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Afrikanischer Ökonom über Grenzen„Es geht um Migration in Würde“

Samir Abi aus Togo kritisiert den Trend zur Grenzschließung in Coronazeiten. Er wünscht sich eine Migrationspolitik, die Menschen nicht erniedrigt.

Samir Abi Foto: Visions solidaires
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Samir Abi, Corona hat Mobilität praktisch weltweit zum Erliegen gebracht, auch in Afrika. Welche Folgen hat das?

Samir Abi: Schon die Ebola­krise in Westafrika vor fünf Jahren zeigte, dass langanhaltende Grenzschließungen mehr Schaden anrichten, als sie verhüten. Afrika lebt vom Handel, international vor allem mit China, aber auch regional. Die Schließung vieler Grenzen hat diesen Handel vielfach zum Erliegen kommen lassen. Das macht sich beim Einkommen vieler Menschen direkt bemerkbar und schlägt vor allem auf Arme durch. Wer im informellem Sektor beschäftigt ist, hat in dieser Zeit schnell alles verloren.

Was wird die Coronapandemie mittelfristig für Mobilität bedeuten?

Ich bin vollkommen sicher, dass einige Politiker versuchen, in Afrika wie auch anderswo, Mobilitätsbeschränkungen beizubehalten. Ich erinnere daran, dass die USA etwa in der ­Vergangenheit bei der Einreise aus einigen afrikanischen Ländern HIV-Tests verlangt haben. Bislang wird bei der Einreise nach Europa keine Impfung verlangt. Das könnte sich ändern. Das kann Stimmungen befeuern, die sich jetzt schon abzeichnen.

Welche Stimmungen?

Eine der meistverbreiteten Reaktionen auf die Coronapandemie war von Anfang an der Vorwurf, dass MigrantInnen die Seuche verbreiten. Selbst in China sind deshalb AfrikanerInnen angegriffen worden. Auch in Spanien und den Niederlanden wurden MigrantInnen als jene stigmatisiert, die das Virus eingeschleppt hätten. Diese Stigmatisierung muss zurückgedrängt werden, um Mobilität wieder möglich zu machen. Aber ich bin sehr optimistisch, dass das gelingen kann.

Warum?

Wenn man die wirtschaftlichen Folgen der Abschottung sieht, wird es nicht mehr so lange dauern, bis sich da wieder etwas ändert.

Ein Beratergremium der Bundesregierung hat nun vorgeschlagen, AfrikanerInnen gegen eine Kautionszahlung künftig temporäre Arbeitsvisa zu erteilen. Ist das eine gute Idee?

Ja, absolut. Davon reden wir seit zehn Jahren. Und wenn jetzt eine solche Institution einen solchen Vorschlag macht, ist das ein wichtiges politisches Signal, auch international. Es geht um Migration in Würde. Denn wozu MigrantInnen heute gezwungen sind, ist unwürdig.

Schließt ein solcher Ansatz nicht weiterhin viele aus, die die Kaution nicht zahlen können?

Wer per Schlepper aus Afrika nach Europa reist, braucht heute mindestens 3.000 Euro, er riskiert sein Leben und das Geld ist weg. Von afrikanischen Studierenden werden bis zu 10.000 Euro Sicherheitsleistungen verlangt, wenn sie in Europa an die Uni wollen. Meine Prognose ist: Wenn es die Aussicht gibt, in Europa Geld zu verdienen, werden Menschen Wege finden, um eine solche Kaution aufzutreiben – zumal das Geld in der Zwischenzeit ja arbeiten kann. Die Höhe der Kaution ist weniger entscheidend als dass dieser Weg auch Menschen offensteht, die gering qualifiziert sind und eine Arbeit erst noch suchen wollen.

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6 Kommentare

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  • Zitat: „Eine der meistverbreiteten Reaktionen auf die Coronapandemie war von Anfang an der Vorwurf, dass MigrantInnen die Seuche verbreiten. Selbst in China sind deshalb AfrikanerInnen angegriffen worden.“

    Was leider wieder einmal mehr beweist, dass (zu) viele Menschen aus fremdem Leid gar nichts lernen (wollen) und aus eigenem auch nicht besonders viel. In Europa, schließlich, wurden asiatisch aussehende Menschen als Virusträger stigmatisiert.

    Im Übrigen scheint mir der Wunsch dieses Herrn, die EU-Entscheidungsträger mögen doch bitte (auch) solchen Afrikanern das Tor nach Europa öffnen, „die gering qualifiziert sind und eine Arbeit erst noch suchen wollen“, ziemlich blauäugig zu sein. Glaubt der Mann etwa, EU-Politiker wären Könige, die nach Lust und Laune entscheiden können zugunsten derer, die sie darum höflich bitten? Das ist ein Irrtum. Es wollen ja nicht einmal alle EU-Politiker Diktatoren sein.

    Die meisten möchten ganz gerne a) gewählt und b) gesponsert werden. Sie müssen also zusehen, dass sie 1.) der Wirtschaft und 2.) denen unter ihren potentiellen Wählern Gutes tun, die auch gering qualifiziert sind und/oder einen (besser bezahlten) Job suchen, für die unsere Gesellschaft aber grade keine Verwendung hat, weil „die Wirtschaft“ fast alle einfachen Arbeiten in Länder mit niedrigeren Lebenshaltungskosten ausgelagert hat. Und für die meisten Leute hier gilt immer noch: Europäer first.

    Die Menschenwürde anderer scheint (auch) für viele in Europa Geborene nur dann eine Rolle zu spielen, wenn sie Gnade vor Recht walten lassen können. Wie Könige wollen sie Würde gewähren: aus einer Position der Stärke heraus. Fühlen sie sich schwach, pfeifen sie auf die Würde der Anderen.

    Das nennt sich Egoismus. Und unter Europäern hat der Egoismus genau so viele Fans, wie unter Afrikanern. Nur, dass fast alle Europäer privilegierter sind. Weswegen sie (im Schnitt) wohltätiger erscheinen möchten. Es kommt halt immer noch zuerst das Fressen. Moral ist nice to have.

  • @Schnurzelpu



    Seit dem 15 Jhrd. migrieren Europäer in die Welt (u.a. auch als Kolonialisten, Eroberer, oft brutal). Aber insbesondere Anfang des 19 Jhrdts. sind Millionen von Europäern wegen Hunger und Elend in die große weite Welt gezogen. Waren sie nicht eher sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge?

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Henni:

      Woher kommen denn Hunger und Elend?



      Weil Staaten versagen und Despoten die Menschen auspressen. Da haben wir die gleiche Geschichte wie Afrika. Nur ein bissel versetzt. Kolonialismus und Eroberung gab und gibt es auch intern in Afrika. Schauen sie z.B. nach Namibia. Die Hereros haben die Namas ab 1800 verdrängt, die wiederum die dort lebenden Ureinwohner verdrängt hatten.

      Und sind Wirtschaftsflüchtlinge keine Migranten?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    "Es geht um Migration in Würde."

    Wenn Europäer migriert sind, haben sie es getan, weil sie in despotisch regierten Ländern lebten, die keine menschenwürdiges Leben zuließen. Oder sie wurden als Sklaven verkauft.

    Nicht anders geht es scheinbar in Afrika zu. Eine reiche Oberschicht verdient am Verkauf der Arbeitskräfte und das schon seit Jahrhunderten.

    Es geht um ein Leben in Würde und nicht um Migration in Würde.

  • Temporäre Arbeitsvisa sind ja schön und gut, deren Anzahl wird aber kaum für alle Interessierte reichen.

    Ich bezweifle, dass sich dadurch die Anzahl an Flüchtlingen/Asylbewerbern deutlich reduziert.

    • @gyakusou:

      Nur so'n Bauchgefühl?