Frauenhäuser in Brandenburg: Für die Frauen da sein
Generationswechsel in vielen Brandenburger Frauenhäusern: Mitarbeiterinnen der ersten Stunde hören auf. Nicht überall finden sich Nachfolgerinnen.
Catrin Seeger leitet das Beratungs- und Krisenzentrum für Frauen in Rathenow. Wenn das Bereitschaftstelefon klingelt, kann alles passieren. „Manchmal ruft die Polizei an und wir müssen nachts raus, um eine Frau aufzunehmen. Oder wir müssen ins Krankenhaus oder eine Frau irgendwohin begleiten. Da muss man einfach spontan sein“, sagt Seeger. Für den Bereitschaftsdienst bekommt sie kein Geld, nur einen Tag Freizeitausgleich pro Woche Telefondienst.
Das Frauenhaus in Rathenow wurde 1993 eröffnet. Seeger hat es mit aufgebaut, mit drei weiteren Mitstreiterinnen, neben ihrer Arbeit als Erzieherin. „Am Anfang sind wir alle im Helfersyndrom untergegangen“, sagt sie. Und nicht nur ihr Verein in Rathenow. Ähnliche frauenpolitische Vereine entstanden derzeit in vielen Orten, etwa in Eisenhüttenstadt, Frankfurt (Oder), Wittenberge, Fürstenwalde, Brandenburg an der Havel. Die Aktivistinnen, die sich damals zusammenfanden, dachten, dass sie für gewaltbetroffenen Frauen alles regeln könnten.
Dann wurden die Vereine professioneller und setzten auf Hilfe zur Selbsthilfe. Sie selbst erhielten Unterstützung vom Land, das in den 1990er Jahren eine Fortbildung für Frauenhausmitarbeiterinnen finanzierte, in der viele der Vereinsgründerinnen ein Zertifikat zur Diplomsozialarbeiterin erwarben und etwa Gesprächsführung und Supervision lernten. „Die Fortbildung war eine tolle Zeit“, erinnert sich Seeger. „Wir kamen ja alle querbeet aus unterschiedlichen Berufen, aber hatten alle ein Ziel.“
„Mich hat die Aufgabe gepackt“
Aus der Fortbildung ist im März 1995 das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser (NBF) hervorgegangen. Seeger selbst war eigentlich Erzieherin, gab den Job aber für den Verein auf. Sie war nicht die Einzige, die sich von der Aufbruchstimmung damals anstecken ließ.
Irmtraud Paschke, die sich im Verein für ein Frauenhaus in Eisenhüttenstadt engagierte, kündigte ihre Stelle als Unterstufenlehrerin, um als ABM-Kraft im neu gegründeten Frauenhaus anzufangen. „Das Finanzielle war mir damals nicht so wichtig“, sagt Paschke. „Mich hat die Aufgabe gepackt. Ich hatte früh drei Kinder bekommen und das Gefühl, sowohl in meinem Beruf als Lehrerin als auch zu Hause die ganze Zeit nur Hausaufgaben zu kontrollieren“, sagt sie. „Ich wollte etwas anderes, und was ich über Frauenhäuser gelesen habe, hat mich sehr bewegt.“
Zur Professionalisierung habe auch der Kontakt zu Frauenhäusern in Westberlin und Westdeutschland beigetragen. „War waren dort auf Tagungen, aber wir hatten es dort auch nicht leicht, denn unsere Vereine und Frauenhäuser hatten ja eine ganz andere Entstehungsgeschichte, vieles war nicht vergleichbar“, sagt Seeger.
Zum Beispiel hätten sie in Brandenburg von Anfang an mit der Verwaltung in den Kommunen und mit den Ministerien geredet. Das kam bei den Frauenhäusern im Westen nicht so gut an. Auch dass sie mit Jungen gearbeitet hätten, sei oft auf Unverständnis gestoßen. „Dort sah man in den Jungen schon die Täter von morgen“, erinnert sich Seeger. „Die Häuser dort hatten meist auch eine Quote für lesbische Mitarbeiterinnen. Uns gaben sie das Gefühl: Ihr lebt in Hetero-Beziehungen und als verheiratete Frauen könnt ihr gar nicht frauenparteilich arbeiten“, sagt sie. „Das war die Haltung, mit der sie uns im Westen begegnet sind, und das hat mir damals sehr wehgetan.“
In Brandenburg saß der Widerstand anfangs teils in den Stadtverordnetenversammlungen, dort galten wir als Emanzen und Männerhasserinnen und mussten immer wieder begründen, warum wir Frauenhäuser brauchen“, sagt Paschke. „Oft hieß es einfach: Die hatten wir doch vorher auch nicht!“
Keine Frauenhäuser in der DDR
Denn in der DDR hatte es keine Frauenhäuser gegeben. Das Problem allerdings schon, sagt Seeger. „Ich bin auch so ein Kind: mein Vater hat meine Mama verprügelt.“ Jahrelang habe er die Mutter misshandelt. „Bei ihr habe ich es ja gesehen: Es gab nichts, wo sie hätte hingehen können.“
Die Frauenvereine bekamen aber nicht nur Gegenwind. Die Stadt Rathenow etwa wollte unbedingt ein Frauenhaus und übergab Seegers Verein 1992 eine ehemalige Kinderkrippe erst zur kostenfreien Nutzung, später mit Erbbaupachtvertrag. „Privat wollte ich nie ein Haus haben – und nun hatten wir auf einmal eins, Baujahr 1903, mit Garten bis ans Wasser, das wir dann auch noch umbauen mussten“, sagt Seeger. „Plötzlich mussten wir uns mit einer Sickergrube auseinandersetzen. Ständig stand das Wasser in der Küche.“
Trotz eigener Häuser und trotz der wachsenden Anerkennung ist die Finanzierung ihrer Arbeit bis heute wacklig. „Über die Jahre haben wir den zweiten Arbeitsmarkt regelrecht abgegrast, wir hatten alles, auch 1-Euro-Jobs“, sagt Seeger, die wie Irmtraud Paschke zunächst selbst auf einer ABM-Stelle arbeitete. Planungssicherheit gab es nie, die meisten Mitarbeiterinnen bekommen nur Einjahresverträge. Und im Laufe der Zeit kamen zu den Schutzwohnungen immer mehr Arbeitsbereiche hinzu: ambulante Beratung, die Interventionsstelle mit proaktiver Beratung, Migrationssozialarbeit und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir haben immer mehr gemacht, aber nie mehr bekommen“, sagt Seeger.
Freiwillige Leistungen
Frauenhäuser werden pro Landkreis oder kreisfreier Stadt mit einem Sockelbeitrag zu 60 Prozent vom Land Brandenburg unterstützt, wenn die Kommunen 40 Prozent beisteuern – doch das ist eine freiwillige Leistung. Dazu kommen teilweise noch Tagessätze und Spenden. Die Frauenhäuser fordern deshalb ein Frauenhausfinanzierungsgesetz, das sie zu einer verpflichtenden Leistung machen würde.
In Brandenburg gibt es 22 Frauenhäuser und Notschutzwohnungen, zehn davon in autonomer Trägerschaft, die anderen werden von Trägern wie DAK oder AWO betrieben. Brandenburg verfügt somit über 118 Zimmer und rund 270 Plätze für Frauen und ihre Kinder. Die Häuser sind im Netzwerk der Brandenburgischen Frauenhäuser (NBF) organisiert, der Verein feierte im März 25-jähriges Bestehen.
Wie lange die Frauen in den Frauenhäusern bleiben, lässt sich pauschal nicht sagen: in akuten Notsituationen oft nur ein paar Tage, üblicherweise aber ein paar Monate – jedoch meist weniger als ein Jahr. Allerdings beobachtet das Netzwerk die Tendenz, dass die Zeiträume länger werden, weil die Frauen zum Beispiel im Speckgürtel von Berlin schwer eine neue Wohnung finden. (usch)
Sie befürchten gerade jetzt, dass die freiwilligen Leistungen als Erstes wegfallen, wenn in den Kommunen wegen der Coronakrise die Finanzen knapper werden. Außerdem führt diese Förderlogik dazu, dass eigentlich nur ein Haus pro Kreis die volle Summe bekommt, in den Kreisen Oder-Spree oder Teltow-Fläming mit je zwei Häusern müssen diese sich das Geld aufteilen.
Brandenburgs Gesundheits- und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hofft, dass die Frauenhäuser unbeschadet durch die Krise kommen, und will sich weiter für ihren Erhalt einsetzen. Für 2021 wird sie eine Frauenhausförderrichtlinie erlassen, die besser auf regionale Bedarfe eingehen soll. Auch ein Frauenhausfinanzierungsgesetz befürwortet Nonnemacher, sieht hier aber den Bund in der Pflicht.
„Wir haben die Förderung der Frauenhäuser im Koalitionsvertrag festgeschrieben, perspektivisch wollen wir die Platzangaben der Istanbul-Konvention erfüllen“, sagt die Ministerin gegenüber der taz. Um dies zu erreichen, müsste allerdings nach Angaben des Netzwerks die Zahl der Zimmer verdoppelt werden. Seit 2019 ermöglicht das Land den Häusern außerdem, eine Erzieherin einzustellen, die mit den Kindern arbeiten. „Dies ist wichtig, um die neue Generation zu schützen“, sagt Nonnemacher.
Wohlfahrtsverbände kommen ins Spiel
Inzwischen haben viele Frauenhausmitarbeiterinnen der ersten Stunde in Brandenburg das Rentnerinnenalter erreicht. Und damit bröckelt auch teilweise die Struktur der Frauenhäuser im Land – und der Leitgedanke der Eigenverantwortung: Waren anfangs noch mehr als die Hälfte von Vereinen wie „Frauen helfen Frauen“, oder „Frauenstammtisch Ludwigsfelde“ getragen, sind inzwischen nur noch 10 der insgesamt 22 Frauenhäuser in autonomer Trägerschaft.
Laut Istanbul-Konvention sollte pro 10.000 Einwohner*innen ein Familienzimmer in einer Schutzeinrichtung zur Verfügung stehen. Demnach bräuchte es brandenburgweit doppelt so viele Zimmer wie derzeit verfügbar, denn laut Netzwerk gibt es ein Familienzimmer pro 20.000 Einwohner*innen.
Mit der 2014 verabschiedeten Istanbul-Konvention verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen und zu verhüten. Dazu gehören auch verbesserte Hilfsangebote, Beratung und Zugang zu Frauenhäusern. Deutschland hat den Vertrag 2017 ratifiziert. Die Landesregierung Brandenburg hat sich im Koalitionsvertrag 2019 verpflichtet, die Konvention umzusetzen. (usch)
Nicht überall konnten Nachfolgerinnen gefunden werden, nicht überall wird die Arbeit der in den 1990ern gegründeten Vereine weitergeführt. Das Haus in Frankfurt (Oder), das anfangs vielen als Vorbild galt, war zwischendurch ein Jahr ganz geschlossen und wurde 2019 von den Johannitern übernommen.
Die Frauennotwohnung in Spremberg wird von der Volkssolidarität weitergeführt, der dahinterstehende Verein löst sich auf. Zuletzt ist das Frauenhaus in Luckenwalde und Ludwigsfelde an einen Bildungsträger aus Strausberg übergegangen. „Das tut uns von den autonomen Vereinen, die wir einen anderen Anspruch haben, schon weh“, sagt Seeger.
Die Vereine haben ihre Arbeit immer als dezidiert feministisch verstanden und immer Partei für die Frauen ergriffen. Dies könnte sich aufweichen, wenn mehr Wohlfahrtsverbände ins Spiel kommen, fürchtet sie. „Es war anfangs schon ein Kampf, ob wir auch andere Träger ins Netzwerk aufnehmen. Denn damit haben wir ja eventuell männliche Geschäftsführer mit drin, die in unseren Belangen mitmischen.“
Sie macht weiter
In Rathenow haben sie lange nach einer neuen Mitarbeiterin gesucht. „Wir hatten eine Bewerberin, aber sie war alleinerziehend mit einer vierjährigen Tochter. Das geht dann nicht mit dem Bereitschaftstelefon, sie kann die Tochter ja nachts nicht allein lassen, falls sie losmuss“, sagt Seeger. Auch sonst könnten sie keine Kernarbeitszeiten anbieten. „Es findet sich oft niemand, der zu diesen Bedingungen arbeiten möchte oder arbeiten kann“, sagt sie. Erschwerend komme hinzu, dass zwingend eine Sozialarbeiterin in den Frauenhäusern arbeiten müsse, auch wenn sie inzwischen Erzieherinnen für die Kinder einstellen könnten. „Wir merken, dass überall pädagogisches Personal gesucht wird“, sagt Seeger.
Irmtraud Paschke aus Eisenhüttenstadt wollte eigentlich schon mit 65 Jahren aufhören – das war 2014. Doch da sich keine Sozialarbeiterin als Nachfolgerin fand, machte sie weiter, inzwischen ist sie 70 Jahre alt. Das ganze letzte Jahr suchten sie über Anzeigen vergebens, ein Aushang an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) brachte im Dezember schließlich eine Bewerbung ein: Eine junge Studentin aus Aserbaidschan stellte sich vor. Bis April dauerte es noch, bis sie alle nötigen Papiere beisammenhatte.
Paschke ist erleichtert und freut sich über die Kollegin, die neben ihrer Muttersprache auch Deutsch, Russisch, Englisch und Türkisch spricht und internationale soziale Arbeit studiert hat. Gute Voraussetzungen, denn inzwischen kommen auch viele Frauen, die nicht Deutsch sprechen, bei den Frauenhäusern und in der Beratung an. „Wenn wir niemanden gefunden hätten, hätten wir aufhören müssen“, sagt Paschke.
Catrin Seeger ist 60 Jahre alt. „Ich werde es bis zum Ende machen, das wäre im November 2025. Und dann müsste ich wohl aus Rathenow wegziehen, um loslassen zu können“, sagt sie.
Bis dahin hat sie weiter Pläne. „Ich möchte ein neues, barrierefreies Haus, und ich möchte, dass alles gut vorbereitet ist für die Nachfolge, damit sie mehr inhaltlich arbeiten können als wir“, sagt Seeger. Das sei ihr Ziel von Anfang an gewesen. „Wir wollten für die Frauen da sein. Aber wir machen alle Verwaltung, Abrechnungen, Reparaturen und Lobbyarbeit, wir müssen bei den Kommunen Gelder einwerben und Glühbirnen austauschen und nebenbei einer gerade angekommenen Frau den Gewaltkreislauf erklären. Das kann es nicht sein“, sagt Seeger. „Mein Job ist, für die Frauen da zu sein, und alle zusätzliche Kraft sollte ich in Präventionsarbeit stecken.“ Uta Schleiermacher
Protokoll Eins: „Viele warten und zögern lange“
Christel Mück-Hannemann (68) hat das Frauenhaus in Brandenburg an der Havel mit aufgebaut und geht in Ruhestand
Mit der Wende habe ich mit der Frauenarbeit angefangen. Ich habe damals im Stahlwerk in Brandenburg an der Havel gearbeitet. Wir haben gesehen, dass Frauen schnell entlassen worden sind, und mit Gleichgesinnten haben wir einen unabhängigen Frauenverband gegründet, um uns politisch für Frauen stark zu machen, für arbeitssuchende und gewaltbetroffene Frauen. Aber uns hat politisch die Kraft gefehlt, alle Themen anzugehen, und so haben wir uns auf die Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen konzentriert.
In der DDR gab es ja keine Frauenhäuser. Ich habe den Eindruck, dass die soziale Kontrolle höher war. Frauen hatten die Möglichkeit, sich der Gewerkschaft oder einer Vertrauensfrau im Betrieb anzuvertrauen. Es gab dann wohl Rügen oder Strafen für die Männer. Aber oft gab es nicht ausreichend Wohnungen, sodass Frauen auch nach einer Scheidung weiter mit dem Mann unter einem Dach leben mussten. Ich habe nach der Wende Fälle erlebt, wo arbeitslos gewordene Männer alles daran gesetzt haben, dass auch die Frau ihren Job verliert, weil es sie in ihrer Ehre gekränkt hat.
Mit unserem Verein haben wir beim Ministerium offene Türen eingerannt und haben 100.000 DM bekommen – das waren Summen, die wir zunächst gar nicht greifen konnten. Gerade in der Anfangszeit war die gegenseitige Unterstützung groß, die Maler-Azubis haben bei uns renoviert, andere haben Möbel transportiert, die wir brauchten.
Die Beratung kam für uns erst später dazu, weil wir die Frauen, die nicht gleich zu uns ziehen konnten oder wollten, nicht im Regen stehenlassen wollten. Wichtig ist eine Beratung rund um die Uhr, denn die Frauen können nicht erst auf einen Termin warten und können auch nicht zu jeder Zeit. Sie brauchen jemanden, wenn sie den Mut finden oder eine kurze Zeit Freiheit haben.
Viele warten und zögern lange. Frauen blenden oft die Gefahr aus, wie weit Männer gehen können, ich habe oft gehört: „Er droht ja nur.“ Deshalb raten wir auch dazu, die letzte Aussprache auf keinen Fall in den eigenen vier Wänden zuzulassen, sondern nur da, wo die Frauen auch Hilfe erwarten können. Viele Frauen sind auch psychisch instabil oder entwickeln eine Sucht, und das kann ihnen zum Verhängnis werden, weil der Mann dann vor Gericht das gegen sie verwenden kann. Wir merken, wie wichtig es ist, dass wir sie auch zu Behörden begleiten, denn wir achten darauf, dass sie dort auch alles erzählen, was wichtig ist.
Wir hatten hier schon Frauen in drei Generationen im Haus, die waren im Strudel drin. Da haben die Töchter schon als Kinder die Gewalt kennengelernt und später selbst solche Beziehungen geführt.
Die Gesetze zum Schutz von Frauen setzen sich nicht von selbst um: Wir haben uns mit Richter*innen, Rechtspfleger*innen und Polizist*innen an einen Tisch gesetzt und es hat etwa beim Gewaltschutzgesetz ein Jahr gedauert, bis wir mit der Umsetzung zufrieden waren. Auch haben wir gelernt, dass wir nicht alles erfüllen müssen. Bei begleitetem Umgang gehen wir inzwischen nicht mehr mit, die Männer haben uns sowieso nur beäugt und verdächtigt, die Frauen gegen sie aufzuhetzen. Das ist Sache des Jugendamts, wir lassen uns da nicht mehr reinschicken.
Seit einem halben Jahr habe ich keine Bereitschaft mehr. Da habe ich erst gemerkt, was das für eine Last war. Ich merke auch einen Generationswechsel bei unseren Ansprechpartner*innen. Die, die ich kannte, hören auch langsam auf; ich bin froh, dass ich kein neues Netzwerk aufbauen muss.
Meine Nachfolgerin ist engagiert, sie wird die Kontakte weiterführen. Sie wird sicher andere Wege gehen, und sie hat auch schon gemerkt, wie schwierig einiges ist, aber sie ist frauenrelevant eingestellt und erfüllt alle Wünsche, die ich an eine Nachfolgerin hätte haben können. Protokoll: Uta Schleiermacher
Protokoll Zwei: „Prävention geht im Haushalt los“
Sozialarbeiterin Juliane Moosdorf (38) arbeitet seit Februar im Frauenhaus in Brandenburg – und übernimmt den Staffelstab von Christel Mück-Hannemann
Die Arbeit mit Frauen und Mädchen fand ich schon im Studium spannend, ich hatte engagierte Professor*innen und Mentor*innen und mich viel mit Sexualpädagogik beschäftigt. Bevor ich ins Frauenhaus gekommen bin, habe ich Mädchensozialarbeit und Mädchenarbeit in der Stadt gemacht.
Für mich geht Prävention gegen Gewalt gegen Frauen mit gemeinsamem Wäschewaschen los, bei der Aufgabenverteilung im Haushalt. Ich finde es wichtig, dass die Sorgelast gleichmäßig zwischen Männern und Frauen verteilt ist. Geschlechtergerechte Pädagogik ist die Vorstufe.
Vieles im sozialen Bereich funktioniert gut, weil engagierte Menschen bereit sind, zu harten Bedingungen zu arbeiten. Das ist eine Stütze, auf der sich die Gesellschaft ausruhen kann. Ich finde, es müsste mehr Unterstützung in diesen Bereichen geben.
Ich möchte gute Arbeit leisten, aber nicht auf mein Familien- und Privatleben verzichten. Wenn ich das Bereitschaftstelefon habe, habe ich keine Freizeit. Natürlich ist das eine Belastung. Ich muss bei allem, was ich mache, überlegen, ob ich schnell wegkomme. Wenn ich zum Beispiel zu einem Geburtstag eingeladen bin, muss ich überlegen, ob es nicht zu weit weg ist – und ich könnte kein Bier trinken. Denn das Telefon kann jederzeit klingeln und ich weiß nie, was mich erwartet.
Die Arbeit ist vielfältiger, als ich gedacht habe. Die Geschichten sind immer anders, und es ist auch viel Beziehungsarbeit. Klar kann das auch traurig sein, aber wir sind ein gutes Team und fangen uns gegenseitig auf.
Viele Frauen, die Gewalt erleben, neigen dazu, das herunterzuspielen. Sie denken, mir ist ja gar nichts Schlimmes passiert, sie denken, sie schaffen das schon und dass ihnen keine Hilfe zusteht. Selten ist es ja auch so, dass gleich geprügelt wird, das hat oft eine Vorgeschichte. Durch die Beratungsarbeit wird ihnen dann oft das Ausmaß ihrer Erfahrung bewusst; das geht auch telefonisch.
Mir ist es wichtig, frauenpolitische Themen anzugehen und mich zu positionieren. Sozialarbeit ist immer auch Lobbyarbeit für diejenigen, die keine Lobby haben. Da versuche ich die Stimmen der Frauen zu bündeln um auf Missstände hinzuweisen. Protokoll: Uta Schleiermacher
Protokoll Drei: „Das Fenster zur Flucht“
Neun Monate fand diese Frau in einem Brandenburger Frauenhaus Zuflucht. Sie möchte daher Namen und Alter nicht öffentlich machen
Das Frauenhaus war für mich der einzig mögliche sichere Ort. Ich hätte auch zu Freunden oder zu meinen Eltern gehen können, aber die Adressen wären dem Peiniger bekannt gewesen. Einige haben ihr Angebot dann auch tatsächlich zurückgezogen, weil es ihnen zu gefährlich schien. Ich bin froh, dass ich sie außen vor lassen konnte.
Ich habe das Frauenhaus auch als einen guten Ort für Kinder erlebt. Und ich habe hier Unterstützung bekommen in gerichtlichen Dingen, bei der Auskunftssperre oder das Umgangsrecht mit den Kindern.
Erst im Frauenhaus konnte ich mich richtig beraten lassen. Vorher wäre das wegen der umfassenden Kontrolle des Ex-Mannes nicht möglich gewesen.
Irgendwann öffnet sich das Fenster zur Flucht. Und es ist unglaublich wichtig, dass die Tür zum Frauenhaus dann auch offen ist. Protokoll: Uta Schleiermacher
Alle Texte stammen aus der Wochenendausgabe der taz berlin vom 2./3. Mai 2020.
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