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Gewalt in IndienGegen alle Staatsräson

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Modi treibt den Hass auf die muslimische Minderheit an. Die Demokratie Indiens und das Selbstverständnis als säkularer Staat geraten in Gefahr.

Solidarität nach dem Freitagsgebet in Pakistan. Muslim*innen protestieren gegen die Gewalt in Indien Foto: Muhammad Sajjad/ap

E s waren erschreckende Bilder. Zwei Wochen ist es her, dass Hindu­nationalist*innen mit Stöcken und Eisenstangen im Nordosten der indischen Hauptstadt Neu-Delhi durch die Straßen rannten und muslimische Mit­bürger*innen jagten. Männer wurden gezwungen, ihre Genitalien zu entblößen, um zu zeigen, ob sie beschnitten sind. Autos, Häuser und Geschäfte wurden in Brand gesteckt, ebenso eine Moschee.

Videos kursieren, in denen verletzte Männer auf dem Boden liegen und von Polizist*innen gezwungen werden, die Nationalhymne zu singen. Mindestens 45 Menschen starben, über 200 Menschen wurden verletzt. Die Opfer waren vor allem Muslim*innen. Was mit landesweiten Protesten gegen das im Dezember verabschiedete Staatsbürgerschaftsgesetz begann, mündete in blutiger Gewalt. Premierminister Narendra Modi und seine hindunationalistische Partei BJP bereiteten den Nährboden für die Eskalation.

Das fragwürdige Gesetz Citizenship Amendment Act (CAA) erleichtert die Einbürgerung von Menschen aus den Nachbarstaaten Pakistan, Bangladesch und Afghanistan, vorausgesetzt, sie sind keine Muslime. Modis neues Staatsbürgerschaftsgesetz ist nichts anderes als staatlich verordnete Diskriminierung. Zum ersten Mal seit Indiens Unabhängigkeit im Jahr 1947 wird die Staatsbürgerschaft an die Religion gebunden.

Das widerspricht der indischen Verfassung und der Gründungslogik des Landes, das sich bewusst – auch im Gegensatz zu Pakistan – trotz einer Hindumehrheit für eine säkulare Republik entschieden hat. Unity in diversity, also Einheit in Vielfalt, ist ein Satz, der immer wieder für die indische Identität bemüht wurde. Es ist dieser Gedanke, der das Land mit 1,3 Milliarden Menschen in all seinen Widersprüchen zusammenhält.

Staatlich verordnete Diskriminierung per Gesetz

Diesem Selbstverständnis mag es auch zu verdanken sein, dass die Rekrutierungsversuche des „Islamischen Staates“ in Indien weitestgehend gescheitert sind, was insofern erstaunlich ist, als Indien nach Indonesien und Pakistan die drittgrößte muslimische Gemeinschaft der Welt beheimatet.

Dass so viele Menschen in Indien und auch in der indischen Diaspora so heftig gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz protestieren – obwohl es die Rechte indischer Staatsbürger*innen gar nicht betrifft –, ist ein Hoffnungsschimmer inmitten des hindunationalistischen Kurses von Modi. Die Wut der Protestierenden richtet sich aber auch gegen andere politische Schritte der Modi-Regierung:

Bei einem geplanten landesweiten Bürgerregister (NRC) müssten alle Bewohner*innen des Landes durch Dokumente ihre Staatsbürgerschaft nachweisen. Können sie das nicht, würden sie Gefahr laufen, staatenlos zu werden. Auch die Politik in der hart umkämpften Region Kaschmir verdeutlicht den hindunationalistischen und antidemokratischen Kurs der Regierung Modis. Im August 2019 entzog die Regierung dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir seinen teilautonomen Status.

Dieser Status hatte dem mehrheitlich von Muslimen bewohnten Bundesstaat eine eigene Verfassung und weitgehende politische Rechte zugesichert. Um Proteste dagegen zu unterbinden, wurden Tausende Menschen festgenommen, Moscheen geschlossen, das Internet und Telefondienste über Monate blockiert. Bereits vor dem Amtsantritt im Jahr 2014 warnten Kritiker*innen aufgrund von Modis Geschichte, dass die Gewalt gegen Minderheiten im Land unter seiner Regierung zunehmen werde.

In den 70er Jahren war Modi Mitglied in der RSS, einer paramilitärischen Freiwilligenorganisation von Hindunationalisten, die einen reinen Hindustaat anstreben. Modis Partei, die BJP, gilt bis heute als politischer Arm der RSS. Als 2002 im Bundesstaat Gujarat bei einen Brandanschlag auf einen Zug, in dem viele Hindupilger*innen saßen, 59 Menschen starben, jagten in den darauf folgenden Tagen hindunationalistische Mobs Muslim*innen, angestachelt von RSS-Funktionären.

Jasmin Kalarickal

wurde 1984 als Kind indischer Einwanderer in Krefeld geboren. Sie lebt seit 2000 in Berlin. Bis September 2014 war sie Volontärin bei der taz. Heute arbeitet sie als Redakteurin im Ressort taz.eins.

Mindestens 1.000 Menschen, überwiegend Muslime, wurden dabei getötet. In der Verantwortung stand auch Modi, der zu dieser Zeit Regierungschef von Gujarat war. Trotzdem ist es mitnichten so, dass es vor Modis Zeit als Premierminister keine religiös motivierten Konflikte gegeben hätte. Spannungen zwischen den vielen Religionen in Indien sind so alt wie der Staat selbst.

Letztendlich wurde Pakistan überhaupt erst als islamischer Staat gegründet, weil Muslim*innen am Ende der Kolonialzeit fürchteten, in einem Staat mit einer Hindumehrheit keine politische Repräsentanz zu finden. 1947 wurden die zwei souveränen Staaten Indien und Pakistan gegründet. Im Zuge dieser Teilung verließen mehrere Millionen Muslime das heutige Indien und mehrere Millionen Hindus und Sikhs das Staatsgebiet von Pakistan.

Bei diesen gigantischen Fluchtbewegungen in beide Richtungen starben über eine Millionen Menschen. Die Teilung in Indien und Pakistan ist ein gesellschaftliches Trauma, das bis heute nachwirkt. Sie ist die dunkle und blutige Seite der Unabhängigkeit. Auch nach der Staatsgründung kam es immer wieder zu brutalen, religiös motivierten Ausschreitungen.

Modis Partei BJP ist so stark wie nie zuvor

Nach dem Mord an der damaligen Regierungschefin Indira Ghandi, die 1984 von zwei ihrer Sikh-Leibwächter erschossen wurde, begann eine regelrechte Jagd auf die Sikh-Minderheit. 3.000 Sikhs fielen dem fanatisierten Mob zum Opfer. Modis aktuelle Politik berührt eine tiefe Wunde. Sie schürt religiöse Konflikte, destabilisiert damit nicht nur den inneren Frieden in Indien, sondern in ganz Südasien. Trotzdem wurde er im vergangenen Mai erneut gewählt, und die BJP ist so stark wie nie.

Aber auch die Proteste gegen die Regierung bleiben heftig. Dass die Ausschreitungen stattgefunden haben, als US-Präsident Donald Trump zu Besuch war, symbolisiert die globale Dimension dieses Hasses. Die Wegbereiter*innen können Modi, Orban oder Trump heißen.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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5 Kommentare

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  • Das Foto zeigt prominent (mindestens) zwei Sikhs. Die Bildunterschrift ist irritierend...

    • @kar:

      Gut erkannt, aber auch Sikhs können sich mit Muslimen solidarisieren.



      Zumal auf dem Banner auch groß "musalmanon" steht ("den Muslimen"), in Urdu, nicht Panjabi ;).

  • "Videos kursieren, in denen verletzte Männer auf dem Boden liegen und von Polizist*innen gezwungen werden, die Nationalhymne zu singen. Mindestens 45 Menschen starben, über 200 Menschen wurden verletzt. Die Opfer waren vor allem Muslim*innen."

    Am 30. November 2016 fällte der Oberste Gerichtshof Indiens ein Urteil, nach dem in indischen Kinos vor dem Beginn eines Films die Nationalhymne gespielt werden muss. Dies soll von einem Abbild der indischen Flagge auf der Leinwand begleitet sein. Die Zuschauer sind verpflichtet, während der Hymne aufzustehen.

    Ich habe mir den text der indischen nationalhymne angeschaut.er passt nicht zu der säkularen republik die indien seiner verfassung nach ist und auch nicht zu der in einer solchen gebotenen trennung von religion und politik.denn es handelt sich um ein gebet. der inhalt verstösst zwar nicht-wie der inhalt so vieler anderen nationalhymnen gegen das universale moralgesetz :aber weil es sich um ein gebet handelt hätte dieser text der ursprüglich einfach nur ein gebet für indien war nicht zur nationalhymne gemacht werden dürfen.dadurch kommt es nämlich zu einem verstoss gegen die religionsfreiheit die immer auch eine negative bekenntnisfreiheit ist.



    Rabindrahnath Tagore der verfasser des textes hätte das nicht gewollt: und den heutigen missbrauch seines textes durch fundamentalistische nationalist*innen verurteilt:denn er war



    ein humanist universalist und internationalist und hat sowohl religiösen fundamentalismus als auch nationalismus abgelehnt.er war auch gegen die teilung indiens .

    • @satgurupseudologos:

      Im Kino muss die Nationalhymne gespielt werden und alle müssen mitsingen, wie irre.

      Klingt irgendwie nach Mel Brooks.



      Man stelle sich vor danach läuft dann "Spaceballs" oder "Robin Hood – Helden in Strumpfhosen".

      • @el presidente:

        es ist sogar noch übler:Ich habe berichte darüber gelesen dass kinder und jugendliche aus christlichen elternhäusern die sich weigerten die indische nationalhymne mitzusingen deswegen von der schule ausgeschlossen wurden



        der text der indischen nationalhymne ist wie schon gesagt ursprüglich ein frommes seinem inhalt nach überhaupt nicht zu beanstandendes gebet gewesen.



        die christliche religion lehrt dass man für die jeweilige regierung eines landes und dessen wohlergehen beten soll.



        aber diese christen wollen eben als solche nur christliche gebete sprechen und nicht ein gebet dass von einem hindu verfasst worden ist.Da Ich ein bisschen sanskrit gelernt habe und das gebet des dichters Rabindranath Tagore in einer mit dem sanskrit verwandten indischen volkssprache verfasst ist war es mir möglich zu prüfen ob es theologische dogmen des hinduismus enthält.dies ist der fall.und obwohl es monotheistisch ist kann es also von juden christen oder muslimen nicht mitgesprochen werden.und von atheist*innen selbstverständlich auch nicht.



        zum beten darf man niemand zwingen.das ist menschenrechtswidrig daraus entsteht leicht vermeidbarer und völlig unnötiger



        unfrieden. die indische regierungspartei ist auf einem gefährlichen irrweg.der politische gebrauch den sie von einem an und für sich frommen gebet macht verstösst gegen die religionsfreiheit.



        und damit auch gegen die indische verfassung die diese garantiert und die eines säkularen staates ist.



        Indien wird in seiner verfassung,deren präambel sich auf die ideale der französischen revolution bezieht als „souveräne, sozialistische, säkulare, und demokratische Republik“ definiert.



        leider wird es diesem anspruch nicht gerecht:seine dumme und schlechte regierung ist daran schuld dass tag für tag das hinduistische jainistische und buddhistische grundprinzip der ahimsa (gewaltlosigkeit) verletzt wird sie stört den religionsfrieden und missachtet die religionsfreiheit,bricht die verfassung und erfüllt ihre pflichten nicht .