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Neues Album von King KruleSelbsthass mit Bariton

King Krule croont wieder: Auf dem neuen Album „Man Alive!“ zieht der britische Künstler alle Register: Nahtod-Texte und experimentelle Produktion.

Ein bisschen Karussellanschieber: Archy Marshall Foto: Beggars

„Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich“, schrieb ­Georg Büchner als 20-Jähriger im Frühjahr 1834 an seine Verlobte Wilhelmine Jaeglé. Zermürbt vom „grässlichen Fatalismus“ der Geschichte, den er bei seinen Studien zu „Dantons Tod“ hassen lernte, zweifelte der Dichter am gesamten Menschengeschlecht.

Der heute 25-jährige Südlondoner Archy Marshall ist zwar bekennender Fan von Oscar Wilde und Gustave Flaubert, ihn verbindet aber auch einiges mit dem hessener Schriftsteller Büchner. Twentysomething, männlich, fatalistisch, realistisch – das spiegelt sich in der Arbeitsmethode wider. Marshall, der sich als Künstler King Krule nennt, ist ein Komponist, der sich mit seinen Songs mittlerweile recht weit entfernt hat vom Entwickeln klassischer Arrangements.

Allein im heimischen Studio, allein mit allen Instrumenten – abgesehen vom effektvoll eingesetzten Saxofon –, zusätzlich bewaffnet mit dem schier unendlichen Soundarchiv des Internets, schnipselt und bastelt King Krule wie ein HipHop-Produzent seine Stücke auseinander und wieder zusammen. Hier ein Knopfdruck, der eine eingespielte Gitarrenhookline triggert, dort eine Taste betätigt und ein Sample aufgerufen: Diese Montagetechnik ist das prägendste Merkmal der King-Krule-Klangwelt – neben seiner Stimme, die schon seit Jugendtagen, als er noch als Zoo Kid firmierte, sein Markenzeichen ist.

Auf seinem vierten, dieser Tage erschienenen Album „Man Alive!“ ändert sich daran wenig. Immer noch vermengt und vermischt er, klebt per Pastiche und Sampling seine Lieder zusammen. So finden sich Telefonklingeln neben Field-Recordings von nächtlichen Straßen, Foundsounds (Klangfetzen eines Klaviers) neben produzierten Gitarrenlicks wieder. Vergleicht man das mit Büchners literarischer Gestaltungstechnik, kommt man kaum umhin, King Krules Methode in einer Ahnenfolge zu lesen, als moderne Form des Materialismus zu bezeichnen.

King Krule

King Krule: „Man Alive!“ (XL/Beggars/Indigo)

live: 8. März „Columbiahalle“ Berlin

Dazu kommt derweil, dass sich King Krule schon vor Jahren als Kenner der Marx-Engels-Schriften outete. Er sehe sich eher als moderner Chronist denn als realistischer Dichter. So wird „Man Alive!“ textlich vor allen Dingen zur Paulus-Geschichte: Als kiffender Slacker, der tagsüber rumhing, um abends mit seinen Freunden saufen zu gehen, verlebte er die letzten Jahre. Dieses Ritual der langsamen Zerstörung psychischer und physischer Natur drohte „Woyzeck“-like im Wahn zu enden; bis Marshall erfuhr, dass seine Freundin, die Fotografin Charlotte Patmore, ein Kind von ihm erwartete.

Ergo änderte Marshall sein Leben, um alles auf die Reihe zu bekommen, nahm er sich aus den zerstörerischen Kontexten und zog mit seiner Kleinfamilie aufs Land im Nordwesten Englands. Sein neues Album ist also Zeugnis eines Schlussstriches unter den vorherigen Lebensabschnitt. Mit einer Stimme, die Johnny Rotten zum Weinen bringen könnte, mit dem unerschütterlichen Bariton des Selbsthasses erzählt Marshall von einer Vergangenheit zwischen Prügeleien, Alkohol- und Drogenmissbrauch – stets in mirakulösen Vexierbildern, die doppeldeutig und -bödig sind. Nur mit dem richtigen Schlüssel lassen sich die Zeilen öffnen, sie zeigen so, was sie ehemals verbargen.

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Es sind häufig luzide Träume, Großstadtfantasien am Rande des Zerfalls, expressionistische Wutausbrüche oder einfach mantra­artige Durchhalteparolen (wie bei „Alone, Omen 3“). So inszeniert King Krule sein eigenes Leben als Aneinanderreihung von Nahtoderfahrungen, denen er nun entkommen zu sein scheint.

Obschon die Songtexte dies vorgaukeln wollen, verrät der Sound des Albums eine unheimliche zweite Realität: „Man Alive!“ klingt streckenweise wie der Cold-Turkey-Wahn beim Heroinentzug. Eine Atmosphäre mit rausgebrochenen Zähnen und offenen Wunden nach einem Gang durch die Krebsbaracke der Psyche, kurz: wie das Werk, das Pete Doherty immer veröffentlichen wollte, aber nie konnte. Beeindruckend für ein viertes Album, noch beeindruckender aus der Hand eines 25-jährigen Familienvaters.

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