. Abgesehen davon haben wir in den letzten Wochen immer wieder gesagt, auch in Richtung Politik: Bitte traut uns mehr zu! Wir sind nicht Karneval, wir sind nicht Sport! Wir sind geübt darin, Veranstaltungen durchzuführen. Wir nehmen schon immer Rücksicht auf Menschen mit Behinderung, wir beachten Brandschutzkonzepte. Wir sind es gewohnt, verantwortungsbewusst mit unserem Publikum umzugehen und für seine Sicherheit zu sorgen. Deshalb verlagern wir in diesem Jahr so viel wie möglich nach draußen. Und selbst wenn 150 oder 200 Menschen im Saal erlaubt wären, würde ich dieses Format jetzt nicht wählen. Denn abgesehen von der Gesundheitsgefährdung wäre das extrem trostlos und sähe für die Künstler aus wie ein schlecht verkauftes Konzert.

Welche Coronaregeln gelten für die Outdoor-Konzerrte?

Sie werden ohne Pause stattfinden, weil in der Einlass- und Pausen-Situation die Gefahr der Begegnung besonders groß ist. Das bedeutet aber auch, dass die Konzerte höchstens 60, 70 Minuten dauern können und weniger kosten als sonst; wir nehmen da eher symbolische Preise. Andererseits haben die Eintrittskarten eine Steuerungsfunktion: Man muss vorbuchen und – zwecks eventueller Corona­rückverfolgung – seine Daten angeben.

Heißt das, die Karten werden wesentlich günstiger?

Wir sind grundsätzlich um moderate Preisgestaltung bemüht und passen die Eintrittspreise auch in diesem Jahr den unterschiedlichen Formaten an.

Müssen die Musiker einen Coronatest nachweisen?

Nein. Zum Vergleich: In Österreich braucht ein Orchester, dessen Musiker negativ getestet wurden, die Mindestabstände nicht einzuhalten. Daher können die Wiener Philharmoniker wieder relativ normale Konzerte geben. In Deutschland müssten Sie aber auch mit Negativtest die Abstände einhalten. Denn Sie könnten sich ja einen Tag nach dem Test angesteckt haben. Wegen dieser Unwägbarkeiten setzt das SHMF auf Abstände und Durchlüftung. Deshalb werden sie bei uns dieses Jahr kein großes Orchester erleben.

Aber selbst wenn ein Mini-Ensemble draußen spielt: Hören die einander überhaupt im offenen Raum, im Wind?

Das ist schwierig, und deshalb haben wir unser Programm den Bedürfnissen der Musiker und den akustischen Möglichkeiten angepasst. Sie werden hier diesen Sommer keine diffizile Haydn-Sinfonie oder Werke mit viel Piano-Stellen hören. Schließlich stehen wir für Qualität, und können nicht stur ein für den Konzertsaal gedachtes Programm abspulen.

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