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Staatsfolter in Syrien vor GerichtDeutsche Justiz als Vorreiter

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Es ist der deutschen Justiz hoch anzurechnen, dass sie nun Assads Folterregime anklagt. Es zeigt, Syriens Verbrechen müssen nicht straflos bleiben.

Angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Eyad A. vor Gericht in Koblenz Foto: Thomas Lohnes/afp/dpa

D ie historische Tragweite ist kaum zu überschätzen: Vor dem Oberlandesgericht Koblenz beginnt heute der weltweit erste Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Und am Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der erste Prozess wegen Völkermordes an den Jesiden gegen einen irakischen Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS). Das zeitliche Zusammentreffen ist Zufall – nicht aber, dass die deutsche Justiz jetzt internationales Vorbild wird.

Von der Vorreiterrolle Deutschlands als Aufklärer des Terrors führt ein direkter Weg zurück zur Vorreiterrolle Deutschlands als Aufnahmeland für Flüchtlinge vor fünf Jahren. Der Koblenzer Hauptangeklagte Anwar Raslan, der für den Foltertod Dutzender Häftlinge in einem von ihm geleiteten Verhörzentrum des syrischen Geheimdienstes in Damaskus verantwortlich gemacht wird, kam als Flüchtling nach Deutschland. Der Frankfurter Angeklagte, Ehemann einer deutschen IS-Kämpferin, wurde 2019 als Flüchtling in Griechenland festgenommen.

Mit diesem Prozess betritt das noch wenig getestete deutsche Völkerstrafrecht Neuland. Der erste Völkerstrafrechtsprozess, gegen den in Deutschland lebenden politischen Führer der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR und seinen Stellvertreter, endete vor ziemlich genau einem Jahr abrupt mit dem Tod des Hauptangeklagten Ignace Murwanashyaka noch bevor ein rechtskräftiges Urteil vorlag. Murwanashyakas erstinstanzliche Verurteilung in Stuttgart im Jahr 2015 als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung – der aber zugleich lediglich Beihilfe zu den Verbrechen seiner Untergebenen geleistet habe -, war 2018 vom Bundesgerichtshof kassiert worden. Zur nächsten Etappe kam es nicht mehr. So wartet Deutschland immer noch auf das erste endgültige Völkerstrafrechtsurteil gegen einen mutmaßlichen Verantwortlichen für schwerste Menschheitsverbrechen – es hat lediglich Urteile gegen einfache Kämpfer gegeben.

Denn noch nie wurde unter dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch VStGB ein mutmaßlicher Verantwortlicher für Verbrechen eines anderen Staates angeklagt. Es ist der deutschen Justiz hoch anzurechnen, dass sie diesen Schritt wagt. Zwar ist der Angeklagte kein Vertreter des syrischen Staates mehr, er desertierte 2012. Aber es läuft gleichzeitig ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdiensts. Grundlage dafür ist die Auswertung der „Caesar-Dateien“ mit Zehntausenden Fotos von tausenden Leichen der Opfer staatlicher Folter in Syrien, die ein Militärfotograf außer Landes geschmuggelt hat. Auch einige der mutmaßlichen Opfer Raslans sind den Ermittlungen zufolge auf diesen Bildern.

Natürlich wird in diesem Prozess alles erst einmal grundsätzlich angezweifelt werden, es gilt schließlich die Unschuldsvermutung. Sind die Bilder echt? Was ist darauf tatsächlich zu sehen? Sind die zu befragenden Zeugen glaubwürdig? Sind ihre Aussagen überprüfbar? Selbst wenn einzelne Verbrechen endgültig bewiesen sind, ist der Angeklagte strafrechtlich tatsächlich verantwortlich dafür? Gerade letztere Frage, die für eine Veurteilung zwingend ist, lässt sich in einer straffen Diktatur wie der Assads nicht leicht beantworten. Aber auch sonst steht dieser Prozess unter einer schweren Hypothek. Das Assad-Regime ist schließlich weiterhin im Amt, seine Staatsbürger haben auch auf der Flucht noch Angst vor ihm und Ermittlungen vor Ort sind ausgeschlossen. Das war schon beim FDLR-Prozess ein Problem, aber die Bedrohung aus Syrien ist ungleich größer.

Viele in Deutschland – insbesondere bei Linkspartei und AfD – meinen, Syriens Assad-Regime Syriens müsse ein Partner sein

Dennoch ist das wichtigste erstmal, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet. Er sendet ein kräftiges Signal in die Welt aus, dass Syriens Verbrechen nicht straflos bleiben müssen. Viele in Deutschland – insbesondere bei Linkspartei und AfD – meinen, Syriens Assad-Regime müsse ein Partner sein, und wenn doch bloß die Islamisten besiegt wären, würde Frieden in Syrien herrschen und die Flüchtlinge könnten zurückkehren. Dieser Prozess erinnert uns daran, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Assad-Regime ist ein Verbrecherregime. Seine Vertreter gehören vor Gericht. Erst sein Ende wird Syrien Frieden bringen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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12 Kommentare

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  • Angeklagt sind: Anwar Raslan und Eyad Al-Gharib. Warum kennt die TAZ nur einen Namen.

  • Sehr gut das Folter und Kriegsverbrechen bestraft werden. Nur was ist mit dem Foltergefängnis von Quantanamo und den dafür verantwortlichen, was mit Bush, Putin. Was mit der Todesstrafe in Amerika ? Mit dem Kronprinzen von Saudi Arabien, Erdogan, Assisi ? Solange solche Prozesse und Anklagen und Prozesse nur diejenigen treffen , die nicht prowestlich sind ist eine derartige Gerichtsbarkeit von Gerechtigkeit weit entfernt und auch verzichtbar. Das hat leider eher was von politischem Theater im Kostüm von Menschenrechten und Moral.

  • Wie viele Personen wurden eigentlich wegen der Folter unter G. W. Bush in D vor Gericht gestellt? Oder kommt es darauf an, wer foltert?

    Es ist ja richtig, die Herren aus Syrien vor Gericht zu stellen. Aber man sollte nicht so selektiv vorgehen...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Der Artikel schreibt von allein "Zehntausenden Fotos von tausenden Leichen der Opfer staatlicher Folter in Syrien". Die Überlebenden snd da noch nicht einmal genannt. Was also soll ihr Whataboutism bezwecken?

      Die vielen "in Deutschland – insbesondere bei Linkspartei und AfD – [die] meinen, Syriens Assad-Regime müsse ein Partner sein" haben doch den Schuss nicht gehört.

      • @Rudolf Fissner:

        Lassen wir mal Ihre Anwürfe bei Seite.

        Folter ist immer ein Verbrechen. Egal wer sie anwendet. Also muss man sie auch verfolgen (wenn technisch möglich). Besonders wenn der eigene Geheimdienst verwickelt ist.

        Die Forderung, auch andere Folterer zur Verantwortung zu ziehen, ist doch keine Verteidigung Assads und seiner Handlanger. Es ist nur die Forderung, glaubwürdig zu handeln.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ja, das Völkerrecht ist noch ganz schön verbesserungsbedürftig. Washingtoner und Moskauer Verantwortliche haben nach wie vor die besten Chancen, unbehelligt davonzukommen. Und wenn jemand nur erstere, aber nicht letztere erwähnt, dann hat das wirklich gar nichts mit selektiver Wahrnehmung zu tun.

      • @Ewald der Etrusker:

        In die Aktivitäten Washingtons sind wir verwickelt. Die Chance verantwortlich vor Gericht zu stellen, ist also etwas größer, als die, welche aus Moskau zu schnappen. Außerdem ist es immer gut, beim Kehren vor der eigenen Tür anzufangen...

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          "eigene Tür"? ... Koblenz, Deutschland, und dann die ganze Welt?

          Ist der WK ii doch anders verlaufen und die USA ist ein Teil Deutschlands oder gar von Koblenz?

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Eigene Tür... reden wir hier wirklich noch über Verbesserungsbedarf beim Völkerrecht? Oder hat der die ganze Zeit bloß einen von uns interessiert?

          • @Ewald der Etrusker:

            Das Völkerrecht ist doch in diesem Fall völlig eindeutig. Folter ist verboten.

            • @warum_denkt_keiner_nach?:

              Ok, belassen wir es beim Minimalkonsens...