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Terroranklage wegen FrauenhassWenn Männer morden

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

Ein 17-Jähriger, der aus Frauenhass gemordet haben soll, wird wegen Terrorismus angeklagt. Das wird den Blick auf Gewalt gegen Frauen verändern.

Mit diesem Lastwagen tötete ein Frauenhasser 2018 zehn Menschen und verletzte 16 weitere schwer Foto: Stringer/reuters

E s ist erst zwei Jahre her, als ein Mann in Toronto mit einem Van absichtlich in eine Menschenmenge raste und 10 Menschen ermordete, 16 weitere wurden verletzt. Terror ist das Erste, was einem dazu in den Sinn kommt. Doch der mutmaßliche Täter ist kein religiöser Extremist, sondern handelte aus Frauenhass. Er wird wegen zehnfachen Mordes und 16-fachen versuchten Mordes vor Gericht gestellt.

Erst vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie bahnbrechend die jüngste Entscheidung im Fall eines 17-jährigen ist, der aus Frauenhass gemordet haben soll: Polizei und Staatsanwaltschaft in Kanada weiteten die Anklage auf Terrorismus aus. Frauenhass unter Terrorismusverdacht – das ist ein unerwartet revolutionärer Schritt.

Beide mutmaßlichen Täter bekannten sich zu der sogenannten „Incel“-Bewegung – „Involuntary Celibate“ oder unfreiwilliges Zölibat. Sie sehen ihre Probleme, bei einer Frau zu landen, nicht als individuelles Unvermögen an, sondern umranken es mit einem antifeministischen, frauenfeindlichen Weltbild. Die verschmähten Männer gehören ideologisch zur rechtsextremen Szene und werden richtigerweise im Fall des 17-jährigen mutmaßlichen ­Täters nun auch juristisch so betrachtet.

Wenn Männer morden, wird man in Zukunft also fragen können, ob sie aus individuellen oder ideologisch-terroristischen Motiven handelten. Das schafft eine andere Sicht auf Gewalt gegen Frauen. Viel wird natürlich noch davon abhängen, wie der Prozess gegen den Teenager in Kanada ausgeht und ob die Anklage Nachahmer findet. Aber im günstigsten Fall wird sie die Debatte rund um Frauenhass und Femizide verändern.

Die weitreichende Gefahr und die ideologische Tragweite, die von radikalem Antifeminismus ausgeht, ist noch immer eine Fußnote in der gesellschaftlichen Debatte. Doch wie schnell sich der Wind drehen kann, hat nicht zuletzt die #MeToo-Bewegung gezeigt. So mancher, der gestern noch glaubte, er habe ein Recht auf Frauen, wann immer ihm der Sinn danach steht, sitzt heute im Gefängnis.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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20 Kommentare

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  • Natürlich teile ich die Hoffnung, daß das frauenfeindliche an frauenfeindlichen Verbrechen künftig Beachtung und Erwähnung findet und aus einem Femizid nie wieder ein "Beziehungsdrama" gemacht wird. Aber inwiefern der Stempel "Terrorismus" dabei helfen kann, will mir nicht einleuchten, wo doch kaum ein Begriff so unspezifisch ist wie "Terror". Darüber hinaus fürchte ich, daß zwar nicht die Aufklärung über "Incel", wohl aber das Perpetuieren des Begriffs "Incel-Bewegung" den misogynen Wahn geradezu adelt, da er potentiellen Tätern die Möglichkeit bietet, sich als Teil einer politisch handelnden (und wachsenden) Gruppe zu fühlen und mit der Nase auf Anschlußmöglichkeiten stupst.

    • @Walter Sobchak:

      Mh, es sind ja nicht bloß einzelne Verbrechen sondern auch Übergriffserfahrungen, gesellschaftliche Atmosphäre und Sozialisation, die Unbehagen bei Frauen (bei dem Gedanken) auslöst, bspw. allein im Dunkeln in der Stadt unterwegs zu sein und aufgrund dessen Alternativen zu wählen wie zu Mehreren oder eben auch nicht unterwegs zu sein.

    • @Walter Sobchak:

      Dass es nicht einleuchtet könnte damit zu tun haben, dass Sie zwei mE disjunkte Kategorien unter dem Begriff Femizid subsumieren. Gerade im deutschsprachigen Kontext assoziiert dieser Begriff, durchaus gewollt duch seine sprachliche Nähe zum Genozid, eine Systematik die sich nur bei einem geringen Teil der Fälle tatsächlich finden lässt. Anders als im Englischen wo der Begriff Homicide auch für den einzelnen Mord gebräuchlich ist. Damit ist dieses Konzept inhärent blind für jede notwendige Unterscheidung zwischen Taten die aus systematischem, allgemeinem Frauenhass verübt werden, wie etwa die Tat in Toronto vor zwei Jahren oder die Morde von Ciudad Juarez und den Fällen von Partnerschaftsgewalt bei denen die Tat eben doch primär auf das jeweilige Opfer als Individuum bezogen ist. In der erstgenannten Gruppe von Femizid oder Terror zu sprechen scheint mir begründbar zu sein, es auch in der zweiten zu tun jedoch sowohl für das Verständnis als auch für die Prävention eher kontraproduktiv, eben weil es die kaputte Beziehungsebene und das Unvermögen adäquat mit ihr umzugehen als vorrangige Triebfeder komplett ausblendet.

      • @Ingo Bernable:

        Nuja, da mag man im Einzelfall vielleicht unterscheiden. Aber im Begriff "Partnerschaftsgewalt" steckt doch schon drin, daß da eine gewisse Symptomatik vorherrscht und auch Ihr Verweis auf die Beziehungsebene spricht m.M.n. eher noch dagegen, daß diese Taten gegen "Individuen" verübt werden.

        • @Walter Sobchak:

          Ja, das würd ich auch meinen. Es geht eben auch darum patriarchale (Denk)Muster (BesitzAnspruch auf Frauen), Verhaltensweisen (Gewalt, Konfliktverhalten) und Machtverhältnisse mit zudenken, zu benennen und anzugehen.

  • Der Beitrag ist kurios.

    Vorweg, sollte der Täter aus Frauenhass gehandelt haben, dann hätten wir mal ein Beispiel für einen Femicid in der Neuzeit. Man fragt sich ja schon irgendwie, was diese ganze Debatte soll, wenn keine richtigen Beispiele ganannt werden.

    Das kuriose an dem Ganzen liegt in einem anderen Punkt. Es gibt kein schwereres Verbrechen als Mord. Terrorismus ist in Deutschland weder ein eigener Tatbestand noch ein Qualifikationsmerkmal eines bestehenden Tatbestandes. Wie man in Kanada dazu kommen möchte, dass Terrorismus schwerer wiegen soll als Mord ist rästelhaft. Aufgrund dieser merkwürdigen rechtlichen Einordnung - welche in Deutschland keine Parallelsphäre kennt - soll sich in Deutschland irgendwas ädern?

    • @DiMa:

      "Vorweg, sollte der Täter aus Frauenhass gehandelt haben, dann hätten wir mal ein Beispiel für einen Femicid in der Neuzeit."

      Da gibt es noch diverse weitere, wo es aber einfach nicht zur Kenntnis genommen wurde.



      ZB hat die EMMA bereits 2009 nach dem Amoklauf von Winnenden darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Opfer Frauen waren und ein aufschlussreiches Interview mit einem potentiellen Täter geführt: "DIE MÄDCHEN ABBALLERN"



      www.emma.de/artike...n-abballern-263967

      • @Regierungsreserve:

        Da man den Amokläufer von Winnenden nicht interviewen kann, soll ein anderer 'potentieller' Amokläufer für ihn sprechen. Emma halt. Obwohl das Interview relativ vernünftig geführt wurde. Die erwünschten Antworten, wie Bestätigung von Pornokonsum hat man nicht erhalten und auch nicht selbst verfasst.

    • @DiMa:

      Das Etikett "Terror" ist einfach der Ritterschlag für das Ganzganzböse. Dass jetzt auch Morde aus Frauenhass dazuzählen sollen, ist eine Stellungnahme der Gesellschaft, sonst nichts.

    • @DiMa:

      Die Relevanz dieser Einordnung liegt auch nicht im Rechtlichen, sondern im Politischen.

      • @Ingo Bernable:

        Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft die Anklage auf Terrorismus ausweiten, dann geht es ausschließlich um eine rechtliche Einordnung und nicht um eine politische.

        Btw wie kann die Polizei eine Anklage ausweiten? Die Polizei kann wohl allenfalls ihre Ermittlungen ausweiten.

  • Wird es den Blick auf Gewalt gegen Frauen ändern?



    Während hier geträumt wird, arbeitet der Kapitalismus weiterhin daran, dass das Hippe und Schöne das Maß aller Dinge ist und den vermeintlich zu kurz Gekommenen dieser Welt schon unterschwellig zeigt, wofür sie nicht geboren sind. Das solche Sendungen menschenverachtend sind, wurde zwar schon diskutiert, Konsequenzen sind ausgeblieben und man hat sich dran gewöhnt. Das kann man auch Ausweitung der kapitalistischen Kampfzone mit Duldung der "Linken" nennen.



    Dies alles mit freundlicher Unterstützung der deutschen Wirtschaft. Wer jetzt noch nicht weiß wovon ich rede, der denkt bitte an GNTM, Parship und all den anderen visuellen Scheiß.



    Linkes Denken erinnert mich immer mehr an die Erzählung "Der Hase und der Igel".



    Das Laufen scheint das Ziel zu sein. Oder andersherum gesagt, mehr über die Wirkung reden wie über die Ursache.



    Und warum ist das so? Weil man am Anfang, bar eines Weltbildes, die Entwicklung verschlafen und das Maul gehalten hat und jetzt nicht als Depp da stehen will.

    Langsam verzweifele ich an linker Politik.

    • @APO Pluto:

      "... und all den anderen visuellen Scheiß."

      Ach ja, was verstehen Sie unter "visuellem Scheiß"?

    • @APO Pluto:

      "...der denkt bitte an GNTM, Parship und all den anderen visuellen Scheiß."

      Das eine ist ein Model-Contest, das andere eine Dating-Plattform. Was hat das eine mit dem anderen und beides mit Terrorismus zu tun?

      • @Stefan L.:

        Das habe ich doch oben dargelegt.



        Das Frauenbild?

      • @Stefan L.:

        Schauen sie sich mal die werbefinanzierten Sender an. Davon würde es vieles nicht geben, wenn das die deutsche Wirtschaft nicht finanzieren würde.



        Was gab und gibt es.



        Wie grabe ich eine unberührte Landschaft um, nur um ein bisschen Gold zu finden. Das Leben in einer Frittenbude usw.



        In Zeiten von Klimaveränderung- und Umweltverschmutzung ist werbefinanziertes Fernsehen, welches ja durch Manipulation den Konsumwahn am Laufen halten soll, für mich ein Verbrechen an der Natur. Von daher allein schon visueller Scheiß.

        • @APO Pluto:

          Was für ein Frauenbild?



          Als ob Frauen in der Werbung immer noch als Heimchen am Herd oder ausschliesslich als Sexobjekt dargestellt werden.



          Klar, man kann darüber streiten, ob sich 16jährige Mädchen bei GNTM so präsentieren sollten. Aber das Konzept ist mehr als bekannt aber Models an sich sind meistens toughe, enmanzipierte Businessfrauen, die wissen was sie wollen. Ich arbeite im Bereich Unternehmenskommunikation, Werbung und Design und ich kenne Models, die siebenstellig im Jahr vedienen und sich von niemanden etwas sagen lassen. Das sind keine unterdrücketen Sexobjekte.



          Und Schönheit, Sexappeal und Mode widersprechen nicht einer emanzipierten und selbstvewussten Frau.



          Parship is noch ein blöderes Beispiel. Da kann man sich über die "Zurschaustellung" von Mann und Frau gleichmassen beschweren. Das ist ein Dating-Portal und viele Menschen haben da schon ihr Glück gefunden, andere nicht. Das ist doch jedem selber überlassen und hat doch nichts mit Unterdrückung, Patriarchat oder Ausbeutung zu tun.

          Privatsender sind komplett werbefinanziert, die öffentlich rechtlichen teilweise. Und? Wollen Sie Werbung grundsätzlich verbieten, wollen Sie Design, Gestaltung, Marketing grundsätzlich als Teufelswerk verdammen? Selbst Ihre Birkenstocks (sofern Sie welche tragen), Ihr verganer Brotaufstrich und Ihr fair gehandelte Kaffee unterliefen einem Design- Marketing- und Verkaufsförderungsprozesse. Nahezu jedes Produkt, jede Dienstleistung tut das. Wo wollen Sie hin? Ins Mittelalter, wo man nur noch selber anbaut und nur noch beim Bauern um die Ecke kauft? Werbung, Design, Ästhetik und Markenkommunikation sind nicht grundsätzlich etwas Schlechtes aber bestimmte Produkte und Dienstleistungen können selbstverständlich unsozial und klimaschädlich sein. Da ist die Justiz gefragt, dafür die richtigen Regeln aufzustellen und der Verbraucher gefragt, die richte Auswahl zu treffen.



          Sie betreiben hier aber völlig undifferenziertes Schubladendenken.

          • @Stefan L.:

            Mit der Kopplung der Öffentlich- Rechtlichen an das werbefinanzierte Free-TV, ich sage immer gern Doof-TV, im Jahre 1985 hat die Politik eine Abzock- und Verdummungsmaschinerie in Gang gesetzt die ihresgleichen sucht. Werbung hat und trägt weiterhin dazu bei, aus diesem Planeten noch schneller eine verseuchte Müllkippe zu machen. Die Sendungen die zwischendurch gezeigt werden sind nur Füllmasse. Wie dämlich der Inhalt auch sein mag, Hauptsache der freie Platz wird gefüllt.

            Das System wurde nur eingeführt, weil man in Amerika gesehen hat, was man hier für Kohle abgreifen kann.



            Auch finanziert (über ihren Konsum) von den unterbezahlten Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Verkäufer- und Kassiererinnen etc., die jetzt bis an den Rand der Erschöpfung malochen um Menschen zu retten bzw. das System am Laufen zu halten, während anderswo, was kostet die Welt, noch Boni verteilt werden.

            Verteidigen sie nur die mit Millionen vergütete Oberflächlichkeit ihrer Schaumschlägerpüppchen, was anderes habe ich von einem "Unternehmenskommunikator" auch nicht erwartet. Verteidigen sie solch ein menschenverachtendes System.



            Ich arbeite derweil mit Freude daran, dass eine Zeit kommt, in der die Protagonisten dieses perversen Systems einer nützlichen Arbeit zugeführt werden. Wie sie wissen, wurde sich gegen eine andere Maßnahme ausgesprochen.

            • @APO Pluto:

              Antwort 1:



              Das werbefinanzierte Free-TV sehe ich übrigens ähnlich wie Sie.



              Nur zur Info: Sie haben übrigens die Freiheit, es zu schauen oder auch sein zu lassen. Sie sind Herr über Ihre Fernbedienung.



              Wie am Kiosk, Sie können zur taz greifen oder zur Neuen Revue. Ich habe nur dein Eindruck, Sie wollen letztere aber verbieten.

              Ansonsten besteht Ihr Posting leider wieder nur aus pauschalisierenden Allgemeinplätzen. Hundert oder Null, nichts dazwischen.



              Zum TV: die „Füllmasse“ zwischen Werbeblöcken kann eine geistlose Casting- oder Gerichtsshow sein oder auch ein guter Spielfilm. Das soll sogar bei Privatsendern vorkommen. Und auch im ÖR kann ich zwischen dem Musikantenstadl, exzellenten Dokus, dem Tatort oder Rosamunde Pilcher-Verfilmungen auswählen. Wie schon erwähnt, die Regalwand im Zeitschriftenhandel ist ein schönes Beispiel für Auswahlmöglichkeiten.



              Auf was möchten Sie denn diese Regalwand reduzieren? Auf NEUES DEUTSCHLAND?

              Gute bezahlte Models sind übrigens nicht der Grund, warum Krankenschwestern etc. schlecht bezahlt werden.



              Ich bin auch der Meinung, dass diese deutlich mehr bekommen sollten - Geld wie bessere Arbeitsbedingungen.



              Trotzdem sollte das Model das Recht haben, sich zum Tagessatz von 10.000 zu vermarkten. Wen geht das was an, was ein Mode-Label oder Verlag für Fotos ausgeben möchte und kann? Es geht Sie auch nichts an, ob ein Künstler ein abstarketes Gemälde für 100.000 verkaufen kann.

              • @Stefan L.:

                Damit das hier nicht zu lang wird, lesen sie doch einfach meine Petition auf chance.org: chng.it/nV78RHBrsb