: Kreuzberger Karussell
Mietsteigerungen setzen vielen Künstler*innen zu, auch in der Coronakrise. Die Kuthe Immobilien GmbH kündigt als Vermieter einer Ateliergemeinschaft in der Glogauer Straße
Von Tom Mustroph
Wer hoffte, in Zeiten der Covid-19-Pandemie würden Berlins Vermieter nachsichtiger werden, sieht sich in der Angelegenheit Glogauer Straße 6 eines Schlechteren belehrt. In dem Kreuzberger Gewerbekomplex forderte die Kuthe Immobilien GmbH von einer bereits seit 2006 bestehenden Ateliergemeinschaft nicht nur eine Mieterhöhung um fast 70 Prozent von 9,20 auf 15,50 Euro pro qm. Als Gespräche zur Kompromissfindung scheiterten, kündigte sie sogar den Mietvertrag zum 31. Mai. „Wir haben Gespräche angeboten, alles ohne Ergebnis“, sagt Clemens von Wedemeyer der taz. Der Filmemacher und Videokünstler gehört zur Ateliergemeinschaft. Jetzt trifft man ihn auf der ehemaligen Fabriketage umgeben von Kisten und Kartons. „Manche Werke sind hier immer eingepackt. Eine Kollegin packt aber tatsächlich schon wegen des Auszugs“, erzählt er.
Von Wedemeyer hat in den 14 Jahren, in denen er in seinem Atelier auch mit freien Mitarbeitern an eigenen Projekten arbeitete, viele, auch bekannte Künstler kommen und gehen sehen. Den Maler und Installationskünstler Anselm Reyle, die Malerin und Bildhauerin Katja Strunz. Auch Multikünstler John Bock arbeitete hier. „Wir sind die Letzten, vielleicht auch, weil wir noch den wenigsten Platz brauchen“, sagt er trocken und zeigt auf Kollegin Laura Horelli. Auch sie ist Film- und Videokünstlerin, das Atelier ist vor allem Büro, Denkraum und Schnittplatz.
Zynische Begründung
Künstler*innen, die große Leinwände bemalen, Installationen bauen oder große Skulpturen fertigen – und nicht über Einkünfte aus dem Lehrbetrieb verfügen wie von Wedemeyer, der Professor in Leipzig ist, oder Horelli, die in Köln lehrt –, sind schon bei früheren Mietsteigerungskaskaden ausgestiegen. „2006 kostete ein Quadratmeter hier drei Euro Miete. Dann ging es über sechs Euro auf neun Euro hoch“, beschreibt er die Entwicklung. Aus dem Mietpreiskarussell musste neben den bildenden Künstlern auch die private Schauspielschule „Der Kreis“ aussteigen; sie blieb zwei Jahrzehnte in der Glogauer Straße. Geradezu zynisch ist die Begründung für die Mietsteigerung. „In den letzten Jahren hat sich die Marktsituation in unserer Stadt im positiven Sinne dynamisch entwickelt. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Einfluss auf den Mietmarkt für Gewerbeflächen, insbesondere auch in Kreuzberg“, hieß es lapidar in dem Anschreiben des Vermieters. Motiv ist, so muss man schlussfolgern, die pure Gier. Wenn ringsum Mieten steigen, dann wollen wir kräftig mitverdienen, scheint die Logik zu sein.
Die Kuthe GmbH reagierte auf Anfragen der taz nicht. Pikant ist, dass einer der Gesellschafter Stefan Freymuth ist, mit der stattlichen Einlage von 6 Millionen Euro sogar. Freymuth ist auch Mehrheitsaktionär beim traditionsreichen Pianohersteller Bechstein. Und über die Arnold Kuthe Gastronomieservice GmbH betreibt er zudem das Wintergarten Varieté. Jemand, der selbst Kunst produzieren lässt und künstlerische Betätigung fördert – über die Bechstein Stiftung versorgte Freymuth etwa 200 Grund- und Gesamtschulen im ganzen Land kostenlos mit Klavieren – setzt in seiner Rolle als Immobilienbesitzer andere Künstler schnöde auf die Straße.
Nicht einmal die Coronapandemie, die Künstler*innen hart trifft, löste einen Sinneswandel aus. Ob Freymuth für den Wintergarten Nothilfe beim Berliner Kultursenat beantragen möchte, ist derzeit unklar. Nachfragen dazu ließ er ebenfalls unbeantwortet. Im Kultursenat wird jedenfalls an einem Nothilfepaket für Varietébühnen gearbeitet. Es wäre pikant, wenn die gleiche Verwaltung einen Kulturunternehmer finanziell unterstützt, der in seiner Rolle als Immobilienbesitzer einen anderen Schwerpunkt der gleichen Verwaltung – Schutz und Sicherung von Arbeitsräumen für Künstler*innen – derart offen torpediert.
Wohin die Planungen zielen, kann man bereits dem Portal Immobilienscout24 entnehmen. Dort wird die Atelieretage zur Monatsmiete von 5.500 Euro angeboten. Das sind 25 Euro pro qm. Von drei Euro 2006, über, sechs, neun bis zu 25: fast eine Verzehnfachung in 14 Jahren. Leisten können werden sich wohl nur noch Start-ups solche Objekte, vorausgesetzt, Covid-19 verbrennt nicht zu viel Risikokapital.
Clemens von Wedemeyer und Laura Horelli hoffen, dass sich dieses Szenario noch verhindern lässt. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt die Videokünstlerin, die derzeit mit eigenen Arbeiten in den Streaming-Angeboten vom Kino Arsenal und des KW Institute for Contemporary Art vertreten ist und 2009 zur Kunstbiennale Venedig eingeladen war. Unterstützung erfahren sie durch die Nachbarschaftsinitiative GloReiche sowie zahlreiche Kultur- und Kunstinstitutionen, die einen offenen Brief an die Vermieter unterzeichnet haben. Die Künstler*innen jedenfalls wollen nicht aufgeben.
Vielleicht muss ihre Atelierpartnerin Heba Amin wieder so einen Coup landen wie vor fünf Jahren. Da war sie Teil einer Gruppe von Graffiti-Künstler*innen, die von den Machern der US-TV-Serie „Homeland“ angeheuert waren, um die Berliner Drehorte so richtig authentisch zu gestalten. Sie sollten Slogans wie „Mohamed ist groß“ in arabischer Schrift auf die Kulissen sprayen. Stattdessen aber trugen sie Sprüche wie „Homeland ist rassistisch“ und „Homeland ist eine Wassermelone“ auf. Eine Wassermelone ist etwas, was nicht ernst genommen werden kann. Stefan Freymuth tut gerade viel dafür, dass man den Wintergarten für eine Wassermelone halten muss.
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