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Zerreißprobe für den Kiez

Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote stellen in der südlichen Friedrichstadt das Leben auf den Kopf

Alles was Stabilität geben könnte, ist nicht mehr da. Zuhause ist kein Platz, draußen sollen sie nicht mehr sein

Von Raoul Spada

Es sind Fotos, die stolze Gesichter um den Mehringplatz und das Hallesche Tor zeigen: auf dem Fußballplatz am Theodor-Wolff-Park, vor abgelegenen Treppen, in den Hinterhöfen der Hochhäuser in der Lindenstraße oder beim Jugendzentrum KMAntenne am südlichen Ende der Friedrichstraße. Der alles überblickende bunte Elefant auf einer Häuserwand steht in den Worten einer Porträtierten für das Durcheinander von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die hier im Quartier normalerweise spielen, reden und trainieren – fast jeden Tag gemeinsam draußen, im Sommer bis spät in die Nacht.

Für ein gemeinsames Projekt der Parkakademie, der Kreuzberger Musikalischen Aktion und Outreach Berlin haben sich insgesamt dreizehn junge Erwachsene von Fotograf Christian Muhrbeck vor Orten, die ihnen hier wichtig sind, fotografieren lassen. Die Bilder und auch die Erklärungen der Porträtierten zeigen einen eindringlichen, nachfühlbaren Blick auf den Kiez in der südlichen Berliner Friedrichstadt.

Maria Muñoz-Duyos und Nadia Zimmer von der Parkakademie haben das Projekt angezettelt und als Veranstaltung für das taz lab ins Gespräch gebracht. 2021 werden dort alle Beteiligten an einem Küchentisch zusammenkommen. Neben den Porträtierten, die im Mittelpunkt stehen, gehören dazu auch Željko Ristić, Sozialarbeiter bei Outreach, Manal Sode und Ilham Abou Dabous von der KMA.

Kein öffentlicher Raum

Rumsitzen im Hasenpark und beim Steinplatz, Pfeife rauchen, ein Eis essen, Fußball spielen, gemeinsam auf dem Boden liegend die Sterne beobachten, Musik machen, Zuflucht suchen, Körner essen, quatschen über Sorgen, Wünsche und Probleme – besondere Erinnerungen zu besonderen Orten, immer verbunden mit einem bleibenden Gefühl des Zusammenhalts. Doch Baustellen und steigende Mieten machen es ihnen schwer: „Langsam, langsam fühlt man sich nicht mehr wohl“, sagt eine Porträtierte, „überall bebaut hier.“ Kein öffentlicher Raum für sie.

Eine Pandemie stand aber noch nicht auf der Liste der Probleme: Das Jugendzentrum ist geschlossen, der Sportplatz ist mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Zu der gentrifizierungsbedingten Zerreißprobe für den Kiez gesellen sich heute Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote. Alles was Stabilität geben könnte, ist nicht mehr da. Job und Ausbildung fallen weg, zu Hause ist kein Platz, draußen sollen sie jetzt nicht mehr sein.

Im nächsten Jahr werden die Fotografierten mit neuen, einschneidenden Erfahrungen zusammenkommen – das durch das Coronavirus gezeichnete Frühjahr wird nur eine davon sein. Für viele steht die erste eigene Wohnung an, falls genug Geld da ist. Einiges wird sich verändern. Wahrscheinlich wird keine Veranstaltung durch die Verschiebung so viel dazugewinnen wie diese: Im Rückblick werden die Fotos in den Augen der jungen Erwachsenen anders aussehen. Und der taz bleibt mehr Zeit, Berührungspunkte zum Leben und Wohnen im Quartier zu finden.

Denn aus den Planungen der gemeinsamen Ausstellung und Diskussion auf dem taz lab ist ein quirliges und – auf beste Weise – irritierendes Miteinander auf der Suche nach einer gemeinsamen Wirklichkeit zwischen taz und Nachbarschaft geworden. Auf den ersten Blick scheint das Ziel weit weg, zum Scheitern verurteilt. Von der Rudi-Dutschke-Straße ist die taz keine 500 Meter in eine andere Welt gezogen; so schnelllebig wie der tägliche Betrieb ist, scheinen die zwei Jahre bereits eine Ewigkeit her. Nach Maßstab der Anwohner:innen kam die taz vor kürzester Zeit von ganz woanders – und sie muss zeigen, dass sie hier richtig ist.

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