: Wem gehört die „Alternative“?
In der Reihe „Richtige Literatur im Falschen“ diskutieren heute Luise Meier, Norbert Niemann, Enno Stahl und Gerhild Steinbuch im Brecht-Haus über den Begriff „Alternative“. Wir drucken ihre vier Kurzessays zu dem Terminus
Utopische Gesellschaftsentwürfe
Ist die Literatur womöglich per se das Andere? Das, was sich positiv oder negativ absetzt vom Gegebenen? Wäre also Literatur naturgemäß schon eine Alternative – weil sie, wenigstens in sich, zunächst einmal zweckfrei ist, keinem Nützlichkeitsprinzip unterliegend? Wohl eher nicht. Diesen Anspruch muss sie sich erst erarbeiten. Auch Literatur ist (fast immer) geprägt vom Warencharakter, und sei es nur die Ware Aufmerksamkeit.
Das Verhältnis von Literatur und Alternative kann zweierlei Formen annehmen. Zum einen kann Literatur direkt Alternativen gestalten, zum Beispiel utopische Gesellschaftsentwürfe. Zum anderen kann sie selbst – in ihren Inhalten und Formen – eine Alternative darstellen, nämlich zum literarischen (und damit gesellschaftlichen) Mainstream. Ersteres schlägt sich in den klassischen politischen Utopien nieder, Thomas Morus, Tommaso Campanella, Francis Bacon. Ex negativo vermag auch eine literarische Dystopie eine gesellschaftliche Alternative aufzuzeigen, indem sie an die Menschen appelliert, die dargestellten sozialen und ökonomischen Verwerfungen zu verhindern – wie Orwells „1984“ oder Huxleys „Brave New World“.
Soll sie selbst die Alternative sein, alternative Literatur, dann muss sie sich absetzen von den Sujets, Ausdrucksformen und Settings marktkonformer Dichtung. Man wird es ihrer Sprache anmerken, ihren Erzählweisen, ihren Charakteren, den „Experimenten“, mit denen sie sich gegen das Herkömmliche verwahrt. Das können Strategien der Verfremdung sein, der Erhöhung des Schwierigkeitsgrades, der Hermetik oder der Erzählakrobatik. Das können politisch subversive Inhalte sein, analytische Kompetenzen, die solche Literatur für sich beansprucht. Nur auf dieser Basis ist es überhaupt möglich, dass Literatur zum noch offenen Zivilisationsprozess beiträgt – und sei dieser Beitrag noch so gering. Enno Stahl
Alles kann umgedeutet werden
Schon die Aneignung des Begriffs Sozialismus durch die Nationalsozialisten macht deutlich: Kein Begriff, egal wie fest er in linker Tradition, in linken Gesellschaftsentwürfen und -kritiken verankert ist, kann aus sich selbst heraus rechten Umdeutungsversuchen widerstehen. Die Begriffe sind glitschig, gleiten aus den Händen und selbst wenn wir versuchen, sie mit ausgefeilten Definitionen an die Wand zu nageln, entwinden sie sich und stellen uns hinterrücks ein Bein. Der Verrat lauert vor allem da, wo wir meinen, uns mit den richtigen Begriffen einen sicheren Boden unter den Füßen gebaut zu haben. Wir neigen dazu zu vergessen: Die zentralen linken Begriffe brauchen eine Bewegung, eine Praxis, eine dauernde Diskussion und historische Reflexion, die sie konkret machen, um ihre Bedeutung streiten und immer wieder an die Situation anpassen. Sie stellen nicht an sich schon eine Absicherung oder Versicherung dar.
Darin sind sie den materiellen Dingen ähnlich: Kein Basecap, kein Button, kein Stoffbeutel, kein Markenschuh und sei er noch so fair produziert, kann die richtige politische Praxis garantieren. Wir sind nicht sauber, nicht fest, nicht einig und nicht unangreifbar. Selbst die „richtige“ politische Praxis von heute kann sich, sofern wir aus ihr zu lernen bereit sind, morgen als falsch herausstellen. Nicht mal das Label „links“ bedeutet, dass sich darunter nicht auch rassistische, antifeministische, nationalistische, neoliberale oder autoritäre Strömungen verorten könnten. Dass richtige Demokratie nicht vierjährige Stimmabgabe bedeutet, dass eine wirkliche Alternative eine Alternative zu und nicht für Deutschland ist, dass wirkliche Freiheit nicht den Individualismus des privaten Konsumenten auf dem „freien“ Markt sondern basisdemokratische Selbstorganisation meint, das steckt nicht in den Begriffen drin, sondern das wird erstritten durch ihren Gebrauch, durch diejenigen, die sprechen und vor allem widersprechen. Luise Meier
Rechte Alternative
In der deutschen Politik taucht der Begriff erstmals 1978 mit der Gründung der „Alternativen Liste“ auf – 2013 wird er von der „Alternative für Deutschland“ gekapert. Zur Zeit der Finanzkrise meinte er, als Gegen- und Kampfbegriff zu Merkels Aussage, der EU-Rettungsschirm sei alternativlos, noch konkret die Rückkehr zur D-Mark. Davon ist längst nichts mehr übrig. Stattdessen hat sich das Wort zu einer Art rechtem bis neonazistischem Politik-Emoji entwickelt. Es dient als Klammer und Platzhalter für alle schwulen-, lesben-, migranten-, islam- und demokratiefeindlichen, alle nationalistischen bis völkischen Stimmungen.
Es ist nicht weiter verwunderlich und Teil neurechter Metapolitik, die Sprache in Richtung Emotionalisierung aufzuweichen. Es ist aber auch nicht neu und wird keineswegs nur von rechten Populisten gepflegt. Bernd Stegemann hat in „Das Gespenst des Populismus“ 2017 gezeigt, dass dem rechten ein liberaler Populismus vorhergeht: „Yes we can“ – „Wir schaffen das“ sind prominente Beispiele dafür. Auch die Werbung arbeitet seit Jahrzehnten erfolgreich mit Affektaufladungen und der Produktion von Lebensgefühlen. Die Wirksamkeit dieser rhetorischen Taktiken hat sich mit der Digitalisierung massiv verschärft. Schon zu Zeiten der „Alternativen Liste“ spielte die Emotionalisierung politischer Haltungen eine Rolle. Es ist kein Zufall, dass Akteure der „Identitären Bewegung“ sich aus dem Fundus von Happening-Strategien bedienen.
Politik mittels Produktion von Gefühlen zu machen, ist keine Erfindung der Rechten. Diese beweist nur, wie gefährlich Stimmungspolitik werden kann und schon geworden ist. Es darf nicht länger um emotionalisierende Kampfbegriffe gehen. Es gilt, der rechten Demagogie mit kritischer Analyse und vor allem mit politischen Programmen zu begegnen: zum Beispiel, welche Maßnahmen zu ergreifen wären, um die neoliberale Ökonomie wieder der politischen Kontrolle zu unterwerfen. Norbert Niemann
Probier’s mal mit Gemütlichkeit
Alternative so lustig wie Österreich: Während wir 2019 im Eurodancetrott noch gen Insel schippern, schon das mittelgroße Fragezeichen, was geht, was bleibt was davon in Erinnerung bleibt und welche Möglichkeitsräume sich in Abgrenzung zur konstanten Politik der Aus- und Abgrenzung kollektiv denken lassen. Aber Denken ist ja leider immer so anstrengend. Na, dann lieber einheimeln im Flausch, und wenn schon kein komplett flauschiges Gefühl, dann wollen wir zumindest bessere Aussichten, die Aussicht auf so was wie eine Alternative zum Beispiel, eine Alternative zur längst in der österreichischen Mitte angekommenen Alternative, und am besten urplötzlich, am besten mit feinem Zukunftshauch, der nach Popcorn duftet, ein Geruch, der auch nach dem Abspann unaufdringlich angenehm bleibt. Zum Jahreswechsel werden als staatstragender Akt der neuen Bundesregierung alle Angstpraxen geschlossen. Bequem auf der sicheren Seite, Gefahr gebannt. Die Allianz für Österreich betrachten, bisschen lachen, alternative Alternative sein. Ist ja sonst keiner da. Problem gelöst. Probier’s mal mit Gemütlichkeit. Entspann dich, atme ein, aus, ein, aus, und jetzt sprich nach, was da präambelmäßig überm Eingang steht: Österreich ist ein wunderbares Land. Von rechter Normalisierung als Mainstream zu Heimat- und Umweltschutz als bessere Aussicht? Und welche Sprache ließe sich dieser Aussicht entgegensetzen, die sich vermeintlich gegen etwas Bestehendes positioniert und dabei schön roh bürgerlich dort weitermacht, wo sie in letzter Koalition aufgehört hat? Gerhild Steinbuch
Was heißt hier Alternative? „Alternative“ als Begriff, heute, 19 Uhr, Brecht-Haus, Chausseestraße 125, mit Vortrag von Guillaume Paoli. Moderation: Ingar Solty
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen