Folgen durch Corona für Selbstständige: Kreative Lösungen gefragt
Die Corona-Krise bedroht die Existenz vieler Selbständiger. Sie hoffen auf schnelle Unterstützung. Am Donnerstag sollen Maßnahmen verkündet werden.
Verbände fordern deswegen schnelle unbürokratische Hilfe. „Die Leute verzweifeln gerade. Haben existenzielle Angst“, sagt Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD). Das Problem: „Die Schwarze-Peter-Karte wird jetzt weitergeschoben. Und landet dann häufig bei Selbständigen.“ Am Mittwoch trafen sich am späten Nachmittag die Bundesminister Scholz, Altmaier und Heil mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Auch dabei: Lutz. Er freue sich, dass die Regierung sie nun einbinde. Donnerstag wollen die Minister verkünden, welche Hilfen beschlossen wurden.
Während das Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmende schnell geregelt worden wäre, „haben wir nicht so eine starke Lobby“, beklagt Lutz. Viele bisherigen Maßnahmen seien auf Unternehmen, nicht aber auf Selbständige zugeschnitten. Altmaier und Scholz gaben bereits Freitag bekannt, dass Steuervorauszahlungen gekürzt werden und KfW-Kredite bereitstünden. Die Liquiditätshilfen kämen jedoch oft nicht an bei Selbständigen und es brauche einen Nothilfefonds, sagte Heil am Mittwoch im „Morgenmagazin“: „Ich werde dafür sorgen, dass die, die jetzt existenziell gefährdet sind, einfacher auch soziale Sicherungsnetze in Anspruch nehmen können. Auch Kleinstselbständige werden dann unbürokratisch Leistungen aus der Grundsicherung bekommen, um ihre Existenz zu sichern.“
Selbständige haben es besonders schwer, da sie meist keinen Zugang zur Arbeitslosenversicherung haben, erklärt Lutz. Auch „die Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeträge sind für Selbständige überproportional hoch“. Zu den Kosten für den Lebensunterhalt kämen oft hohe laufende Kosten für Laden- oder Büromiete und Versicherungen. Außerdem: „Wenn Unternehmen sparen wollen, dann oft als Erstes bei den Selbständigen. Die Verträge sind leichter kündbar.“
Ausfallhonorare? Von wegen!
Das merkt auch die Performerin Birte Schmidt. Bei der 30-Jährigen brechen bis Ende April zwei regelmäßige Kurse, Workshops und eine Performance weg. Auch zwei große Ferienprojekte, die „zwei Monate finanziert hätten.“ Die waren fest eingeplant, um dann auch mal Urlaub machen zu können. Ihre Einbußen bis Ende April: 3.000 Euro. „Aber meine Miete, Versicherung und Miete für ein Studio laufen ja weiter“, erzählt sie der taz. Ausfallhonorare seien ganz und gar nicht üblich: „Ich habe das nur ein einziges Mal durchgeboxt bekommen.“
Ähnlich ergeht es einer 29-Jährigen Museumspädagogin, Guide und Ausstellungsgestalterin. Ausfallhonorare bekomme sie nicht. Auch sie möchte ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Sie machte sich vor eineinhalb Jahren selbständig. „Das funktionierte gut. Ich hatte immer Aufträge“, sagt sie am Hörer. Doch jetzt falle vieles weg: öffentliche und private Führungen sowie Workshops für Schulklassen und Erwachsene. Die jetzige Situation fühle sich „surreal an. Einfach absurd.“
Die Auswirkungen des Coronavirus spürten die Selbständigen etappenweise, beschreibt Lutz vom VGSD. Zuerst wurden Veranstaltungen abgesagt. Dann schlossen Kitas und Schulen. Als Drittes traf es das lokale Business und Museen. Schließlich dann die Kaufzurückhaltung. Auch bei Unternehmen.
Betroffen ist auch Sabine Jürß. Als Agraringenieurin ist sie in der Landwirtschaft selbständig: Die 61-Jährige hat 80 Ziegen und stellt Bio-Rohmilchkäse her. Dreimal die Woche verkauft sie ihn in Münster auf dem Markt. Als Grundversorgerin kann sie das trotz Corona. „Aber ich habe große Einbußen“, berichtet sie am Telefon. „Ein Drittel der Kunden kommt nicht mehr.“ Außerdem kann sie den Käse nun nicht mehr an Gastronomie und Weiterverkäufer geben. Auch der Verkauf der Lämmer an ein Bio-Hotel falle weg. Dabei sei besonders die Zeit vor Ostern bis Sommer wichtig: Zehn Monate geben die Ziegen Milch, zwei Monate nicht, erklärt sie. „Frühjahr, Ostern läuft immer bombig. Da kann man die finanziellen Löcher vom Winter wieder stopfen. Ich weiß noch nicht, wie ich das jetzt ausgleichen kann.“ Die Auswirkungen von Corona „sind für mich wirklich existenzbedrohend. Nach dem Winter habe ich keine Rücklagen mehr.“
Absagen protokollieren
Allen Selbständigen rät Lutz vom VGSD: Finanzamt, Krankenkasse, Bank, Steuerberater*in und Vermieter*in anrufen und die Situation beschreiben. Außerdem die Absagen sammeln und protokollieren. Als Sofort-Maßnahmen schlägt er vor: unbürokratische Kreditvergabe, Steuervorauszahlungen und Krankenversicherungsbeiträge aussetzen. Außerdem sollten Verzugszinsen reduziert und Fristen ausgesetzt werden. Er appelliert auch an den Staat. Wichtig sei für Selbständige nun Liquidität, um laufende Kosten zu decken. Deswegen begrüße er auch Mikrokredite.
Auch Verdi will Hilfe für Selbständige. „Uns erreichen zahlreiche Hilferufe“, so Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. „Diese Unterstützungsangebote sollten sehr zeitnah und zielgenau greifen und so ausgestaltet werden, dass in Notlagen auch Einzelunternehmer*innen, schnell, leicht und möglichst unbürokratisch an diese Hilfen kommen können.“ Etwa durch erleichterte Mikrokreditvergabe, eine vorübergehende unbürokratische Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und Senkung oder Verzicht auf die für Selbstständige üblichen Einkommenssteuer-Vorauszahlungen.
Die Berliner Museumspädagogin erzählt, sie könne den Wegfall von Führungen und Workshops „noch relativ gut abfangen, da ich nicht nur ein Standbein habe. Die Ausstellungsprojekte laufen weiter, aber verschieben sich nach hinten.“ Auch wenn sich die Projekte verlängern – mehr Geld gibt es nicht. „Habe aber Geld zur Seite gelegt und weiß, dass mich Eltern und Freunde unterstützen könnten“, sagt sie froh. „Aber das will man ja eigentlich nicht.“
Performerin Schmidt kann ihren geschätzten Verdienst für dieses Jahr nach unten korrigieren, sodass sie zumindest den Versicherungsbeitrag reduzieren kann. Momentan überblicke sie nur bis Ende April. „Wenn dann noch mehr Ausfall kommt, brauche ich eine Notfalllösung“, so Schmidt.
Sabine Jürß will den Kopf nicht hängen lassen. „Vielleicht besinnen wir uns wieder auf mehr Solidarität“, hofft sie. Wirksam fände sie eine direkte Liquiditätshilfe, durch das Wegfallen der Beiträge für die Sozialkassen. Die Agraringenieurin kann ihre Einbußen noch nicht genau beziffern. Aber in der Verantwortung sieht sie sich gegenüber den Studierenden, die sie geringfügig beschäftigt: „Ich muss denen jetzt absagen.“ Sie plädiert für eine „schlagartige Grundsicherung für prekär Beschäftigte.“ Denn „ich kann ihnen ein Käsepäckchen geben, aber ihnen nicht mehr die Miete bezahlen.“
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