Prozess zum Lübcke-Mord: „Ich tat es aus eigenem Antrieb“
Im Lübcke-Prozess wurde das Geständnis-Video des Angeklagten gezeigt. Er räumte die Tat dort ein – widerrief die Aussage später aber.
Die Polizei hatte den Rechtsextremisten zwei Wochen nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke aufgrund einer DNA-Spur am Tatort festgenommen. Dann bot der 46-Jährige den Ermittlern überraschend ein Geständnis an, auf eigenen Wunsch ohne anwaltliche Begleitung. Die Vernehmung wurde auf Video festgehalten.
Im Gerichtssaal ist die Spannung greifbar, als dieses Video nun über die Leinwand flimmert. Ernst sitzt darin im roten T-Shirt an einem weißen Bürotisch und erläutert zunächst seine Abwege in die rechtsextreme gewaltbereite Szene, über die NPD, die Kampftruppe Combat 18, die Kameradschaft Kassel. Er berichtet über seine wiederholten Verurteilungen wegen gewaltsamer Übergriffe. Nach einer zweiten Haftstrafe habe er sich aus der rechten Szene gelöst, sagt er. Ernst formuliert klar, erinnert sich an viele Details und Daten, Kontakte und Aktionen.
Im Gerichtssaal verfolgt der Angeklagte seine eigene Lebensbeichte mürrisch, ohne erkennbare Rührung. Eigentlich habe er nach der letzten Haftentlassung neu anfangen wollen, mit „Zweifeln an der rassischen Überlegenheit“, hört er sich im Video sagen. „Ich habe mich von diesen Leuten losgesagt, ich wollte ein normales Leben führen, meine Energie in meine berufliche Laufbahn stecken“.
Welche Version stimmt?
Die Kinder von Ernst sind zu diesem Zeitpunkt 15 und 16 Jahre alt. Er habe ihnen gesagt: „Hört auf eure Lehrer, das, was ich euch nicht vermitteln kann, können die vielleicht.“ Er sei überzeugt gewesen, „dass diese Gesellschaft der richtige Weg ist“. Als Ernst diese seine Worte nochmal hört, bricht er im Gerichtssaal in Tränen aus. Ein Vertreter der Bundesanwaltschaft hilft ihm mit Taschentüchern aus. Doch eine Verhandlungspause will der Angeklagte nicht. Er will es hinter sich bringen.
In der Vernehmung schildert er auch, wie der Ausstieg aus der rechten Szene misslang. Der wegen Beihilfe mitangeklagte Markus H., ein „Kamerad“ von früher, fing zufällig als Leiharbeiter in derselben Firma an, in der Ernst arbeitet. Die beiden schließen sich einem Schützenverein an, üben erst Bogenschießen, dann mit scharfen Waffen. Sie und zwei weitere Kollegen tauschen sich politisch aus. „Überfremdung“, „Ausländerkriminalität“ sind die Themen. „Das hat die Tür wieder geöffnet,“ sagt Ernst. Man wollte „etwas“ machen. „Das Mindeste ist, dass wir uns bewaffnen.“ Als Vorbereitung für den „bevorstehenden Bürgerkrieg“.
Die Einreisen Tausender Flüchtlinge im Jahr 2015 öffnet bei Ernst die Schleusen. „Merkel will das Land zerstören, Merkel hat das Recht gebrochen!“, das sei seine Überzeugung gewesen, sagt er den Ermittlern. Die Versammlung in Lohfelden, auf der im Herbst 2015 Walter Lübcke die Flüchtlingsaufnahmen verteidigt habe, sei zum Schlüsselerlebnis geworden. Sein Hass auf den CDU-Politiker sei stetig gewachsen. Zunächst recherchierte Ernst die Adresse, schließlich spähte er den späteren Tatort aus. In der Nacht des 2. Juni streckte er Walter Lübcke mit einem Kopfschuss nieder.
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Ernsts Verteidiger Frank Hannig legt Wert darauf, dass Ernst sein Geständnis später widerrief – und im Januar ein neues vorlegte. Darin beschuldigte er Markus H. als wahren Mörder, man sei gemeinsam am Tatort gewesen. Die Bundesanwaltschaft glaubt dieser Version jedoch nicht. Und auch im Video des ersten aufgezeichneten Geständnisses wirkt Ernst präzise und klar. Er versucht auch nicht, die Verantwortung auf seinen früheren Kameraden abzuwälzen: „Das was ich weiter tat, habe ich in eigenem Antrieb getan,“ bekannte der Angeklagte dort vor den Ermittlern.
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