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Erinnerungskultur des Zweiten WeltkriegsDie Nivellierung des Grauens

Die AfD leugnet NS-Verbrechen nicht, erklärt sie aber zu einem unbedeutenden Teil der Geschichte – und wehrt damit die Erinnerung daran ab.

Reste der Herrschaft: Rotarmisten schaffen vor der Reichskanzlei einen Nazi-Adler beiseite Foto: Universal History Archive/getty images

Berlin taz | Es wäre an jenem Donnerstag Ende Februar 2020 für Oliver Kirchner so leicht gewesen, sich eindeutig von Nationalsozialismus zu distanzieren. Die Abgeordneten im Magdeburger Landtag diskutierten einen Antrag der Linkspartei, den 8. Mai zum Feiertag zu erklären – und sich positiv auf das Ende des Zweiten Weltkrieges zu beziehen. Das müsste doch auch für einen Abgeordneten der AfD möglich sein.

Doch Kirchner, AfD-Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, wählt einen anderen Fokus, als er ans Redepult tritt. Er sagte: „Der 8. Mai ist kein Tag zum Feiern, sondern ein Tag zum Gedenken.“ Und er spricht vom „sogenannten Tag der Befreiung“, von „militärischer Niederlage und Kapitulation der deutschen Wehrmacht“ und den Folgen davon: „die Besetzung und Teilung Deutschlands, die millionenfache Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa, der Verlust der deutschen Ostgebiete, eine stalinistische Diktatur in der Ostbesatzungszone sowie der Kalte Krieg“.

In Kirchners kurzer Rede steckt vieles, was den Umgang der AfD mit Nationalsozialismus und Holocaust, Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg generell ausmacht. Die Partei erwähnt die nationalsozialistischen Verbrechen höchst ungern und wenn, dann werden sie durch andere Gräueltaten relativiert. Ihre Opfer kommen kaum vor – stattdessen werden die Täter zu Opfern umgedeutet.

Einer, der geschichtspolitisch in der AfD den Ton angibt, ist Alexander Gauland, Fraktionschef im Bundestag. Der 79-Jährige ist Jurist, hat sich aber sein ganzes Leben lang mit Geschichte befasst. „Hitler hat sehr viel mehr zerstört als die Städte und die Menschen. Er hat den Deutschen das Rückgrat gebrochen, weitgehend“, sagte er bereits im April 2016 in einem Interview. Und wenig später behauptete er gar, der Nationalsozialismus sei eigentlich „etwas zutiefst Antideutsches“.

Identifikation mit Wehrmacht

Anders als die alten Rechtsextremen leugnet die AfD die nationalsozialistischen Verbrechen nicht. „Aber man möchte sich auch nicht vom Nationalsozialismus distanzieren. Man empfindet den 8. Mai nicht als Befreiung, sondern nach wie vor als Niederlage“, sagt der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, der die Geschichtspolitik der AfD analysiert hat. „Man identifiziert sich weiter mit der Wehrmacht, in der zwar einige ‚Fehler‘ gemacht hätten, die aber grundsätzlich einen guten Kern gehabt habe.“ Das zeige auch Gaulands Forderung, die Deutschen müssten das Recht haben, „stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ zu sein.

Strategisch, meint Salzborn, knüpfe das an die Geschichtspolitik der Regierung Kohl an. Auch diese versuchte, die NS-Vergangenheit hinter sich zu lassen – sie stand der politischen Souveränität im Weg und dem Ziel, mit den Verbündeten im Westen auf Augenhöhe umzugehen. Einer der viel kritisierten Höhepunkte der Kohl’schen Erinnerungspolitik: Der gemeinsame Besuch mit US-Präsident Ronald Reagan am 5. Mai 1985 auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch Angehörige der Waffen-SS begraben sind. Wenige Tage nach dem Besuch sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestags des Kriegsendes im Bundestag vom „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.

Wie bei Kohl gebe es auch bei der AfD eine Tendenz zur Nivellierung der Schuld, sagt Salzborn. „Der Nationalsozialismus wird zu einem unbedeutenden Teil der deutschen Geschichte erklärt.“ Das bekannteste Beispiel bei der AfD: Gaulands Äußerung, „Hitler und die Nazis“ seien „nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ gewesen.

Im Geiste von Björn Höcke

Die Schlussfolgerung daraus: Björn Höckes Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“. Gedächtnispolitik, wie sie heute betrieben werde, sei „darauf ausgelegt, den Daseinswillen der Deutschen als Volk und Nation zu brechen“, klagte auch der kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marc Jongen. Und der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier erklärte gleich „diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet“.

Konkret wurde die baden-württembergische AfD-Landtagsfraktion schon 2017: Sie forderte, die Landesförderung für die NS-Gedenkstätte Gurs in den französischen Pyrenäen zu streichen. Und ihre bayerischen KollegInnen verließen im Januar 2019 den Saal, als Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, anlässlich des Holocaustgedenktages eine Ansprache im Landtag hielt und die AfD kritisierte.

Statt kritischer Aufarbeitung will die AfD eine identitätsstiftende Geschichtsvermittlung, die sich auf die „großartigen Leistungen der Altvorderen“ bezieht. „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst“, heißt es entsprechend im AfD-Grundsatzprogramm.

Völkische Vorstellungen

Hinzu komme, führt Salzborn aus, dass die AfD „empathiefrei“ im Bezug auf die Opfer des Nationalsozialismus sei. „Es gibt eine tief verwurzelte Vorstellung vom deutschen Volk – und die Opfer des NS gehören im Verständnis von vielen in der AfD eben nicht dazu.“ Völkische Vorstellungen seien in der AfD tief verwurzelt und ein Ziel sei eben auch, Kategorien wie Volk oder Nation wieder als homogene Gruppen zu konstruieren. „Jüdinnen und Juden, Roma, Homosexuelle oder auch Kommunisten, die passen da nicht.“ Die damalige Parteichefin Frauke Petry hatte schon 2016 gefordert, dass der Begriff „völkisch“ wieder positiv besetzt werden solle.

Während sich bei der Beschreibung der AfD-Geschichtspolitik viele ExpertInnen einig sind, ist ihre Bedeutung für den Erfolg der Partei umstritten. „Die Geschichtspolitik ist für den Erfolg der AfD sehr viel zentraler, als wir das oft annehmen“, sagt Salzborn. „Sie knüpft an die Erinnerungsabwehr an, die in der deutschen Bevölkerung sehr verbreitet ist.“ Nur ein kleiner Teil von dieser habe den Nationalsozialismus erfolgreich aufgearbeitet. Man wolle sich damit nicht mehr beschäftigen. Für Salzborn ist klar: „Der offensichtliche Geschichtsrevisionismus ist eines der Kernthemen der AfD, das die Wähler mobilisiert.“

Anders sieht das der Politikwissenschaftler Gideon Botsch, der die AfD ebenfalls seit Langem kritisch verfolgt. Aus seiner Sicht haben die genannten Äußerungen von Gauland, Höcke und Co. vor allem zwei Funktionen: Sie senden gezielt Signale an radikal-nationalistische und rechtsextreme WählerInnen, um diese zu gewinnen. Und sie sind im parteiinternen Machtkampf zugleich eine Attacke auf die Kritiker. „Mit Blick auf die gesamte Wählerschaft“, kommt Botsch zu dem Schluss, „kann das aber auch nach hinten losgehen.“

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6 Kommentare

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  • Bei der Stiftung Demokratie Saarland gibt es am 18. Mai einen Online-Vortrag von Professor Salzborn zu dem Thema:

    Rechtsextremismus: Erscheinungsformen und Erklärungsansätze

    www.stiftung-demok...20025bf5da8fa0f6c5

  • Aus Fehlern kann man lernen. Ungeschehen machen kann man sie dadurch nicht. Das Lernen der Gaulands, der AfD besteht darin, dass man vergessen machen will indem man die Untaten mit all dem übertünchen möchte, was man im positiven Sinne über Land und Leute zu sagen könnte und kann. Lebt aber das Positive nun davon, dass man das Negative leugnet? Darin liegt der zutiefst antihistorische Umgang der AfD mit der Geschichte. Geschichte ist kein Wunschkonzert. Was geschehen ist geschehen und man kann es nicht ungeschehen machen, indem man davon abzulenken versucht.



    Doch leider steht die AfD hierbei nicht allein. Relativierende Tendenzen im Umgang mit der Geschichte finden wir an allen Rändern der Gesellschaft. Wer. heute den real existierenden Sozialismus positiv darzustellen versucht indem er das Positive so herausstellt, dass die Millionen die ihm zum Opfer fielen vergessen werden, verhält sich im Prinzip nicht anders.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    O-Ton Goebbels, 1928:

    "Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.

    Wenn es uns gelingt, bei diesen Wahlen 60 oder 70 Agitatoren und Organisatoren unserer Partei in die verschiedenen Parlamente hineinzustecken, so wird der Staat selbst in Zukunft unseren Kampfapparat ausstatten und besolden. Eine Angelegeneheit, die reizvoll und neckisch genug ist, sie einmal auszuprobieren...

    Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!""

    ==

    Nach dem Reichtagsbrand begannen die Verhaftungen nach vorbereiteten Listen; es wurden allein in Preußen rund 5000 Menschen, in erster Linie Linke und Sozialdemokraten, festgenommen und in Lager/Gefängnisse gesteckt. Die SA verfolgte oppositionelle und verschleppte Angehörige der Arbeiterparteien und Gewerkschaften in Schulen, Kasernen, Keller und Parteilokale, wo sie geschlagen, gefoltert und ermordet wurden.

    Logisch das die Rechtsradikalpopulisten der afd ein geschichtsklitterndes Bild verkaufen wollen - in unterschiedlichen Schattierungen, mit unterschiedlicher Garnierung dessen, was tatsächlich an Massenmord, Folter und brutaler Wilkür geschehen ist. Das ist doch gerade der Propagandatrick den sie von den Nationalsozialisten übernommen haben.

    Gideon Botsch ist zumindest auf einem realistischen Weg die afd mit ihrer Anbindung an nationalsozialistische Zielvorstellungen entsprechend zu interpretieren. Ansonsten - mir fällt es schwer einen Unterschied zwischen der afd Politik und den 1928 formulierten Zielvorstellungen von Goebbels zu entdecken.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Schön und richtig, das Goebbels schon 1928 ankündigte, was sie eigentlich vorhaben. Aber zu dieser Zeit kämpften mit dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus zwei Menschen verachtenden Systeme um die Macht in Deutschland, und der Verlierer war die noch junge Demokratie.



      Das traurige an dieser Sache ist, das es nach 75 Jahren Frieden und Demokratie, immer noch Menschen gibt, welche solchen Rattenfängern hinterlaufen, ganz egal welcher couleur.

  • 0G
    00677 (Profil gelöscht)

    Gaulands neuester Spruch: Er bedauert ganz offen das Ende des Nationalsozialismus als "Verlust von Gestaltungsmöglichkeit". Direkter kann man wohl nicht sagen, wo er mit seiner Partei wieder hinwill.



    www.n-tv.de/politi...ticle21761171.html

    • @00677 (Profil gelöscht):

      Er (Gauland) bedauert ganz offen das Ende des Nationalsozialismus als "Verlust von Gestaltungsmöglichkeit".

      Wann wird diese Partei endlich verboten? Sie ist nun mal verfassungswidrig nicht nur ihr abgeschnittner Flügel...