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Leif Randts Roman „Allegro Pastell“Gedanken im Wellnessbereich

Mit seinem neuen Buch nähert sich Randt den Lebenslügen der jungen Mittelklasse. Und hat damit Chancen auf den Preis der Leipziger Buchmesse.

Leif Randt hat eine „vage Sehnsucht danach, dass etwas passiert“. Foto: Zuzanna Kaluzna/Kiepenheuer & Witsch/dpa

Solange es bei dir immer hoch und runter geht, ist alles in Ordnung. Was sich anhört wie der Kalenderspruch einer Kreativagentur, ist der Lebensrat des HipHop-Künstlers Yung Lean an seine YouTube-Fans. Der Markenkern des 23-jährigen Schweden sind ein schlurfend-träger Gesang, dunkeltrübe Stimmung und Texte aus Wortketten, die Mode, Limonaden, Marken, Gesten, Slang und was sonst noch so im Internet rumschwimmt, referieren. Wenig aufregend, aber der Sound seiner Generation.

Den Spruch von Lean stellt der Autor Leif Randt einem Kapitel seines neuen Romans, „Allegro Pastell“, voran. Anders als das noch kurze Leben des Rappers kennt das Leben von Randts Protagonisten Tanja Arnheim (29) und Jerome Daimler (Mitte 30) keine sehr großen Ausschläge. Während Tanja an ihrem zweiten Roman in Berlin schreibt, entwickelt Jerome Websites im Bungalow seiner Eltern im südhessischen Maintal, einer Stadt, in der es „primär darum ging, nicht gestört zu werden“.

Tanja und Jerome sind beide das, was man landläufig hip nennt, also modisch gekleidet, sportlich, aufgeklärt, sie gehen in Clubs, nehmen hin und wieder Drogen, führen eine Fernbeziehung. Am allerwichtigsten aber ist ihnen, dass sie den „Zustand dauerhaft-stabil lebensbejahender Euphorie“ (Tanja) beziehungsweise den „Zustand distanziert lebensbejahender Zugewandtheit“ (Jerome) erreichen und halten. Ihre Gedanken drehen sich die ganze Zeit um eine „Verbesserung des Lebensgefühls“.

Materielle Sorgen aber haben sie nicht, sie kommen aus wohlhabenden Elternhäusern. Ihre Sorge ist ihr Selbst. Sie betreiben eine intensive Pflege ihres Ich, schicken ihre Gedanken in den Wellnessbereich und legen sie auf die Analytikercouch. Ständig ist es wichtig, sich irgendwo zu Hause oder heimisch zu fühlen, im Lissabonner Restaurant, in der Frankfurter Regionalbahn, vor dem Hotelzimmerfernseher oder in den Badmintonschuhen.

Gutbürgerlich, gutsituiert und gutgelaunt

Tanja und Jerome führen ein Leben im abgesicherten Modus. Sie sind Leute, die auch in dem Film „Call Me by Your Name“, über den sie sich immer streiten, mitspielen könnten. Beide hatten eine glückliche Kindheit in gutbürgerlichen, gutsituierten, gutgelaunten und entspannten Verhältnissen, in denen sie homosexuell sein könnten, mehrsprachig sind und damit beschäftigt, ihre Apri­kosen im Garten zu ernten und daraus Saft zu machen. „Allegro Pastell“ wäre der perfekte Name für eine Pille, die sich alle immer wieder einwerfen, um diesen Glückszustand zu erreichen. Ist er aber nicht. Dieses Milieu ist einfach so.

Leif Randt hat ein extrem starkes Gespür für Sprache und Gemüt dieses Milieus, in dem Hunde Bernie Sanders heißen. Es ist sein dritter Roman, der in diesem Umfeld spielt. Aber der erste, der nicht in einer mittelfernen Zukunft, sondern im Jetzt angesiedelt ist, zwischen Frühjahr 2018 und Sommer 2019. Er liest sich wie ein Sittengemälde der Berliner Republik in ihren letzten Tagen.

Der Überdruss, die Selbstgerechtigkeit, die Leidenschaftslosigkeit und Kampf­unwilligkeit der Protagonisten in diesem Roman lassen sich trotz viel Ironie und Witz nicht wegschmunzeln. Man fürchtet, der einzige Eifer, der sich noch entwickeln könnte, wäre ein Amoklauf, wenn nicht bald mal jemand laut brüllt, auf den Tisch haut und endlich mal kein Verständnis mehr für den anderen aufbringt und Niederlagen nicht als Chance begreift, sondern schlicht stinksauer ist.

Anders als in dem Film „Call Me by Your Name“, in dem immerhin der Gärtner und die Köchin am Rande auftauchen, kommt in der Welt von Tanja und Jerome niemand vor, der nicht so ist wie sie. Und wenn, wie eine Affäre von Tanja, dann verschwindet der auch ziemlich schnell wieder. Oder bleibt unbekannt am Rand, wie die weiblichen Mitarbeiterinnen in Autoverleih Köhler’s Electric Rental.

Auch Politik ist abwesend. Jerome hat zwar Ideen für eine flexibler gestaltete gesellschaftliche Arbeitsverteilung. Ansonsten aber schätzt er es einfach, wenn Menschen Wehmut entwickeln, was er für links hält, weil es ein „Eingeständnis von Schwäche“ sei, während er Nostal­gie politisch rechts einstuft. Tanja möchte sich überhaupt „keiner politischen Richtung verschreiben“, da das „ihre Fähigkeit, ergebnisoffen Geschichte zu schreiben, zwangsläufig ersticken würde“.

Nichts und niemand setzt die beiden unter Druck. Trotzdem fühlen sie sich ständig bedrängt. Beispielsweise Tanja, weil sie nicht weiß, mit welchen Farben, Formen und Gesten sie sich „identifizieren“ kann, um ihre Website zu gestalten. Immerhin kann Jerome da helfen. Er weiß, dass sich die Website „zu gleichen Teilen hermetisch geschlossen und flexibel verspielt anfühlen“ muss.

In der Welt von Tanja und Jerome kommt niemand vor, der nicht so ist wie sie selbst

Immer schön flexibel bleiben, das würden die beiden gern. Müssen sich aber immer wieder eingestehen, dass es eigentlich nicht ihr Ding ist. Ihre „vage Sehnsucht danach, dass etwas passiert, das sich der eigenen Kontrolle entzieht“, wie Tanja es formuliert, entpuppt sich als Selbstlüge. In dem Moment, wo etwas nicht nach Plan läuft, gerät das Selbst sehr schnell ins Wanken.

Sie würden gern „Widersprüche genießen“. Das Problem ist allerdings, dass sie überhaupt erst mal auf Widersprüche stoßen müssen. Und da sie sich aus ihrer Blase keinen Zentimeter rausbewegen, finden sie auch keine. Jerome, so denkt Tanja, ist ein Mann, der im Fitnessstudio positiv auffällt, weil seine Eitelkeit „erfrischend anders gelagert war“. Was sie damit aber eigentlich meint, weiß nicht mal sie. Denn erfrischend anders sind die beiden nicht.

Gewöhnlichkeit auf den Punkt bringen

Jerome bringt ihrer beider Gewöhnlichkeit auf den Punkt: Er mag an Tanja „ihre Bereitschaft, auch gewöhnlichere Gedanken zu teilen“. Die Sätze, die Randt seine Protagonisten sagen lässt, und die Sätze, in denen er ihre Gedankenwelt nacherzählt, sind präzise dem Milieu abgehört. Wir hören sie ständig: im Flugzeug auf einem innereuropäischen Flug, an der Kassenschlange vor den Clubs, in den U-Bahnen, Cafés, auf den Bahnhöfen, auf Twitter und im Fernsehen.

In endloser Ausgedehntheit wird über Banalitäten geredet, was sich anhört wie Persiflagen auf die Unterhaltung rüstiger Rentner im Dauerausflugsmodus: „Der Flug war trotz leichter Verspätung gut gewesen, viel besser als alle Ryanair-Flüge, die Tanja jemals erlebt hatte. Sie hatte beim freundlichen Bordpersonal einen Wrap mit Hähnchen und eine Coke Zero bestellt – beides hatte ihr gut geschmeckt.“

Das Leben dieser beiden ist wie ein Protestantismus ohne Pastor, ein Hedonismus ohne Leidenschaft. Die Clubs und Bars nutzen sie letztlich nicht anders als ihre Fitnesstudios, statt Pilates und Yoga gibt es eben Tanz- und Sexworkouts.

„Stilistisch präzise gearbeitete Texte über ein schwer zu greifendes Lebensgefühl waren für Kinder vollkommen uninteressant. Es würde Jahrzehnte dauern, bis ihre eigenen Nachkommen verstehen könnten, was Tanja beschäftigt hatte, als sie Ende Zwanzig gewesen war“, heißt es an einer Stelle. „Allegro Pastell“ ist genau dieser Versuch und liest sich wie eine Bestätigung all derer, die der selbstbezogenen, weißen, deutschen Mittelschicht vorwerfen, ihre Privilegien nicht zu checken, oder ihr empfehlen, selbiges zu tun.

Das aber dürfte auch die Welt sein, in der die meisten leben, die die Bücher von Randt überhaupt lesen. Und natürlich ist in dieser Welt nicht alles schlecht. Aber es dürfte ungemütlicher werden in ihr. Denn schon in Tanjas zweitem Roman soll es um einen grünen Bundeskanzler gehen, der sich gegen eine faschistische, weiblich angeführte Opposition behaupten muss.

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