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Spätere Erinnerung an die CoronazeitDas Virus museal gesehen

Was werden die Bilder, was die Schicksale sein, die später für die Zeit der Kontaktsperre stehen? Rundgang in einem imaginären Museum.

Eine Skulptur am Spreeufer in Berlin hat für das Foto einen Mundschutz bekommen Foto: imago-images/Emanuele Contini

I rgendjemand hat auf Instagram das Cover des King-Crimson-Albums „In the Court of the Crimson King“ mit einem Mundschutz verziert, was ich vor allem farblich unpassend finde: Auf dem Cover dieses Debüts prangt das gemalte Bild eines verzerrten Gesichts, die Augen sind schreckgeweitet, der Mund ist im stummen Schrei geöffnet. Vorherrschend sind Rottöne und ein paar schattenhafte Blaunuancen. Der türkisfarbene Mundschutz auf dem Insta-Bild beißt sich also scheußlich mit der Fratze. Auch wenn der Impuls richtig ist: Der gequälte Mann schleudert garantiert gerade ein paar Tröpfchen heraus.

Ich frage mich eh, wie andere Menschen das mit der Color-Abstimmung machen. Nachdem ich vorgestern meine erste Maske (aus einem Stoffrest in goldgrünem 60er-Jahre-Muster) handgenäht habe, brauche ich noch ungefähr 7.452 weitere, passend zu den restlichen Outfits. In meinem Nähtempo ist die Seuche längst vorbei, bis ich fertig bin. Doch das macht nichts, man kann später einen Quilt aus den Stoffresten basteln, der einen an diese Zeit erinnert.

Überhaupt denke ich momentan viel darüber nach, was später, in 10, 50, vielleicht 100 Jahren, im Berliner Coronamuseum ausgestellt wird. Dass mindestens eine große Vitrine voller „Selbst genähter Atemschutzmasken“ (plus meinem Quilt) dabei ist, versteht sich von selbst. Dazu Fotos vom menschenleeren Ku’damm, den verwaisten Flugplätzen, geschlossenen Restaurants und Kneipen, Särgen und von trotzigen Picknicker*innen mit bunten Masken im Park, die gerade von Polizist*innen kontrolliert werden.

Zudem jede Menge Bildschirmsnapshots und Papierdokumente – von der Warteliste für die IBB-Coronazuschuss-Anträge bis hin zur Insolvenz-Anmeldung. Mindestens ein eigener, kleiner Raum wird dem Thema „Umgang mit Toilettenpapier“ gewidmet, inklusive soziologischer, psychologischer und historischer Deutungsansätze und technischer Folgen für die sechs Berliner Klärwerke, die momentan ständig Zeitungspapier, zerrissene T-Shirts und anderen Quatsch aus dem Mist fischen müssen.

Fotografin wird zur Erntehelferin

Und ich gehe davon aus, dass jemand die Bauarbeiten für die Coronaklinik in der Halle 26 des Messegeländes mit einer feststehenden Kamera beobachtet, sodass der Zeitrafferfilm später ebenfalls gezeigt werden kann.

In einem Themenraum namens „Berliner Schicksale“ könnten stellvertretend für unterschiedliche Berufszweige Berliner*innen vorgestellt werden: eine freie Fotografin, die auf Erntehelferin umsatteln musste; eine Start-up-Gründerin, die ihre praktische Corona-Kontakt-App zur Krisengewinnlerin machte; ein Beamter oder Festangestellter, dem seine finanzielle Sorgenfreiheit ermöglichte, sich zu engagieren. Definitiv auch jemanden, der Mitte März nach zehn Jahren aus der JVA Moabit entlassen wurde, der Arme. Mir ist noch nicht ganz klar, ob das eine Dauer- oder Sonderausstellung wird – vielleicht hängt das vom Verlauf ab.

Die Sonderausstellung „Pest!“ im LWL-Muesum für Archäologie in Herne, zu der wirklich interessante Rahmenveranstaltungen wie der „Familiensonntag: Gib der Pest den Rest!“ und eine Lesung aus dem „Decameron“ geplant waren, ist übrigens momentan geschlossen, klar. Offiziell ginge sie noch bis zum 10. Mai.

Ich habe vor, sie mir gegebenenfalls unbedingt noch anzuschauen, und zwar erstens aus Solidarität mit den Ausstellungsmacher*innen, die ja auch nichts für ihr unheimliches Timing können. Und zweitens als Inspirationsquelle.

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