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Diskriminierung in DeutschlandVerlernen wir Rassismus!

Gastkommentar von Aminata Touré und Robert Habeck

Als Schwarze Frau und weißer Mann sind wir von Rassismus in Deutschland unterschiedlich betroffen. Doch es geht uns alle an.

Den Kampf um Gleichbehandlung von Schwarzen Menschen können wir nur gemeinsam führen Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

D ie Bilder aus den USA lassen uns nicht los: ein Knie im Nacken des Schwarzen George Floyd, „I can’t breathe“. Demonstranten, die knien, Polizisten, die knien, aus Solidarität mit dem Opfer. Polizisten in voller Montur, brennende Häuser, ein US-Präsident, der die aufgepeitschte Stimmung anheizt und Militärpolizei gegen friedlich Demonstrierende einsetzt. Es ist ein schmerzhafter Teufelskreis, in dem die USA gefangen zu sein scheinen, in einer 400-jährigen Geschichte von Rassismus und Ungleichheit.

Aber es wäre falsch, diese dramatischen Entwicklungen als ein reines US-Phänomen zu betrachten. So spezifisch sie in ihrer Ausprägung sind, werfen sie doch ein Licht auf ein Grundproblem unserer Gesellschaft: Rassismus. Er ist weltweit in seinen Dimensionen sehr unterschiedlich, und wir können von Glück reden, dass wir solche Auswüchse von Polizeigewalt in Deutschland nicht haben. Aber Rassismus ist eben auch ein deutsches Problem.

Wir schreiben diesen Text gemeinsam: eine Schwarze, die hier in Deutschland aufgewachsen ist und zeit ihres Lebens Rassismus erfahren hat. Und ein Weißer, der hier in Deutschland aufgewachsen ist und nicht die Diffamierung, die Angriffe ertragen muss. Den es aber genauso und ganz anders angeht. Rassismus ist ein strukturelles Problem einer Mehrheitsgesellschaft, die lernen muss, sich zu hinterfragen. Rassismus ist Unrecht und Wurzel für Unfrieden.

Als weißer Mann zögert man manchmal, weil man nicht weiß: Wie soll ich über Rassismus reden, ohne ungewollt anmaßend, verletzend, verharmlosend, ausgrenzend oder vereinnahmend zu sein? Als Schwarze Frau sagt man, frag nicht immer nach Diskriminierungserfahrungen, wann wo und wer, sondern stell dir einmal das Beschämendste vor, was dir je passiert ist: verschmäht, ausgegrenzt, verprügelt, entmenschlicht ­worden zu sein. Das ist die Rassismuserfahrung. Vielleicht liegt da ein Anfang: im Fragen, im ­Zugeben von Unsicherheit, im Zuhören, im Versuch, zu ­verstehen.

Robert Habeck

ist gemeinsam mit Annalena Baerbock Bundesvor­sitzender der Grünen. Der 50-Jährige ist gebürtiger Lübecker.

Aminata Touré

ist Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Zuvor war sie Vizepräsidentin des Landtags und Sprecherin der Grünen-Fraktion für Antirassismus. Die 29-Jährige wurde in Neumünster geboren, ihre Eltern flüchteten aus Mali.

Schweigen, laut sein oder trauern?

Menschen erfahren Rassismus in Deutschland jeden Tag, im Kleinen und im Großen. Von verbalen bis hin zu physischen Attacken. Das ist schmerzvoll und belastet das Vertrauen in eine Gesellschaft. Darf und soll man hier sein? Ist man akzeptiert? Schwarze Menschen berichten davon, dass sie verzweifeln. Dass sie nicht wissen, welchen Weg sie wählen sollen: Schweigen, weil einem sowieso nicht geglaubt wird? Laut sein, aber in Kauf nehmen, dass für jede Erfahrung ein Gegenargument formuliert wir? Trauern, obwohl die Solidarisierung von einigen nicht verstanden wird? Und wenn man als Schwarzer Mensch hört, „Seid doch froh, hier zu sein! In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht“, dann steht man da und denkt: Ah, man soll dankbar sein, dass man hier nicht erschossen wird? Man muss schon stark sein, um da nicht zynisch zu werden.

Das Wort Rasse gehört aus dem Grundgesetz gestrichen. Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen

Das, worum es geht, ist eigentlich das Selbstverständlichste der Welt: Schwarze Menschen wollen den gleichen Respekt und die gleiche Behandlung erfahren wie weiße Menschen. Punkt. Aber die Wirklichkeit beweist täglich, dass es alles andere als selbstverständlich ist. Rassismus ist strukturell, und er wird definiert durch das Denken und Handeln der Mehrheitsgesellschaft. Alle sind gefordert, sich damit auseinanderzusetzen, was wir an Rassismus in uns tragen. Hierbei geht es nicht um einen Vorwurf, sondern um kluge Prävention. Wir alle wachsen auf in einer Welt, in der wir über Jahrhunderte Rassismus verinnerlicht haben. Es ist Zeit, dass wir Rassismus verlernen. Allesamt.

Ein starkes Zeichen dafür wäre, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Er manifestiert eine Unterteilung von Menschen in Kategorien, die dem Anspruch und Geist unseres Grundgesetzes, „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, widersprechen. Es gibt eben keine „Rassen“. Es gibt Menschen.

Gerade staatliche Institutionen müssen für Rassismus sensibilisiert werden; das beginnt schon in der Aus- und Fortbildung. Bei der Polizei sollte es Schulungen geben, Beschwerdestellen sollten eingerichtet, die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten sollte geschaffen werden. Es kommt darauf an, alle Fälle von Polizeigewalt aufzuklären.

Dabei spielen die vielen Polizistinnen und Polizisten, die einen großartigen Job machen, eine wichtige Rolle: Kommt es zu Übergriffen, können sie sich vertrauensvoll an den oder die Polizeibeauftragte wenden. Das würde die Polizei, die als Hüterin von Rechtsstaat und Demokratie unentbehrlich ist, stärken. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist der Grundstoff für eine funktionierende Demokratie. In der Zivilgesellschaft ist eine dauerhafte Stärkung und Förderung von Organisationen und Initiativen, die sich gegen Rassismus einsetzen, dringend nötig. Das sollte über ein Demokratiefördergesetz verankert werden.

Rassismus entstand aus dem Glauben heraus, Menschen einteilen und sie dann versklaven und malträtieren zu können. Eine jahrhundertelange Geschichte, die im unmittelbaren Zusammenhang mit Deutschland steht. Wir müssen uns mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen, deren antischwarze Rassismen bis heute wirken. Wer nicht aufarbeitet, und zwar so, dass es zum Allgemeinwissen gehört, der wird das Problem nicht im Keim ersticken können.

Den Kampf um gleichen Respekt und Gleichbehandlung von Schwarzen Menschen können wir nur gemeinsam führen. Es braucht in der Auseinandersetzung um Rassismus die Mehrheitsgesellschaft. Wie sollen Minderheiten für ihre Gleichbehandlung allein kämpfen, und vor allem: wieso? Schwarze Menschen und Menschen mit Migra­tions­geschichte sind seit Jahrhunderten Teil dieser Gesellschaft. Sie haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland heute so ist, wie es ist. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft leben kann, ohne Rassismus zu erfahren.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Teil 1

    “Menschen erfahren Rassismus in Deutschland jeden Tag, im Kleinen und im Großen. “

    Ich bezweifle nicht, daß es in Deutschland Rassismus gibt – obwohl unsere Gesellschaft im Laufe des, sagen wir, halben Jahrhunderts deutliche Fortschritte darin gemacht hat, der Hautfarbe eines Menschen keine Bedeutung zu schenken. Vergessen wir auch nicht die Vielfalt sozialer Bewegungen in Deutschland z.B. die 68er (teils) antiautoritäre Kulturrevolution, die Friedens- und die Öko-Bewegung : die Grünen und die Taz sind Kinder dieser emanzipatorischen Bewegungen, die, wenn nicht dezidiert, so doch immanent, ein nicht-rasstisches Menschenbild mit sich geführt haben.

    Rassisten sind heute in Deutschland eine Minderheit - die AFD hatte bei der letzten Europa-Wahl 11% - wobei sie v.a. regional durchaus bedrohlich sind, nicht nur für Pocs.

    Ich halte allerdings den heute dominierenden ‘Rassismus’-Begriff für völlig überdehnt, und nicht hilfreich, auch für Menschen mit migrantischem Hintergrund. Diese Überdehnung führt dazu, daß er unglaubwürdig wird, sich abnutzt - und eben nicht mehr zur Verfügung steht für die wirklichen Rassisten. Und das ist gefährlich.

    Was im Alltag als ‘Rassismus’ wahrgenommen wird, ist m.E. nicht selbstevident.



    Unmittelbare Erfahrung ist selten ‘reine’ unvoreingenommene Erfahrung, sondern sie kann ideologisch verzerrt sein: dann nehmen wir Erlebnisse im Medium einer Ideologie wahr. Und wenn es um ‘Rassismus’ geht, ist die vorherrschende Ideologie die identitätspolitische Critical Race Theory.

    Eine Grundannahme identitätspolitischer ‘Rassismus-Konzeptionen ist: Rassismus ist ‘systemisch’, er liegt unverändert seit Jahrhunderten unseren Gesellschaften zugrunde. In dieser Sicht, ist es also keine Frage, OB ‘Rassimus’ existiert, sondern nur WIE er erscheint. Er MUSS ganz einfach dasein – und es kommt also nur darauf an, ihn noch in den allerfeinsten Verästelungen unseres Denkens und Handelns zu entlarven.

  • Teil 2

    Wer den Alltag durch das Medium einer solchen Weltanschaung ‘erlebt’, könnte Gefahr laufen,’hair-triggered’ und gefangen im ‘confirmation bias’ auch dort ‘Rassismus’ wahrzunehmen, wo eigentlich keiner ist, sondern wo es z.B. einfach nur um Kränkungen handelt, die wir alle, ob weiß, ob schwarz, im Laufe unseres Leben erfahren; oder wo möglicherweise ein gewisser Bias vorhanden sein mag – der es aber nicht verdient ‘Rassismus’ genannt zu werden – und mit dem erwachsene Menschen trotzdem zivilisiert leben können, und ihn auch korrigieren können: mit Vernunft, mit Empathie, mit Erfahrung. Vorurteile gehören zur Grundausstattung des Menschen, alle Menschen auf dieser Welt – außer den Heiligen – haben sie: Vorurteile gegen Schwule, gegen Atheisten, gegen Christen, gegen Hipster, gegen Hippies, gegen Schwarze, Weiße, Gelbe. Wir werden sie nie auf Null bringen können. Wichtiger dürfte es sein, sie ‘aufs Tablett’ zu bringen, und sich gegenseitig korrigieren zu lassen. Die Vorstellung einer vollständigen Reinigung der Menschen von bestimmten Vorurteilen läuft zudem Gefahr, daß nur noch die Vorurteile einer bestimmten Gruppe übrigbleiben.

    Wir haben über Jahrzehnte und Jahrhunderte daran gearbeitet, Hautfarbe bedeutungslos zu machen, die Wiederaufladung der Hautfarbe mit Bedeutung ist ein gefährliches Spiel, das wirklich rassistischen Rechtsextremen in die Hände spielt, denn das ist originär deren Metier, deren Sprache.

    Kenan Malik schreibt im Guardian:



    “Beware the politics of identity. They help legitimise the toxic far right.



    Many on the left now embrace the idea that one’s interests and values are defined primarily by one’s ethnic or cultural or gender identity. (…) Now, identitarians of the far right are seizing upon the opportunity provided by the left’s adoption of identity politics to legitimise their once-toxic brand. Racism became rebranded as white identity politics.”



    www.theguardian.co...se-toxic-far-right

  • 0G
    06360 (Profil gelöscht)

    "Als Schwarze Frau und weißer Mann sind wir von Rassismus in Deutschland unterschiedlich betroffen."

    Ich habe mir nicht aussuchen können, als weißes Baby geboren zu werden.



    Nun glaubte ich aber gelernt zu haben, dass man weder "Schwarzer Mann" noch "Schwarze Frau" sagen darf.



    PoC, dafür reichte mein Schulenglisch noch.



    Aber jetzt diese Unterüberschrift.



    Vielleicht zeigt die taz damit "Haltung", aber ich versteh' sie nicht.

    • @06360 (Profil gelöscht):

      Wo glaubten Sie denn, dies gelernt zu haben?

  • Soziale und rechtliche Gleichheit dient Überwindung von Rassismus.

    Die sozioökonomische Gleichheit der Menschen dient der Überwindung von Rassismus. Damit ist keine Gleichmacherei gemeint.

    Werfen wir doch nur einen Blick auf die schlechten Wohnverhältnisse, auf die schlechte Bezahlung für schmutzige und körperlich schwere Arbeit. Auf die fehlende und/oder ungenügende soziale Sicherung im Lebensalltag. Auf die schlechten und oft fehlenden Bildungsmöglichkeiten in Schulen und Berufsausbildung. Hierbei auch unabhängig von der Hautfarbe. So nicht nur in den Vereinigten Staaten, so auch in Europa und in Deutschland.

    Wir brauchen auch eine neue Gesellschafts- und Sozialpolitik in Deutschland, unter gleichberechtigter Beachtung und Einbeziehung aller Menschen, unabhängig von der jeweiligen Herkunft, vom Geschlecht und/oder Hautfarbe.

    Siehe auch: Die Ausrottung der Indianer.

    Höre: www.youtube.com/watch?v=i4aYR6OKHKg







    Das ganze furchtbare Ausmaß der BLUTSPUR DER KIRCHE.

    09.06.2020, R.S.

    • RS
      Ria Sauter
      @Reinhold Schramm:

      Die Blutspur der Kirchen, sieht sich durch alle Religionen.



      Deshalb gehört auch die Ausgrenzung und Verfolgung Andersgläubiger zu Rassismus.



      Wir haben hier in D ein grosses Problem damit. Mit erstarken der jetzt bei uns heimischen zusätzlichen Religionsgemeinschaft hat sich das Problem extrem verschärft,für jüdische Menschen.



      Ich weiss persönlich wovon ich rede.

  • Die Einrichtung von Ethik – Kommissionen und Beschwerdestellen nutzt nur dann etwas, wenn sie im Ernstfall tatsächlich unabhängig und neutral handeln.Viel zu oft wird dabei doch noch immer eine Entscheidung getroffen, die vom Parteibuch und nicht von der tatsächlichen Sachlage abhängig ist. Das wissen auch grüne Politiker*innen. Jeder schützt sein eigenes Umfeld, und schickte deshalb die Opfer weg, die das eigene Umfeld belasten. Grüne sind da nicht anders. Haben wir nicht schon sehr viele theoretische Konzepte gegen institutionalisierte Gewalt und gegen institutionalisierten Rassismus und Behindertenfeindlichkeit ?

    Was aber nutzen Behindertenbeauftragte, Rassismusbeauftragte und Fachstellen für Diversität, die bei Übergriffen schweigen und nichts tun.

    Ohne die Analyse, welche Ausreden und welche Begründungen immer wieder vorgebracht werden,



    um nicht zu handeln und um nicht einzugreifen, nimmt kein Mensch mehr ernst, was Parteien zu



    Rassismus und Behindertenfeindlichkeit sagen oder schreiben.

    Artikel zu schreiben, Vorträge zu halten und zu Demos zu gehen, ist sehr, sehr einfach.Mit Institutionen zu verhandeln, in denen die Grenzen der Ethik abgerutscht sind, ist dagegen sehr, sehr schwer. Ich habe seltenst erlebt, dass sich Verantwortliche in Führungssituationen in solchen Fällen wirklich dazu herab lassen , überhaupt mit den Opfern zu reden.

    Der Schutz scheitert dann schon an der Verweigerung des ersten Telefonates oder Gesprächs.

    Was nutzt es,wenn in Fällen von Übergriffen das Anti – Diskriminierungsgesetz oder die Behindertenrechtskonvention für zwei Wochen an die Wand gehängt wird und das dann alles ist, was passiert ? Was nutzt die Einrichtung neue Beschwerdestellen, wenn die, die wir bereits haben,



    im Parteienklüngel noch nie richtig funktioniert haben ?

  • Es gibt ein schönes Video mit Morgen Freeman, der das auf den Punkt bringt.

    Frage: Wie können wir Rassismus überwinden?

    Morgen Freeman: Hören wir auf darüber zu reden. Ich höre auf, Sie als weißen Mann zu bezeichnen und Sie hören auf, mich als schwarzen Mann zu bezeichnen. Ich bin Morgen Freeman [und nicht der schwarze Morgen Freeman]

    www.youtube.com/watch?v=I3cGfrExozQ

  • Weiße sollten sich auch überlegen, wie sie zu Demonstrationen wie denen am Wochenende erscheinen. Bedingt durch die Erfahrung von Rassismus und den Stress, den sie verursacht, sind People of Color häufiger von Vorerkrankungen betroffen und deshalb durch Corona auch stärker gefährdet. Weiße, die ohne Maske auf so einer Demo erscheinen und Sprechchöre skandieren, wirken da doch schon irgendwie heuchlerisch.

    • @Smaragd:

      Der Gastkommentar bezieht sich auf unser Land. Es wäre mir neu, dass bei uns lebende BPoC häufiger von Vorerkrankungen (durch "Rassismus und Stress"(??) betroffen und "deshalb" durch Corona stärker gefährdet sind.



      Geschickt gemacht, oder vielleicht nur missverständlich formuliert? Ich weiß es nicht!