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In der Dauerquarantäne verzweifelt

Ein Suizidversuch in Bremens Landeserstaufnahme wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Lebensbedingungen dort

Von Benno Schirrmeister

Ein junger Mann, der in der Bremer Erstaufnahmestelle Lindenstraße leben muss, hat am 8. Mai versucht, sich selbst zu töten. Laut dem Bremer Flüchtlingsrat gab er die Umstände in der Unterkunft und ein an Willkür erinnerndes Seuchenschutz-Regime als Auslöser für den Suizidversuch an. Milad G. war bis Mitte vergangener Woche intensivmedizinisch behandelt worden.

Aus dem Iran geflüchtet und vor zwei Monaten in Bremen angekommen, war er in der Lindenstraße untergebracht. Vier Wochen davon habe er unter Quarantäne gestanden – in einem Flur zusammen mit „50, 60 Leuten, die anscheinend Corona haben – und nur einer Sanitäranlage, die nur einmal am Tag geputzt“ wird, wie es in einem Bericht des jungen Mannes heißt, den der Flüchtlingsrat übersetzt und verbreitet hat.

„Der psychische Druck und die Umstände in der Lindenstraße, die sich immer weiter zuspitzten, führten dazu, dass ich mir mein Leben nehmen wollte“, heißt es darin. Unerträglich seien zumal die Hygienebedingungen gewesen: „Du stehst morgens auf, gehst ins Bad und stellst fest, alles ist absolut eklig.“ Widerwärtiges Essen, mangelhaft voneinander abgetrennte Schlafräume – man könne sich „nicht vorstellen, dass das dieses hochentwickelte Deutschland sein soll“, so sein Raport. Er appelliert an die Zuständigen, die Geflüchteten als Menschen zu sehen. „Wir haben bei euch um Asyl gebeten, damit ihr uns helfen könnt – nicht, damit ihr uns so quält.“

Milad G. war als Kontaktperson auf dem Flur in Quarantäne dreimal negativ getestet worden. Der vierte Abstrich war dann positiv, also blieb er nach den ersten 14 Tagen weiter eingesperrt – und offenbar faktisch entrechtet: „Die Polizei kam und ging, sie kamen in unsere Zimmer und taten, als wären wir die Mafia oder irgendwelche Verbrecher.“

Für den Betrieb der Einrichtung verantwortlich ist Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Auf die Frage, ob die Behörde einen Zusammenhang zwischen Bedingungen dort und der versuchten Selbsttötung sehe, verweist ein Sprecher darauf, „dass Suizidversuche stets individuelle Gründe haben und am konkreten Einzelfall zu bewerten“ seien. „Deutlich erhöht“ habe man das Intervall der Reinigungen.

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